• Dass Prologe im Zeitalter der Äktschnkrimis ein bisschen altmodisch daher kommen, hatte ich weiter oben bereits erwähnt.


    Dennoch weiß ich mich mit meiner Ansicht, ein veritabler Roman, eine Novelle oder ein Essay sei ohne Prolog eigentlich gar nicht denkbar, nicht allein. Thurnhers "Übergänger" beginnt mit Reflexionen der Gattin des Autors über dessen "Brendel-Tick"; Elias Canetti beginnt seine "Stimmen von Marrakesch" mit dem Satz "Dreimal kam ich mit Kamelen in Berührung und es endete jedesmal auf tragische Weise", und Henry Miller sagt in seinem "Wendekreis des Krebses" als erstes: "Ich wohne in der Villa Borghese. Hier ist nirgendwo eine Spur von Schmutz; kein Stuhl, der nicht an sienem Platz steht. Wir sind hier ganz allein und wie Tote"; Melville stellt seinem "Moby Dick" die "Auszüge eines Hilfsunterbibliothekars" und andere voran.


    Sei doch so lieb, Googol , und zähl mir ein paar bekannte, zeitgenössische Romane oder Novellen auf, wo die Einleitungen nur Krücken sind, die das erzählerische Unvermögen ihrer Hervorbringer kaschieren wollen. Ich bin gespannt. Wie wär's mit "Harry Potter und der Feuerkelch"? Da erfahren wir vor Beginn der Handlung erst allerlei über das "Haus der Riddles", bevor es zu Sache geht.

  • Zitat

    Original von zenta
    Sei doch so lieb, Googol , und zähl mir ein paar bekannte, zeitgenössische Romane oder Novellen auf, wo die Einleitungen nur Krücken sind, die das erzählerische Unvermögen ihrer Hervorbringer kaschieren wollen. Ich bin gespannt.


    Du bist witzig. Zum einen behaupte ich nicht, dass einem guten Roman nicht auch ein Prolog vorangestellt sein kann, während du behauptest, dass einem "veritablen" Roman ein Prolog unbedingt vorangestellt sein muss. Zum anderen führst du überwiegend nicht zeitgenössische Roman auf (zumindest nach meiner Interpretation von "zeitgenössisch").


    Ich lese sehr wenig Romane und Novellen (und erst recht Kurzgeschichten), die Prologe haben. Lese halt nur Äktschkrimis. Zumeist wird die Erzählerspektive konstant eingehalten, auktoriale Erzähler begegnen mir kaum (Juli Zeh ist da eine Ausnahme). Was habe ich zuletzt gelesen: Romane von Herta Müller, Riva Galchen, Miljenko Jergovic, Matt Ruff, Tom McCarthy, Andreas Schäfer... keine Prologe. Nur Susann Pasztors "Ein fabelhafter Lügner" hatte einen. Keine Krücke, aber ich glaube, der Roman wäre ohne den Prolog ebenso gut gewesen und hätte nichts verloren. Prologe als Krücken begegnen mir tatsächlich hauptsächlich in der Science Fiction-Literatur, einfach weil es dort schwieriger ist, das komplette "World building" in den Text einzubauen.

  • @ Zenta:
    Hinkt der Vergleich von Canetti und aktuellen Kriminalautoren nicht?
    Als Leser stehe ich Prologen nicht frei von Vorurteilen gegenüber; bei zeitgenössischen Romanen gehe ich unbefangener an die Lektüre als bei Kriminalromanen, die offensichtlich ohne Prolog nicht mehr auskommen und den geballten Spannungsaufbau auf nicht weniger als drei Seiten wälzen müssen.
    Diese vorweggenommene Entwicklung einer Story, die keinesfalls auf mystische Elemente und mindestens einen vor 30 Jahren Verstorbenen verzichten kann, mutet nicht nur fantasielos an, sondern stellt mich als Leserin vor die Frage,
    ob der schreibenden Zunft keine anderen Stilmittel mehr zur Verfügung stehen.
    Nein, Canettis Bücher sollten nicht auf eine Stufe mit derlei Krimis gestellt werden, denn er (Canetti) missbraucht seine Prologe nicht, um eine Geschichte anständig erzählen zu können.


