Die Geliebte des Sarazenen von Christiane Lind

  • Inhalt


    Die sechzehnjährige Leonore wird überraschend von ihrem Vater Bernardus, einem reichen Fernhändler aus Braunschweig, aus dem Kloster geholt, in das er sie zehn Jahre zuvor nach dem Tod ihrer Mutter gesteckt hat. In den langen Jahren hat sie nicht das kleinste Lebenszeichen ihres Vaters erreicht und Leonore glaubt, dass auch er längst verstorben ist. Das verschreckte und weltfremde Mädchen wird mit einem Geschäftspartner ihres Vaters, Fulk von Calven, verheiratet.
    Die Ehe der beiden wird nicht glücklich. Fulk verachtet seine Frau, die ihm statt des erwarteten Erben nur eine Tochter geboren hat und von ihrer Schwiegermutter erniedrigt und unterdrückt wird. Als Fulk und die sechsjährige Blanche von Sarazenen entführt werden, begibt Leonore sich zusammen mit dem Ritter Gottfried und der von Brandwunden schrecklich entstellten Adelheid auf eine Pilgerfahrt nach Jerusalem.
    Nach einem Schiffsunglück wird Leonore von dem Karawanenführer Nadim gerettet und nach Jerusalem gebracht. Schnell erliegt Leonore dem exotischen Charme des Sarazenen. Doch darf eine christliche Frau, und dazu noch eine verheiratete, einen Ungläubigen lieben?



    Meine Meinung


    Christiane Lind hat keinen Roman über die seit einiger Zeit im historischen Genre beliebte mutige, starke, taffe und wortgewandte Heldin geschrieben, die viel eher in unser Jahrhundert passt als ins Mittelalter. Ihre Leonore ist ein ängstliches, unselbständiges kleines Hascherl, das sich ohne Gegenwehr von Vater, Ehemann und Schwiegermutter ausbeuten und demütigen lässt. Sie hat nicht nur Angst davor, sich zur Wehr zu setzen, sie nimmt ihre Situation als gottgegeben hin. Denn so hat sie es im Kloster gelernt. Gott lenkt die Wege des Menschen, nicht der Mensch selbst.
    Die Entführung ihrer Tochter setzt unerwartet ein Leben lang verschütteten Mut und Tatkraft in Leonore frei. Die langwierige, beschwerliche und gefährliche Reise nach Jerusalem setzt einen Entwicklungsprozess in Gang, an dessen Ende die Heldin stark genug ist, die wichtigste Entscheidung ihres Lebens selbständig zu treffen. Aus Leonore ist jedoch keine mittelalterliche Superwoman geworden. Sie ist immer noch eine ängstliche, zögerliche Frau, die jedoch gelernt hat, sich ihren Ängsten zu stellen.
    Auch wird ihre Reise eine aufwühlende, zuweilen schmerzhafte Auseinandersetzung mit ihrem Glauben. Durch die Begegnung mit dem Muslim Nadim und dem Juden Salomon lernt sie, dass das Christentum nicht die einzige, unanfechtbare Wahrheit besitzt. Leonores Pilgerfahrt wird eine Lektion in Toleranz, nicht nur für die Heldin, sondern auch für die Leser.
    Unwiderstehlich ist die Szene, in der Leonore zum ersten Mal mit der fremden und beängstigenden Welt des Sarazenen Nadim konfrontiert wird:
    "... Vor ihnen stand ein Wesen aus der Unterwelt.
    "Dort! Dort!" Mit zitternden Fingern zeigte sie auf das grässliche sandfarbene Ungeheuer, dessen riesige gelbe Zähne an ein paar Grasbüscheln zerrten. Wulstige Lippen, wie sie nur die Hölle hervorbringen konnte, schienen Leonore zu verspotten. Schreckensstarr musterte sie den Wüstendämon, der ihr jedoch keine Beachtung schenkte. Gespaltene Füße, so wie man sie dem Leibhaftigen nachsagte, gingen über in spindeldürre, lange Beine. Am schrecklichsten fand Leonore den breiten Buckel, ein sicheres Zeichen für die Höllenherkunft des Wesens."
    Alles klar? Doch die naive Heldin lernt ja im Lauf ihrer Reise einiges dazu.
    Christiane Linds Debut ist ein wunderschöner Schmöker mit einer hinreißenden Heldin und einer guten Portion Exotik. Die Entwicklung Leonores schildert die Autorin glaubwürdig und nachvollziehbar.
    Einziger Kritikpunkt ist die nach meinem Geschmack etwas zu geschönte und weichgespülte Schilderung des Islam. Eine kritischere Darstellung wäre hier wünschenswert gewesen.
    Leider ist aus dem Klappentext des Buches nicht zu entnehmen, ob eine Fortsetzung der Geschichte Leonores geplant ist. Ich hoffe, dass die Autorin noch einen Folgeband vorlegt. Sie kann die Leser nicht einfach so im Ungewissen über das weitere Schicksal ihrer Heldin lassen.

    Nicht das Beginnen wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten (Katharina von Siena).

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  • Den Namen der Autorin habe ich ergänzt. :wave
    Ich wollte eigentlich die Überschriften "Inhalt" und "Meine Meinung" in Fettdruck setzen, aber das habe ich nicht hingekriegt. Muss ich da was Besonderes beachten? :gruebel


    LG
    Martina

    Nicht das Beginnen wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten (Katharina von Siena).

  • Das mit dem Markieren hat gestern nicht geklappt. Da habe ich wohl doch etwas falsch gemacht. :-(
    Mal sehen, ob es beim nächsten Mal klappt.


