Der hohe Schein - Ludwig Ganghofer

  • Wer die Kraft hätte, klar das Rechte für seinen irdischen Weg zu erkennen und das Erkannte als hellen Weiser in sein Leben zu stellen, so fest und unverrückbar, wie der leuchtende Berg da im Dunkel des Tales steht. (Seite 30)


    432 Seiten, gebunden (meine Weltbild Ausgabe)
    Verlag: Droemer Knaur Verlag, München 1993
    ISBN-10: 3-426-19181-4
    ISBN-13: 978-3-426-19181-1
    (Ich habe die ISBN der lt. Amazon "neuesten" Verlagsausgabe von 1993 genommen. Im nächsten Post verlinke ich meine Weltbild-Ausgabe von 2003.)



    Zum Inhalt (Quelle: Buchrückentext, eigene Angabe)


    "Der hohe Schein" heißt ein Berg in den bayrischen Bergen, weil ihn die Fluten der Abendsonne besonders schön erglühen lassen. Zu seinen Füßen liegt ein Dorf, in welchem Walter Horhammer, Doktor der Philosophie, Quartier nimmt. Er sucht etwas, was ihm Katechismus, Philosophie und Naturwissenschaften nicht beantworten konnten. In der Erhabenheit und Schönheit der Natur glaubt er, den richtigen Weg für sich finden zu können. Doch nicht nur die Natur beeindruckt ihn. Da sind eine Reihe von Menschen, deren Bekanntschaft er macht. Allen voran Herr Ehrenreich mit seiner Tochter Mathilde, bei denen er sich einmietet. Oder der Moosjäger, mit dem ihn trotz des ersten ungünstigen Zusammentreffens bald mehr verbindet als nur eine geschäftliche Beziehung. Oder Bonifatius Venantius Gwack, aus dessen Namen man schon ersehen kann, daß er einst unehelich geboren wurde. Ausgerechnet dort also erlebt er die ihn tief bewegende Begegnung mit der Kunst Goethes, als eine Schauspielergruppe im Dorf gastiert und die Iphigenie spielt. Diese Aufführung wird, nicht nur für Walter, zum Katalysator einer Reihe von Ereignissen, die das Leben der Menschen teils gehörig durcheinanderwirbeln.
    Freud und Leid, Liebe und Tod begleiten Walter und die Menschen, in deren Gemeinschaft er nun lebt.




    Über den Autor


    Über den Autor in Stichpunkten (Quelle: Wikipedia, Deutsche Ganghofer-Gesellschaft e.V., Autobiographie)


    Ludwig Ganghofer wurde am 7. Juli 1855 in Kaufbeuren geboren. Er studierte u. a. Literaturgeschichte und Philosophie und promovierte 1879 in Leipzig. 1880 wurde sein erstes Werk „Der Herrgottschnitzer von Ammergau“ veröffentlicht. Ab 1881 lebte er für einige Jahre in Wien, wo er am Text für Strauß’ „Zigeunerbaron“ mitschrieb und 1889 auch die Trauerrede für Ludwig Anzengruber hielt. Ab 1894 lebte er in München, seit 1914 war er auch als Kriegsberichterstatter tätig. Ganghofer war verheiratet und hatte drei Kinder. Er war sehr vielseitig interessiert, auch an technischen Neuerungen, beispielsweise dem damals neuen Film. Die Ganghofers hatten ein gastfreies Haus, in dem zahlreiche bekannte Künstler verkehrten, wie Ludwig Thoma, Hugo von Hofmannsthal, Leo Slezak u. v. a. Er starb am 24. Juli 1920 in Tegernsee und ist auf dem Friedhof von Rottach-Egern begraben.


    Weitere Informationen im Internet


    - < Klick > - der Artikel bei Wikipedia
    - < Klick > - ein weiterer Wikipedia-Artikel über Ganghofer - in Westmittelboarisch. :grin
    - < Klick > - eine Kurzbiographie auf der Website des Deutschen Historischen Museums
    - < Klick > - die Informationsseite der Deutschen Ludwig-Ganghofer-Gesellschaft
    - < Klick > - die Seite zu Ganghofer beim Projekt Gutenberg




    Meine Meinung


    Der hohe Schein thront über dem Tal, über dem Gebirge, über den Menschen, auf deren Treiben er unbewegt herabschaut. Liebe und Lust, Trauer und Tod. Immer ist er da, beherrschend, beeindruckend, beständig.


    Es ist eine heile Welt, in die uns der Autor hier entführt. Sie ist doch heil, diese Welt? Die Frage deutet an, daß eine gewisse Bangigkeit durchaus angebracht ist, denn das, was auf den ersten Blick so heil, so märchenhaft, aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen weder als heil noch als märchenhaft. Walter Horhammer, Doktor der Philosophie, hat in allen Büchern weder Weisheit noch Ruhe, geschweige denn Hilfen fürs Leben gefunden. So reist er auf Anraten des Arztes in die Berge. Als unerfahrenen Städter sehen wir ihn, wie er vom Hohen Schein herabsteigt in das Tal, im dem sich sein Schicksal erfüllen soll. Wenn er dabei an einer schlafenden Jungfrau vorüberkommt, so vermutet der geneigte Leser schon, daß wir ihr wieder begegnen werden. Wie auch der Lies, der Sennerin, die dem Walter zwei linke Füß’ bescheinigt.


    Es ist eine rechte Idylle (zumindest sieht es zunächst so aus), in die Walter kommt, als er in der Villa des Herrn Ehrenfried, neben dem Scheidhof, Quartier nimmt. Und, wir ahnen es bereits, Mathilde, die Jungfrau vom Berge, ist dessen Tochter.


    Ich habe mich vor Lesebeginn gefragt, warum es von diesem Buch so lange keine reguläre Auflage mehr gegeben hat. Es ist mir indes bald klar geworden: das Buch ist wunderbar altmodisch, herrlich unzeitgemäß. In gemächlichem Tempo, mit viel Raum fürs „philosophieren“ entfaltet sich die Geschichte der Protagonisten. Die des suchenden Walter Horhammer und die des hitzköpfigen Kaplans Michael Innerebner, der Walter von früher her kennt und in ihm eine Art „Intimfeind“ sieht. Oder die des Herrn Ehrenreich und seiner beiden Kinder Mathilde und Bertl (samt Familie). Von Bonifatius Venantius Gwack oder dem Moosjäger ganz zu schweigen.


    Langsam entwickeln sich die Beziehungen untereinander, bis eines Tages eine Theatertruppe ins Dorf kommt und Goethes „Iphigenie“ spielt. Das wirkt wie ein Katalysator, der die aufgestauten Energien zur Explosion bringt - in die eine wie die andere Richtung. Ein Katalysator, der heil-, vor allem aber erst einmal etliche unheilbringende Entwicklungen in Gang setzt. Leben und Tod sind dicht beieinander, und der Sensenmann hält reiche Ernte.


    Übrigens Goethe: der bzw. dessen Werke spielen eine wesentliche, wenn nicht gar tragende Rolle in diesem Roman. Denn die Ehrenfrieds verehren sein Werk, kennen und lesen es immer wieder; es wird auch etliches aus den Werken zitiert. (Wenn ich es richtig überblicke, waren Goethes Werke kurz vor Erscheinen des "Hohen Schein" gemeinfrei geworden.) Faust, Werther und Wilhelm Meister etwa. Die Literatur wird zum Brennglas, in dem sich alles verdichtet und dadurch Handlungen und Entwicklungen anstößt. Sollte ich in absehbarer Zeit wirklich einmal in meiner Goethe-Ausgabe, die sich gut im Regal macht, lesen, so ist das einzig und allein das Verdienst des Ganghofer Ludwig, der dem alten Geheimrat einen so großen und beeindruckenden Platz in seinem Roman eingeräumt hat.


