Alice Munro - Wozu wollen Sie das wissen? Elf Geschichten aus meiner Familie

  • Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Elf Geschichten aus meiner Familie
    OT: The View from Castle Rock
    Autorin: Alice Munro
    Übersetzt aus dem Englischen von: Heidi Zerning
    Verlag: Fischer Taschenbuch Verlag
    Erschienen: Juni 2010
    Seitenzahl: 380
    ISBN-10: 3596169690
    ISBN-13: 978-3596169696
    Preis: 9.95 EUR


    Das sagt der Klappentext zu diesem Buch:
    Mit ihren Geschichten begibt sie sich in ihre eigene Familiengeschichte, bis zurück zu William Laidlaw im Schottland des frühen 17. Jahrhundert, als es noch Feen und Geister gab. Von dort aus nach Kanada, mit Andrew und den anderen, die meistens Schäfer, später Farmer waren, und den zahlreichen Tanten, Annie, Jenny, Mary - lauter einfachen, aber eigenwilligen Menschen, Käuzen mit seltsamen Lebensgeschichten und sehr viele von ihnen mit einer auffälligen Liebe zum schriftlichen Wort. Ob sie nun Wetternotizen machen, Erinnerungen aufschreiben oder sich richtige Geschichten ausdenken die Tradition des Schreibens ist tief in Munros Familientradition verwurzelt.


    Die Autorin:
    Alice Munro, 1931 geboren, stammt aus Ontario. Sie gehört zu den bekanntesten und bedeutendsten Autoren Kanadas und wurde mit vielen Preisen geehrt. Ihre Erzählungsbände sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. Alice Munro lebt in Ontario und in British Columbia. 2009 wurde sie mit dem "Man Booker International Prize" geehrt.


    Meine Meinung:
    Normalerweise schätze ich die Erzählungen von Alice Munro, mit diesem Buch allerdings bin ich nicht so richtig warm geworden. Sicher ist sie auch hier wieder die brillante Erzählerin, aber ihre Erzählungen wirken in diesem Buch irgendwie unterkühlt und ohne Herz geschrieben. Zwar sagt der Klappentext, dieses hier sei ihr „persönlichstes Buch“ – nur wie man auf diese Einordnung kommt, vermag ich nicht so recht nachzuvollziehen. Es sei denn man setzt persönlich ausschließlich mit „Familiengeschichte“ gleich. Alice Munro schreibt sehr distanziert, mehr wie ein unbeteiligter Chronist. Sicher sind auch die Erzählungen in diesem Buch lesenswert, aber von einer Alice Munro erwarte ich schlicht mehr. Stilistisch ist die Autorin nach wie vor ohne Fehl und Tadel, da passt jedes Wort, da sitzt jedes Komma und kein Satz der nicht einwandfrei ist, schafft es durch die Endkontrolle. Nur stilistische Brillanz ist ja nicht alles, es gehört eben auch ein klein wenig Herzblut dazu. Ein sicher lesenswertes Buch, verglichen mit anderen Alice-Munro-Erzählungsbüchern fällt es aber ein wenig ab.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Aha! Deine Rezension hat mir sehr weitergeholfen.


    Ich habe das Buch neulich günstig "ertauscht", und mir war nicht klar, ob es sich um erfundene oder "echte" Geschichten handelt.


    Nun ja. Es kommt ja dann demnächst, und dann werde ich meinen eigenen Eindruck hier posten...

  • In den ersten Geschichten, die Alice Munro in diesem Band über ihre schottischen Vorfahren erzählt, hätte ich gern genauer gewusst, in welchem Verhältnis die genannten Personen zur Autorin stehen. Spätestens an dem Punkt, als in einer Geschichte eine Kurzgeschichte auftaucht, die in einer Zeitschrift veröffentlicht wurde, die wiederum die Schwestern Bronte lasen, hatte Alice Munro mich eingefangen. Munro geht sieben Generationen zurück zu zunächst unbekannten Vorfahren und nähert sich dann über Großvater und Vater der Gegenwart. James Laidlaw, der an Bord eines Auswandererschiffes Tagebuch führte, weist bereits auf für schottische Bauern ungewöhliche Interessen dieser Familie hin. Munros Vater nahm zusätzliche Arbeit an und begann, Füchse zu züchten, weil der Ertrag seiner Farm nicht ausreichte. In einer Familie, in der schon immer gern erzählt wurde, wundert es nicht, dass Munros Vater als alter Mann Freude am Schreiben entwickelt und ein Buch über eine schottische Auswanderfamilile schreibt. Die zweite Hälfte der Erzählungen dreht sich um Munros Jugend. In ländlicher Umgebung, in der Besucher danach beurteilt werden, ob sie melken oder ausmisten können, muss Alice mit ihrem Interesse an Büchern eine äußerst ungewöhnliche Tochter gewesen sein. Das eigenartige Interesse der Tochter am Schreiben lässt Alices Eltern fürchten, dass sie keinen Mann finden und lebensuntüchtig bleiben wird. Wie gern Alice liest, verheimlicht sie vorsichtshalber und reagiert verlegen, als ein Förderer ihre heimliche Leidenschaft entdeckt. Schlaue Mädchen wurden noch misstrauischer beobachtet als schlaue Jungen, erzählt Munro. In Russel Craig findet sie einen Jugend-Gefährten, der ihren Traum teilt, einfach unter einem blühenden Baum zu liegen und nach oben zu blicken. Die Erzählungen um die jugendliche Alice zeigen die kanadische Autorin wieder so, wie ihre Leser sie aus zahlreichen Bänden mit Erzählungen kennen. Mit ihrer Ahnenforschung und ihren Besuchen auf Friedhöfen gibt die Autorin den chronologisch aufeinanderfolgenden Erzählungen einen Rahmen und schafft für sich selbst eine Verbindung zwischen Namen und den in ihrer Erinnerung lebenden Menschen.


    Die teils fiktiven, zu Beginn verwirrenden Erzählungen über Alice Munro und ihre Vorfahren werden Leser mit Interesse an Schottland, Kanada und an Auswanderer-Schicksalen ansprechen.