Pascal Mercier: Nachtzug nach Lissabon

  • An dieses Buch habe ich ich lange nicht herangetraut. Aber zum Glück habe ich es nun doch gelesen. "Nachzug nach Lissabon" ist ein tiefschürfendes Buch. Die Geschichte ist fast irrelevant, es geht viel mehr um Gedankenwelten. Der Autor formuliert treffsicher Dinge, die ich bisher höchstens als Gefühl kannte, als wage Ahnung. So zielsicher formuliert haben mich viele Gedanken berührt und sie schienen so wahr, obwohl ich diese Dinge vorher nie hätte ausdrücken können. Das hat mich sehr beindruckt und machte dieses Buch zu einem besonderen Leseerlebniss. Das bedeutet Lesen für mich nämlich auch, das man in Gedanken und Beschreibungen eintauchen kann, die einem selbst fremd sind oder mangels Ausdruckskraft nicht formuliert werden können, und dann von jemand völlig Fremden so passend beschrieben werden.


    Ein wunderbares Buch.

  • Als ich damals mein Abitur gemacht habe, war Nachtzug nach Lissabon ein Buch, das wir im Deutschunterricht behandelt haben. Da ich zur damaligen Zeit von Büchern noch recht wenig gehalten habe und sich meine Lesebegeisterung nach der Tageszeitung bereits erschöpft hatte, habe ich es nicht geschafft, über die ersten parr Kapitel hinauszukommen. Ich habe dann auch eine 5 oder 6 in der dazugehörigen Ex geschrieben, was ich aber wohlwissend in Kauf genommen habe, weil mich nichts zum Lesen des Buches motiviert hat.


    Ein parr Jahre später hatte ich aber Ferien und totale Langeweile. Weil ich zu dieser Zeit bereits hin und wieder ein Buch zu Hand genommen habe und gerade nichts anderes verfügbar war, gab ich diesem Buch also nochmal eine Chance und wurde nicht enttäuscht. Je näher man die fiktive Person Amadeu de Prado kennenlernt und je mehr man über seine Hintergründe herausfindet, desto mehr lechzt man nach weiteren Informationen. Dazu kommen eine Menge philosophische Zitate der Kunstfigur Amadeu de Prado, die, obwohl sie nicht alle meiner Meinung entsprechen, allesamt zu den Höhepunkten des Romans zählen.


    Mir hat das Buch dann letztendlich so gut gefallen, dass ich wiederum einige Jahre später nochmal den Roman komplett gelesen habe und wieder nicht enttäuscht wurde. Und wenn ein Buch selbst beim wiederholten Lesen noch sehr gut unterhält, wurde in meinen Augen alles richtig gemacht. Von mir gibt es deswegen 10 von 10 Punkten für dieses sprachgewaltige und mitreißende Buch.

  • Hallo zusammen,


    an "Nachtzug nach Lissabon" fand ich die Grundidee sehr schön. Dass da ein älterer Herr, der in seinen Lebensumständen sehr fest verwurzelt erscheint, plötzlich alles hinter sich läßt und einem ganz neuen Lebensstrang folgt, das hat was.


    Solche Dinge passieren im wirklichen Leben selten, aber ab und an hört man von solchen Leuten und insgeheim bewundert man sie dann für den Mut und die Kraft, die eine solche Entscheidung zweifellos kostet. Alles scheint plötzlich wieder möglich in einem Leben, das eigentlich schon der Eintönigkeit verfallen war. Wir wären auch gerne so mutig.


    Das also ist die Ausgangssituation von "Nachtzug nach Lissabon". Dann aber fand ich die folgenden Geschehnisse teilweise doch zu konstruiert, die Figuren zu klischeehaft. Und vor allem fand ich die Geschichte zu...ja, zu unemotional. Meine Güte, da wirft ein Mann komplett sein Leben über Bord, aus einer Laune heraus oder weil dieser eine Tropfen das Fass zum Überlaufen brachte. Dieser Megagau, diese Wiedergeburt müßte ihn doch so umtreiben, dass es mich als Leser mitreißt, oder nicht? Das tut es aber nicht.


    Vielleicht war mein Fehler, dass ich den Nachtzug unmittelbar nach "Schatten des Windes" gelesen habe, wo dieses Kunststück m.E. gelingt.


    Lg Helmut

  • Mir geht es wie helmutp!
    Ich habe so viel davon erwartet, grade weil es so gelobt wurde.
    Ich hab erwartet, dass ich danach selbst Lust habe, nach Lissabon zu fahren oder mich einfach in ein Abenteuer zu stürzen...aber irgendwie hat es mich nicht gepackt. :(

  • Der 57-jährige Raimund "Mundus" Gregorius ist Lehrer für Griechisch, Latein und Hebräisch an einem Gymnasium in Berlin. In seiner Jugend besuchte er eben diese Schule und führt seine Lehrtätigkeit dort bereits seit 30 Jahren aus. Er ist beliebt bei seinen Schülern und von den meisten Kollegen geschätzt und dennoch, Mundus ist ein sehr stiller, in sich gekehrter Mensch. Zwar war er vor vielen Jahren mit einer ehemaligen Schülerin von ihm verheiratet, doch diese Ehe hielt nur fünf Jahre, zu groß war der Unterschied zwischen den Eheleuten.


    Mit seinem ruhigen Leben ist es jedoch vorbei, als er mitten im Regen eine Frau auf einer Brücke sieht. Da der Gedanke, sie könnte sich von eben dieser stürzen, nicht allzu fern liegt, spricht er die junge Frau an. Schnell stellt sich heraus, dass die junge Frau nur Portugiesisch spricht und dennoch gelingt es Mundus, zu ihr durchzudringen. Sie begleitet ihn zu seinem Unterricht, verlässt diesen jedoch ohne ein weiteres Wort nach kurzer Zeit.


    Mundus jedoch geht die Frau einfach nicht mehr aus dem Kopf. Es ist nicht so, dass er sich in sie verliebt hätte, aber sie beschäftigt seine Gedanken. Als er bei einem Buchhändler ein portugiesisches Buch entdeckt, erwirbt er dieses, obwohl der der Sprache nicht mächtig ist. Das Buch ist aus dem Jahre 1975 und von einem Amadeu de Prado geschrieben worden. Mit Hilfe eines Wörterbuches macht er sich daran, das Buch zu lesen und tatsächlich scheint es so, dass ihm auch die portugiesische Sprache förmlich zu zufliegen scheint. Irgendwas an den Texten des Portugiesen lässt Mundus keine Ruhe, sodass er sich mitten im Unterricht entschließt, diesen fluchtartig zu verlassen. Anschließend macht er sich auf die Reise nach Lissabon, um mehr über den Autoren und sein Leben in Erfahrung zu bringen. Es wird eine Reise voller Selbsterkenntnisse ...


    Ich hatte deutlich mehr erwartet! Der Plot wurde sehr detailliert erarbeitet, zu detailliert für mich. Irgendwo zwischen Gegenwart und Vergangenheit des Amadeu habe ich mich und mein Interesse an dem Buch verloren. Die Figuren wurden sehr tiefgründig erarbeitet, jedoch konnte nicht eine auch nur annähernd mein Interesse erwecken. Irgendwie wirkten sie alle sehr tot auf mich, auch wenn sie noch am Leben waren, wobei "Leben" hier die Definitionssache zu sein scheint. Der Schreibstil hat mich am Anfang wirklich hoffen lassen, doch wirkte dieser das ganze Buch über monoton. Abschließend kann ich sagen, dass dieses Buch mich alles, nur nicht gefesselt hat und ich mir hier definitiv mehr erhofft hatte.

  • Ich habe das Buch schon zweimal gelesen und es zählt zu den Büchern, die ich nochmal lesen werde. Die Stimmung, das Thema, die Orte der Handlung ... und wie das Werden zum Sein wird - all das hat der Autor hervorragend umgesetzt. Auch der Film hat mich begeistert; die meisten Schauspieler decken sich mit jenen, die ich mir während des Lesens selbst ausgesucht hatte.

  • Ob man Lebensentscheidungen im Nachhinein als richtig oder falsch beurteilen kann, diese Frage stellt sich eines Tages dem Lehrer für Altphilologie, Gregorius.
    Außerdem spricht Mercier in diesem Buch viele andere Themen an, Einsamkeit, Würde, Ehre, Schmerzen, Freiheit, Religion, Zufall und Schicksal, Loyalität, Freundschaft, Eltern-Kind-Beziehungen, Ehrlichkeit, Ärger.
    Diese Themen bettet der Autor in die Handlung einer Suche, bei der man höchst interessante Personen und ihre Beziehungen zueinander, wunderbar beschrieben, und auch ein Stück der neueren Geschichte Portugals kennenlernt. Seine Nachforschungen lassen Gregorius die eigene Vergangenheit und Gegenwart überdenken, doch leider erfährt man wenig darüber, welches Fazit er für sich daraus zieht.


    Dieser spannenden Suche bin ich sehr gern gefolgt. Gut ist es, wenn man jemanden hat, mit dem man über all die angeschnittenen Themen diskutieren kann. Schließlich muss man nicht überall der gleichen Meinung sein. Nicht alles war so weltbewegend neu, aber die großartige Sprache bezaubert auch dann.


    Sehr beeindruckt hat mich der Vergleich des Lebens mit einem Zug, in den man einsteigt, ohne das Ziel zu kennen.


    Dieses Buch hat mich fasziniert und werde ich sicher irgendwann noch einmal lesen.

  • Ich habe dieses Buch gerade fertig gelesen und mich rückblickend gewundert, dass ich tatsächlich vier Wochen dafür gebraucht habe. Ich bin generell keine Schnellleserin, aber ich fand die Geschichte eigentlich spannend genug, immer weiter zu lesen. Oft allerdings nur wenige Seiten lang – dann brauchte ich eine Pause, um den philosophischen Betrachtungen nachzuhängen und sie für mich und meine Anschauungen zu überprüfen. Bei einigen Stellen fand ich Prados Überlegungen wenig nachvollziehbar, aber im Großen und Ganzen waren seine Gedanken schon betrachtenswert, neu und interessant.


    Die Mantelgeschichte des Lehrers (der tatsächlich erst 57 Jahre alt ist) fand ich an einigen Stellen absurd und wenig glaubwürdig. Dass er bei allen aufgesuchten Personen, denen er völlig fremd war, so fast ohne Ablehnung in deren persönlichste Erinnerungen eindringen und in kürzester Zeit Freundschaften etablieren konnte, wie es ihm bisher mit keinem anderen Menschen gelungen ist, hat mich doch sehr gewundert.


    Die fiktive Figur des Autors Prado fand ich nicht besonders sympathisch. Da war viel Jammern auf höchstem Niveau, das mich gegen ihn einnahm. Ein Mann aus reichem Haus, hoch intelligent und feinfühlig, dem die Herzen nur so zuflogen und der als Arzt Respekt und Erfolg hatte, beschwert sich ständig, dass er nicht damit zufrieden sein kann und gibt allen anderen, besonders natürlich seinen Eltern, die Schuld dafür.


    Übrigens heißt der Selbstverlag nicht „Zwei Zedern“ (wie in Toms ansonsten vorzüglichen Rezension geschrieben) sondern „Rote Zedern“ - was sich ja auch aus der dramatischen Schilderung der jüngeren Schwester der Luftröhrenschnitt-Rettung der älteren Schwester erklärt. Eigentlich fand ich die Leben der verschiedenen Frauen interessanter als das des philosophierenden Prado, um den sie kreisten, und hätte lieber mehr von diesen erfahren.


    Anscheinend ist es gänzlich aus der Mode gekommen, fremdsprachliche Einwürfe in deutschsprachigen Romanen zu übersetzen. Das wäre, meiner Ansicht nach, spätestens Aufgabe des Herausgebers gewesen (wenn es schon der Autor unterlassen hat). Wahrscheinlich waren die französischen, portugiesischen oder spanischen Worte nicht weiter wichtig für die Handlung, aber es ärgert mich schon, dass davon ausgegangen wird, dass man als Leser dergleichen entweder selber weiß, sich irgendwie zusammenreimt oder anderweitig recherchiert. Das stört den Lesefluß erheblich.


    Trotzdem würde ich das Buch durchaus empfehlen. Die Spannung wird gekonnt aufrecht gehalten und in verschiedene Richtungen erweitert. Die philosophischen Überlegungen sind meist tiefsinnig und regen zum Nachdenken an. Man lernt etwas über die Diktatur in Portugal. Raimund „Mundus“ Gregorius ist ein netter Mann, dem ich nur das Beste wünschen möchte. Das offene Ende lädt zum Weiterspinnen der Geschichte ein.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

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  • Bitte schön!:)

    Das war eben einer der beiden Fehler, die mir beim Lesen Deiner wirklich schön geschriebenen Rezension im Forum "Literatur fast pur" aufgefallen ist. Dort bin ich über Wikipedia hingekommen, als das Eulenforum geschlossen war und ich auf der Suche nach anderen Meinungen über das Buch war.

    Wirst Du die Fehler korrigieren oder ist das nicht üblich? :gruebel

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte