"Light fell" - Evan Fallenberg

  • Leider noch keine deutsche Übersetzung


    Zum Buch


    Tel Aviv 1996: 20 Jahre sind vergangen, seit sich Joseph Licht, ein modern orthodoxer Jude sich in den charismatischen Rabbi Yoel Rosenberg verliebt und seine Familie und seinen moshav verlassen hat. Nun an seinem 50. Geburtstag lädt er seine fünf ihm entfremdeten Söhne ein, um mit ihm den Sabbat zu verbringen und hofft mit einem ins kleinste Detail vorbereitetem Mahl deren Liebe, Verständnis und Vergebung zu gewinnen.


    Über den Autor


    Evan Fallenberg wurde in Cleveland, Ohio geboren und lebt seit 1985 als Autor, Lehrer und Übersetzter in Israel. Er übersetzte Romane von Batya Gur, Meir Shalev, and Ron Leshem. Er besuchte die Georgetown University and das Vermont College. "Light Fell" ist sein erster Roman.


    Meine Meinung


    Das Buch ist in vier Abschnitte unterteilt, wobei der erste und die letzten beiden in der Gegenwartsform erzählt werden und die Vorbereitungen und den Verlauf des Sabbats an Josephs 50. Geburtstag 1996 beschreiben. Der zweite Abschnitt wird in der Vergangenheitsform erzählt und beschreibt die Entwicklung der Beziehung zwischen Joseph und Yoel.


    Das Buch fand ich in großen Teilen traurig. Es ist im Grunde eine Familientragödie und es hat mir das Herz zerbrochen, wie Joseph um die Liebe seiner Söhne ringt und immer wieder enttäuscht wird, aber auch wie die Söhne durch die Entscheidung ihres Vaters geprägt wurden. Im Verlauf der Handlung zeigt sich, wie die fünf Söhne ganz unterschiedlich mit der Entscheidung ihres Vaters und deren Folgen umgegangen sind, in den Söhnen zeigt sich die ganze Spannbreite von ultra-orthodox bis säkular und auch ganz unterschiedliche Lebensentwürfe. Es geht um den Konflikt, inwieweit man seinem wahren Ich folgen oder die Erwartungen anderer erfüllen muss und welche Kosten und Folgen die eine oder die andere Entscheidung haben kann. Und letztendlich geht es auch darum, loslassen zu können.


    Sehr schön fand ich, wie der Titel "Light fell" auf verschiedene Weise in das Buch eingebunden wurde und verschiedene Bedeutungen haben kann, von denen ich wahrscheinlich nicht alle erkannt habe.


    Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Ich geb mal 9 von 10 Punkten. Ein Punkt Abzug, weil ich nicht gerne Bücher lese, die in der Gegenwartsform geschrieben find und weil ich es teilweise sehr theatralisch fand. Aber insgesamt tolles Buch.
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  • Hallo Delphin,


    herzlichen Dank für diese interessante Rezi. Ist irgendwann eine deutsche Übersetzung des Buches geplant? :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Hallo Delphin,


    herzlichen Dank für diese interessante Rezi. Ist irgendwann eine deutsche Übersetzung des Buches geplant? :wave


    Kann ich Dir nicht sagen. Bei Amazon habe ich nichts gefunden. Ich würde mich freuen, wenn es übersetzt werden würde. Vielleicht findet sich ja mal ein deutscher Verlag.

  • Joseph Licht, die Hauptperson dieses Debütromans, fällt und er fällt tief. Mit ca. dreißig Jahren verliebt er sich in einen Mann. Es ist keine vorübergehende Schwärmerei, Joseph ist homosexuell. Diese Tatsache hat er bis dahin verdrängt, er führte ein Leben als Familienvater, mit seiner Frau Rebecca und den fünf Söhnen. Sein Fluchtpunkt war seine Arbeit, er ist Literaturwissenschaftler. Eben die Beschäftigung mit seinem Fach aber bringt ihn zu dem Mann, bei dem er erkennen muß, welche Lüge er bis dahin gelebt hat. Dieser Mann ist kein beliebiger, sondern ein hochgebildeter Talmud-Gelehrter, ein Vorbild für alle. Die Folgen der Liebe dieser beiden Männer sind katastrophal. Zwanzig Jahre später versucht Joseph mit einer pompösen Sabbatfeier den Kontakt zu seinen inzwischen erwachsenen Söhnen wiederherzustellen.