    Wie geschrieben, auf dieser Insel der Ruhe, in dieser heilen Welt ist durchaus nicht alles so heil, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Selten gab es wohl einen schöneren Abend, einen herrlicheren Sonnenuntergang zu schauen als jenen.

    Einen harten Kontrast, den der Autor seinen Lesern zumutet. Einen Kontrast, wie ihn das Leben selbst nicht anders bereithält. Glück und Leid, Leben und Tod. Nebeneinander. Gleichzeitig. Der liebe Herrgott machte dem hochwürdigen Herrn die Freude mit Schmerzen quitt. (Seite 321) Nicht nur der alte Pfarrer muß im Verlaufe des Buches diese Erfahrung machen. Immer wieder hat der Autor mich überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit die glücklichen wie leidvollen Ereignisse nebeneinander stehen. Mit welcher unbeteiligten Gleichmut die Natur auf die Dinge herabsieht, wenn sie sie denn überhaupt beachtet. Das hätte ich in einem „Heimatroman“ so mit Sicherheit nicht unbedingt erwartet.


    Ganghofer hat, wie er im Nachwort schreibt, dieses „Lebenslied dem Andenken seiner Mutter Charlotte“ gewidmet. Und so ist es kein Wunder, daß auch meine Heimatstadt in dem Buch eine, wenngleich nur kleine, Rolle spielt. Insgesamt hat mir das Buch trotz - oder gerade wegen - seines teilweise etwas veralteten Stils, der mich überzeugend ins letzte Viertel des 19. Jahrhunderts entführt hat, hervorragend gefallen. Freilich, ein gut Teil ist in bayerischem Dialekt geschrieben (nämlich die wörtlichen Reden der Einheimischen), und auch so manch andere eher bayerische Formulierung hat ihren Weg in den Text gefunden. Andererseits: das Buch spielt in den bayerischen Bergen, reines Hochdeutsch paßt da nicht. Die Figuren konnte ich mir gut vorstellen, sie sind in meinem Kopf zum Leben erwacht und mir fast so etwas wie gute Freunde geworden (schön, alle nicht, wenn ich beispielsweise an den alten Scheidhofer denke). Sie kamen mir so nahe, daß es mir schwer fällt, sie für immer verlassen zu müssen. Und tatsächlich gab es die eine oder andere Stelle, an der ich froh war, ein Taschentuch zur Hand zu haben.


    Wenn dann das Buch nach rund vierhundert Seiten beginnt, aufs Finale zuzustreben, sich die noch offenen Fäden verknoten und zu einem (guten?) Ende führen, ist die Wandlung des Doktor Walter Horhammer spürbar. Das ist nicht mehr der weltfremde Philosoph des Buchanfangs, den wir da aufs Buchende zuschreiten sehen. Die „Lektüre des Lebens“ hat ihn (und so manchen anderen) mehr gelehrt als es die „Lektüre der Bücher“ je könnte. Und aus mir, nachdem dies nun das zweite Ganghofer Buch ist, das ich in relativ kurzer Zeit gelesen haben, fast so etwas wie einen Ganghofer-Liebhaber gemacht. Zum Glück stehen noch deutlich über zwanzig seiner Bücher in meinem Regal und harren des gelesen Werdens.


    (Achtung: massiver Hinweis auf das Ende!)


    Ein langer und bisweilen bitterer Weg liegt bis zu diesem Ziel hinter Protagonisten wie Lesern. Und über allem thront von den Geschehnissen unbeeindruckt Der hohe Schein.



    Kurzfassung:


    Dem Doktor der Philosophie Walter Horhammer konnten weder Katechismus noch gelehrte Bücher das Wesentliche fürs Leben beibringen. So kommt er ins Tal des „Hohen Scheins“, wo er sich einlebt und die „Lektion des Lebens“ lernt. Für mich ein Höhepunkt des Genres.
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Das hier ist meine Ausgabe im Rahmen der Weltbild - „Edition Ludwig Ganghofer“. Da es bei Amazon keine Bilder gibt, hier noch das Cover meiner Ausgabe.
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