    Insgesamt - so meine Beobachtung - scheint der Prolog en vogue zu sein, ob er jedem Buch gut tut, bleibt fraglich.

  • Mein Gott, wie mühsam.


    Ein Prolog ist ein Prolog ist ein Prolog. Was ein Prolog alles nicht ist, wurde bereits gepostet: Ein Introitus nimmt nicht den Hauptsatz voraus, sondern führt zu ihm hin. Natürlich kann man nur fragen: "ficken?", und schon weiß jeder Bescheid. Ronaldo soll's unlängst etwas ausschmückender gebracht haben: "Me you fuck-fuck?"


    Wer ohne weitere Umstände zur Sache kommen will, darf's natürlich, wenn alle Beteiligten damit einverstanden sind: In der Wimpy-Bar gibt's keine Vorspeisen; es wird nicht gespeist, sonderm gemampft, und zwar ohne Messer und Gabel....*burp*... Millionen Fliegen können nicht irren! Ich übersetze mir "fast food" mit "beinahe Essen".


    Herta Müller leitet ihre "Niederungen" wie folgt ein: „Die lila Blüten neben den Zäunen, das Ringelgras mit seiner grünen Frucht zwischen den Zähnen der Kinder. Der Großvater, der sagte, vom Ringelgras wird man dumm, das darf man nicht essen. Und du willst doch nicht dumm werden“ und führt damit hin zu dem, was danach (im Präsens) geschieht.


    Ein Prolog ist auch keine Zusammenfassung. Die kommt erst nach dem Schluss. Ich fasse zusammen: Pecuniam oleumque perdidi...


  • :lache


    Ja, ich kenne das Gefühl. Ich habe auch gestutzt beim ersten Mal.
    Einen Prolog in vier Aufzügen zu bauen ist gemein. Typisch Klassiker.



    @zenta


    Mühsam? Ach, komm, schwindle nicht. Das hier macht Dir doch Spaß!


    Paß aber auf mit dem Öl, nicht daß Du endest, wie die törichten Jungfrauen.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Gibt es beim Prolog (wie er in aktuellen Büchern verwendet wird) eigentlich feste Regel, nach dem Motto: Das darf rein, das hat hier nichts zu suchen?


    Aus den bisherigen Postings lese ich nämlich heraus, dass im Prolog praktisch alles wild wuchert, zugleich habe ich den Eindruck, dass viele Prologe in Büchern doch einem bestimmten Muster folgen, wie z.B. dem Rückblick, die Vorwegnahme einer späteren Szene etc.


    Gibt es also bestimmte Dos und Don'ts oder heißt es eher anything goes?

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • Es gibt gute und schlechte Prologe.


    Ein schlechter Prolog ist in miserablem Deutsch geschrieben, ist langweilig, überflüssig, führt nicht zum Thema und steht nicht im Einklang mit dem Gesamtstück.


    Ein guter Prolog ist mehr als ein Auftakt und weniger als eine Ouvertüre. Er sei wie die Einleitung zum ersten Satz einer Sinfonie, bis die Tonart und das Thema definiert sind: Dann erst rauscht's richtig dahin.


    Vorausgesetzt, das Publikum kann zuhören. Oder der Leser lesen.

  • von Alice Thierry


    Gibt es beim Prolog (wie er in aktuellen Büchern verwendet wird) eigentlich feste Regel, nach dem Motto: Das darf rein, das hat hier nichts zu suchen?


    Nein. Es gibt keine feste Regeln für den Prolog...nur eine, sie ist die Fortsetzung für den Käufer des Klappentextes....
    Also sollte man sich tunlichst nicht zu weit davon entfernen. Ob eine Erklärung, eine spätere Szene, das ist egal.