    Das Thema, das Fallenberg gewählt hat, wird in jeder Hinsicht groß abgehandelt. ‚Groß’ ist allein der Hintergrund der Figuren, denn sie gehören dem orthodoxen Judentum an. Die Probleme, mit denen sie konfrontiert werden, müssen daher stets unter dem Aspekt der Beziehungen zu Gott und der Frage, wie wichtig seine Gebote für die Menschen sind, diskutiert werden.
    Jede der Figuren hat dazu eine eigene Haltung entwickelt. Fallenberg führt sämtliche Spielarten vom eher liberalen jüdischen Glauben bis zum ultra-orthodoxen Anhänger auf.


    Groß ist auch das direkte Umfeld. Josephs Liebe Yoel Rosenzweig wie auch sein Partner zwanzig Jahre später sind Männer, die im Luxus leben. Luxuriös ist das geschilderte geistige Leben, kulturelle und literarische Bezugnahmen schöpfen aus einem gut zweitausendjährigen Reichtum. Groß abgehandelt werden die sinnlichen Aspekte, wobei dem Autor ein nahezu perfektes Zusammenspiel von Beschreibungen körperlicher Liebe, der Lust an Nahrungszubereitung, Nahrungsaufnahme und reich ausgestatten Räumen, sowie der Lust mit der Beschäftigung mit Literatur, Philosophie und Religion gelingt.


    Kontrastiert wird diese Üppigkeit ebenso überzeugend mit dem einfachen bis ärmlichen Leben in Josephs heimatlichen Moshav, der nach seinem Auszug weiterhin Wohnort seiner Frau und der Kinder bleibt. Schlicht leben seine Söhne auch als Erwachsene, Daniel, der zur Enttäuschung der Familie Klempner geworden ist, Ethan als befehlshabender Offizier, die Zwillingsbrüder Gavriel und Gideon einmal als radikaler Siedler und zum anderen ebenso radikal als Haredi aus Mea Shearim. Einzig Noam, der mittlere der Söhne, bildet eine Ausnahme, aber sein im Vergleich zu seinen Brüdern glamouröses Leben birgt seine eigenen Schattenseiten.
    Auch das moderne Israel dient der Darstellung des Kontrasts, Jerusalem und Tel Aviv, Kern-Israel und besetzte Gebiete, überall umkämpfte Grenzen als Spiegel der inneren Zerrissenheit der Personen.


    Licht und Schatten sind die Motive, die Fallenberg zur Illustration gewählt hat und er arbeitet damit mit der gleichen Hemmungslosigkeit, mit der seine Figuren gestaltet. Die Geschichte strahlt und scheint zugleich im Halbschatten zu liegen, nie ist es ganz hell, noch das gleißendste Sonnenlicht wirkt seltsam gedämpft und zugleich schmerzen die Augen vor der Helligkeit. Fiktive Jetztzeit ist der Anfang des Monats März 1996, nie war das Mittelmeer so grau und das Licht zugleich so tröstlich aprikosenfarben.
    Die Kunstfertigkeit wird hin und wieder deutlich, manches kommt einer beim Lesen ein wenig übertrieben vor, von Ferne tauchen Gedanken an Theatereffekte auf. Ebenso kunstvoll ist der Aufbau, drei Teile einer fiktiven Gegenwart rahmen die Schilderung der Vergangenheit, die Liebesgeschichte von Joseph und Yoel 1976/77, ein. Die Ästhetik der Konstruktion nimmt am Ende zuviel Einfluß auf Handlung und Figurenentwicklung, Harmonie regiert, wo ein paar Sprünge im glatten Glas mehr Eigenwilligkeit gegeben hätte.


    Die Überhöhung das Ganzen kann man aber auch als Fingerzeig dafür nehmen, wie wichtig das Thema ist und wie heikel. Es geht hier nicht nur darum, daß ein Mann seine sexuelle Neigung in einem feindseligen Umfeld erkennt, sondern darum, was passiert, wenn er aufhört, einem für ihn falschen Wertesystem zu folgen, und zwar bei allen Betroffenen. Die Frage der Schuld wird immer wieder diskutiert, gegenüber Menschen, wie gegenüber einem metaphysischen Prinzip. Das Leben, das jede einzelne Figur in diesem Roman hat, ist jeweils eine der möglichen Antworten auf die Frage nach der Schuld und das in Israel.


    Das Buch ist alles andere als eine uneingeschränkt angenehme Lektüre. Manche Antwort oder Lösung mag platt erscheinen, die Komplexität des Ganzen bliebt jedoch erhalten. Es wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt, und am Ende kann man nur staunen, daß das Buch nur ca. 225 Seiten hat, so groß ist der Kosmos, den es vorstellt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus