"Versuche, dein Leben zu machen": Als Jüdin versteckt in Berlin - Margot Friedlander

  • "Versuche, dein Leben zu machen": Als Jüdin versteckt in Berlin - Margot Friedlander


    Inhalt
    Als sich die 21-jährige Margot am 20. Januar 1943 mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Ralph treffen will, um die Flucht vor der Gestapo aus Berlin vorzubereiten, erfährt sie, dass ihr Bruder kurz zuvor abgeholt wurde. Und auch die Mutter erscheint nicht; sie hinterlässt ihrer Tochter folgende Botschaft: «Ich habe mich entschlossen, mit Ralph zu gehen, wohin immer das auch sein mag. Versuche, dein Leben zu machen.» Margot beschließt unterzutauchen; fünfzehn Monate dauert das Leben im Untergrund, dreimal entkommt sie der Gestapo nur um Haaresbreite. Dann, im April 1944, geht sie in die Falle, wird nach Theresienstadt deportiert und überlebt mit Glück. Ihre Mutter und ihr Bruder werden in Auschwitz ermordet. Margot Friedlander emigrierte 1946 in die USA; gemeinsam mit der Schriftstellerin Malin Schwerdtfeger erzählt sie ihre dramatische Geschichte von Hoffnung und Verrat, von Zivilcourage inmitten des Terrors und vom unbedingten Willen zu überleben. «Die ergreifende Geschichte eines Lebens, das Deutsche zerstört und Deutsche gerettet haben.» (Die Tageszeitung)



    Autoren
    Margot Friedlander, geboren 1921 in Berlin, überlebte Verfolgung und Krieg im Untergrund in Berlin sowie im Konzentrationslager Theresienstadt. Ihre Eltern und ihr Bruder wurden in Auschwitz ermordet. 1946 emigrierte sie in die USA. Sie lebt in New York. Die Filmdokumentation über das Leben von Margot Friedlander mit dem Titel „Don’t call it Heimweh“ eröffnete das 11. Jewish Film Festival Berlin und Potsdam 2005.


    Malin Schwerdtfeger, geboren 1972 in Bremen, studierte Judaistik und Islamwissenschaft in Berlin. Im Jahre 2000 gewann sie den Förderpreis des Bachmann-Wettbewerbs in Klagenfurt. Sowohl ihr Prosadebüt, der Erzählband Leichte Mädchen, als auch ihre beiden Romane Café Saratoga und Delphi wurden von Kritik und Publikum gefeiert. Die Autorin lebt in Berlin.



    Meine Meinung
    Dieses Buch stand schon länger auf meiner Wunschliste und endlich kam ich dazu, es zu lesen.
    Gar nicht so einfach, einen Einstieg in die Rezension zu finden.


    Die Geschichte beginnt wie der Klappentext beschreibt mit der Szene 1943, als Margot von der „Arbeit“ kommt, da sich die Familie entschlossen hat, zu versuchen aus Berlin zu entkommen.
    Als sie vor der Wohnungstür ankommt, steht dort ein Gestapo Mann genau vor der bereits versiegelten Tür. Margot geht einfach ruhig ein Stockwerk höher – ihre Panik versucht sie sich nicht anmerken zu lassen – klingelt bei der Nachbarin über ihr, die sie kaum kennt, da sie „arisch“ ist.
    Diese läßt sie wortlos in ihre Wohnung, erzählt, daß Margots kleiner Bruder Ralph am Vormittag abgeholt wurde, die Wohnung versiegelt worden s ei und ihre Mutter ebenfalls bei ihr war und nun zu befreundeten Nachbarn gegangen ist, um dort auf Margot zu warten.
    Margot warte nun bei der Nachbarin bis der Gestapo Mann vor der unteren Tür verschwunden ist, geht zu den Freunden und findet dort die besagte Nachricht von ihrer Mutter vor. „Versuche Dein Leben zu machen“
    Dieser Leitspruch wird sie in den nächsten Jahren nicht verlassen…


    Dann ein Schwenk in die Vergangenheit, das vorherige Leben der Familie wird in einigen Kapiteln geschildert, von der „Vornazizeit“ über die Zeit der Machtergreifung, der immer größeren Einschränkungen im Leben der Familie bis hin zum Kriegsausbruch und eben jenem besagte Tag im Januar 1943.


    Darauf hin folgt dann der Überlebenskampf von Margot, die in den Untergrund geht, dort auch einige Helfer, jüdische, sowie nicht jüdische findet, die sie verstecken bis sie im Jahre 1944 doch von sogenannten „Greifern“ aufgegriffen wird und ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht wird.
    Das Leben in diesem „Vorzeigelager“ der Nazis, wie die Bedingungen dort waren beschreibt sie sehr genau.
    Dieses Lager unterschied sich ja ein wenig von den anderen Konzentrationslagern, die Überlebenschancen waren ein klein wenig höher, die Möglichkeiten zu arbeiten bestanden, wenn auch unter menschenunwürdigen Bedingungen. Den Zusammenhalt der dort eingesperrten Juden und das gegenseitige Unterstützen beschreibt sie sehr anschaulich.


    Der Schreibstil ist gut zu lesen, nur empfinde ich es als doch relativ „sachlich“, teilweise lakonisch und auch eher zustandsbezogen beschrieben. Manchmal auch leicht - hmm abgehackt ist das falsche Wort – eher in kurzen Worten beschrieben, einige Situationen weniger ausgeführt trifft es besser.
    Als würde sie versuchen, nicht zu viel Gefühle zu vermitteln, zu offenbaren – was angesichts der Situation auch verständlich ist.
    Auch schreibt sie selbst im Nachwort, daß sie versucht hat ihr Leben lang nach der Zeit, diese als Vergangenheit zu sehen und sich selber erst wieder im hohen Alter damit auseinandergesetzt hat.


    Da mich die Thematik schon immer interessiert hat, hat mir das Buch gut gefallen. Trotz aller „sachlichen „ Darstellung vermittelt das Buch sehr gut, die Lebensweise im Untergrund und den Überlebenskampf im Konzentrationslager.



    Fazit:


    Das Buch beschreibt sehr anschaulich das Leben als Jüdin, die plötzlich auf sich allein gestellt ist, im Untergrund. Die damaligen Zustände, wie Hass, Hilflosigkeit aber auch Hilfe von fremden sowie den Überlebenskampf im Konzentrationslager. Ich kann es auf jeden Fall empfehlen, da es doch einen guten Einblick gibt und für Interessierte der Zeit vielleicht noch eine Erweiterung einer weitern Geschichte ist.

  • Sehr informative Rezi. Dafür herzlichen Dank. Ich habe mir den Titel auch dann sofort notiert. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Bei mir stand das Buch schon länger auf der Wunschliste, zumal Margot Friedländer in der letzten Zeit wieder vermehrt in den Medien gezeigt wurde und mahnte, dass sich die Geschichte nicht wiederholen darf.


    Mir gefiel das Buch sehr gut, denn mir war bisher nicht bewusst, dass Juden so versteckt gehalten wurde, wie Margot Friedländer es hier beschreibt, dass sie eine Adresse bekam, die sie aufsuchte, ohne zu wissen, wer ihr Helfer sein würde. Wie unterschiedlich die Art der Verstecke war, oftmals mit einem Hintergedanken verbunden oder auch fast familiär. Dass sie aber immer wieder Hals über Kopf zur nächsten Adresse fliehen musste, bis sie eines Tages von einem jüdischen "Greifer" aufgesprüt wurde, als sie gerade mit ihren Helfern aus dem Berliner Zoo kam.


    Beeindruckend fand ich, wie Margot ihr Leben gemacht hat, dass sie unter diesen schlimmen Bedingungen menschlich geblieben ist und wie mutig sie war, dass sie nicht aufgegeben hat.


    Es kommt auch klar durch, dass die Flucht vor dem Krieg zunächst gar keine Option war, denn die Familie Bendheim fühlte sich gar nicht so recht angesprochen:

    "Dieses Bild der Juden (u.a. der Karikaturen aus dem "Stürmer") hatte nichts mit uns zu tun. Um zu verstehen, dass die Nazis auch uns aus dieser Gesellschaft ausstoßen wollten, und die Konsequenzen daraus zu ziehen", mussten wir begreifen, dass wir in ihren Augen "anders" waren. Aber wir waren nicht anders.

    Und deshalb fehlte uns der letzte Anstoß zu sagen: Wir können in diesem Land nicht mehr leben. Es war nicht der Mut der uns fehlte, sondern die Vorstellungskraft..."


    Als sie es sich dann doch vorstellen mussten, war es zu spät. Niemand wollte oder konnte ihnen helfen und Margot denkt später oft, dass es eine Kleinigkeit der Menschen, die sie um Hilfe gebeten haben, gewesen wäre, ihnen doch zu helfen. Das Avidavit aus Brasilien, was ihnen eine Tante schickte, war angeblich gefälscht, andere lehnten ab, weil ihnen die Möglichkeiten fehlten.


    Die Schilderungen über Theresienstadt waren bedrückend. Selbst, wenn es eines der "besseren" Lager war, war die Lage oftmals aussichtslos. Es konnte passieren, dass man in den Osten geschickt wurde, woher niemand zurückkehren würde.


    Der Roman ist sehr sachlich geschrieben, was meiner Meinung nach damit zu tun haben könnte, dass Margot Friedländer sich vielleicht davon distanzieren wollte, um nicht zu schmerzliche Erinnerungen aufkommen zu lassen, vielleicht lag es auch an dem langen Abstand, denn das Buch ist erst nach dem Tod ihres Mannes Ende der 90er Jahre entstanden.


    Besonders berührend fand ich, wie sie beschrieb, was aus den Personen geworden ist, denen wir im Buch begegnen. Ob sie überlebt haben oder wann sie gestorben sind. Wie sie die Annäherung an Deutschland mit einem Besuch in Berlin im Jahr 2003 versuchte. Und dass sie Amerika nichts schulde, hatte es ihr und ihrer Familie doch zunächst das Überleben verweigert.


    Sehr eindrückliches Buch mit großem Nachhall.


    9 Punkte von mir.


    ASIN/ISBN: 3499623048

  • Vielen Dank für Deinen Leseeindruck. Ich hab dieses Buch noch nicht gelesen, letztes Jahr "Ich tue es für Euch", aber die Filmdoku "Ich bin Margot Friedländer" gesehen.


    Diese ist auf alle Fälle noch bis Herbst 2026 in der Mediathek verfügbar und ich vermute, das wird erneut verlängert werden: https://www.3sat.de/film/3sat-…got-friedlaender-102.html


    In dem Zusammenhang denke ich auch an Ulrike Renks Seidenstadtsaga, die Geschichte von Ruth Meyer Elcott und das lange Interview "Jewish Survivor Ruth Elcott Testimony".

    Manche Bücher müssen gekostet werden, manche verschlingt man, und nur einige wenige kaut man und verdaut sie ganz.
    (Tintenherz - Cornelia Funke)