    Nur wenn der Käufer das Buch vom Cover und vom Klappentext her interessant findet, dann sollte der Prolog noch eins drauf setzen...


    Der Prolog ist zwar ein eigenständiges Gestaltungsmittel, aber sollte Lust auf noch mehr Seiten machen.


    Nicht umsonst sagt die Werbung: ...die ersten Seiten entscheiden über den Kauf des Buches. Und dazu gehört der Prolog..


    euer hef

  • Ein Klappentext ist ein Klappentext und eine Inhaltsangabe eine Inhaltsangabe.


    Ein Prolog aber ist ein Prolog. Er ist nicht obligatorisch. Er kann, wie gesagt, gut oder schlecht sein. Wenn er wie eine Inhaltsangabe oder ein Klappentext daherkommt, ist er nicht nur schlecht, sondern gar keiner.


    Ein Prolog dient à priori nicht der Lusterzeugung, sondern ist ein Stilmittel, das zur Geschichte führt. Wenn die erste Seite eines Buches kaufentscheidend sein sollte, dann muss sie immer gut sein: Dummgeschwätz, mangelnder Sprachwitz, Fantasielosigkeit und Banalitäten lähmen das Leseinteresse grundsätzlich, Prolog hin oder her.


    Dass man Klappentexte gesondert erwerben kann, wusste ich noch gar nicht. Wo gibt's die? Was kosten die? Und, vor allem - wer kauft sich sowas?

  • Dass der Prolog grundsätzlich den Klappentext aufgreift, ist mir noch nicht aufgefallen. Mir fallen zwar einige Bücher ein, wo dies der Fall ist, aber viel häufiger steht der Prolog ganz für sich, habe ich den Eindruck.


    Dass der Prolog sprachlich und stilistisch annehmbar sein soll, versteht sich von selbst. Meine Frage waR, ob es bestimmte (ungeschriebene) Vorgaben gibt, deren Nichteinhaltung ein Buch disqualifizieren - zumindest bei Verlag & Co.


    Dürfen im Prolog z.B. Figuren vorkommen, die im ganzen übrigen Buch nicht auftauchen?
    Dürfen Ereignisse vorweggenommen oder solche behandelt werden, die nicht im zentralen Konflikt der Geschichte stehen?
    Muss ein direkter Bezug zu Protagonisten oder eben einem zentralen Konflikt bestehen?

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • In einem Prolog können Subjekte und Objekte, die Zeit oder eine frühere Zeit, die Orte, die Art der Handlungen, der Autor, der Garten des Autors, seine Kaffetassen oder die Haarfarbe seiner Freundin vorkommen. Etwas über die Liebe, den Hass, den Krieg, den Rap, den Blues oder Heroin als solchem könnte hinführend sein. Auch über Herrn Kafka oder Herrn Kachelmann kann man sich einem Sujet nähern, wenn man möchte, oder über den lieben Gott – ohne dass der oder Herr Kachelmann nachher noch einmal direkt vorkommen müssen.

    Die „Auszüge“, die Melville seinem „Moby Dick“ voranstellt, gehen ausschließlich über den Walfisch oder den Leviathan und rollen den dunklen Teppich aus, auf dem Ahab danach in sein Verderben stelzt. Henry Miller teilt uns mit, in welchem Dreck er wohnt und wie er sich fühlt („wie eine Toter“), bevor er uns in den Schmutz der Pariser Gosse stößt, Karl May erklärt uns, was ein Greenhorn ist, damit wir später erkennen, dass er nie eines sein wird, und die rezente Literaturnobelpreisträgerin macht uns erst mit ihrem Opi bekannt, bevor sie uns Näheres erzählt.


    Ein Prolog ist, wie schon gesagt, ein kleines Vorspiel, ein Introitus. Ein guter Organist improvisiert immer wieder ein neues zum Choral. Wenn’s gut ist, trifft die Gemeinde auf Anhieb den richtigen Ton. Ist’s mies, gibt’s nur Katzenmusik.