    LG
    Martina

    Nicht das Beginnen wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten (Katharina von Siena).

  • Also mir hat das Buch ehrlich gesagt nicht so gut gefallen.


    Gleich vorab: Gut gelungen finde ich das Begreifen und Umdenken von Leonore, dass andere Religionen nicht besser oder schlechter als die eigene sind. Und vor allem gefällt mir, dass Leonore größtenteils verletzlich und nicht als Überfrau dargestellt wird.


    Zu Beginn des Buches stellt die Autorin in einer Auflistung alle mehr und minder maßgeblichen Figuren vor, was sich immer als hilfreich erweist. Am Schluss findet man neben einem Glossar auch Karten von Braunschweig und Jerusalem, beide sollen die Städte im 12. Jahrhundert darstellen. Die Geschichte selbst ist in drei Teile gesplittet. Teil eins befasst sich mit der Entführung, Teil zwei mit der Reise, Teil drei mit der Entscheidung.


    Dem gegenüber steht aber einiges was negativ auf mich gewirkt hat. Leonore und ihre Mitstreiter oder Gegenspieler haben mich trotz des eigentlich interessant klingenden Plots nicht in ihren Bann gezogen. Obwohl die Autorin einen flüssig-leichten und durchaus plakativen Schreibstil hat, stolpert man über zu viele Klischees, Ungereimtheiten, Oberflächlichkeiten und nicht zu Ende gesponnene Handlungsverläufe. Deshalb bekommt „Die Geliebte des Sarazenen“ nur vier von zehn Punkten, schon allein, weil die nach dem Titel vermutete Liebesgeschichte viel zu schwach beleuchtet wird.





    Die Entführung hat auf mich absolut nicht wie eine Entführung gewirkt. Vielmehr wirkte es so, als ob der Ehemann freiwillig mit den Fremden mitging und dabei seine Tochter mitgenommen hat. Zu diesem Zeitpunkt wendet sich Leonores Verhalten. Sie wird zwar keine taffe Heldin, genau genommen bleibt sie den gesamten Roman hindurch eher ängstlich und zögerlich, aber sie stellt sich ihren Ängsten. Sie setzt alles daran, jemanden zu mobilisieren, der Mann und Tochter zurückbringt – vergeblich. Was sie dazu bringt, sich selbst aufzumachen.


    Auf ihrer Suche nach einem Begleiter gerät sie in die Armenviertel der Stadt und ihr droht eine Vergewaltigung. Die arme Bevölkerung, respektive die Männer, werden als nichtsnutzige Säufer, brutal, gewalttätig und immer auf der Suche nach einem Opfer in Gestalt einer Frau dargestellt. Zwar mögen Frauen in dieser Zeit wenig Rechte gehabt haben und diesen Gefahren sehr real ausgesetzt gewesen sein, gleichwohl stach die Beschreibung dessen unangenehm für mich hervor. Ich kann nicht behaupten, dass andererseits die Ratsmitglieder wirklich edelmütig und gut dargestellt werden, aber insgesamt betrachtet, erscheint mir die Darstellung von Reich und Arm doch zu klischeehaft.


    Die drohende Vergewaltigung findet nicht statt, da sie von einem Ritter (mit dem sie, wie sich im Laufe der Geschichte herausstellt einiges verbindet, was aber nicht wirklich herausgearbeitet wird) gerettet wird. Genau den hat sie gesucht, weil ihr gesagt wurde, dass er ihr wohl als einziger helfen könnte. Was er auch macht, zusammen mit einer von Brandnarben entstellten Frau, die quasi als Anstandsdame fungiert. Beide umgibt ein Geheimnis (das leider zunehmend vorhersehbar am Ende der Geschichte gelüftet wird). Das Trio tarnt sich als Pilger auf dem Weg in die Heilige Stadt. Niemand darf ahnen, warum sie wirklich losziehen, denn dadurch könnte Leonores Tochter in Gefahr geraten, was sie eindeutig verhindern möchte. Hier stellte sich die Frage, wie jemand, der die Reise vor ihnen antritt, von ihrer Suche erfahren soll. Noch dazu jemand, der sich über Verfolger vermutlich keine Gedanken macht. Die Reise gestaltet sich etwas mühsam, dennoch kommen sie überraschend gut voran.


    Bei einem Sturm wird Leonore über Bord gespült. Glücklicherweise treibt die Strömung sie an die Küste, wo sie von einer Karawane – angeführt von Nadim – aufgefunden und mitgenommen wird. Obwohl Leonore beim Verschwinden ihrer Tochter automatisch den Schluss „Ungläubige rauben Christenkind für Sklavenmarkt“ gezogen hat, kommt Nadim natürlich nicht im Geringsten auf so einen Gedanken, sein Fundstück zu versklaven. Als Muslim ist ihm die Gastfreundschaft viel zu heilig. Dieser Teil der Geschichte fordert einiges an Durchhaltevermögen, da er nicht nur Längen, sondern auch die bereits erwähnten glücklichen Zufälle oder aus dem nichts konstruierte, wenig nachvollziehbare Gefahrensituationen aufweist. So kann ich zwar das langsame Annähern zwischen Leonore, den Mitgliedern der Karawane und im speziellen Nadim gut nachvollziehen, der als einziger ihre Sprache spricht. Abgesehen von der glücklichen Fügung, dass Leonore gerettet wird und sich überraschend schnell erholt, tauchen jedoch plötzlich Kreuzritter auf (teils edelmütig, teils gierig dargestellt), die die Karawane überfallen wollen und mit denen Nadim noch eine Rechnung aus seiner Vergangenheit offen hat. Die Mordlust der Kreuzritter wird allein durch …. soll ich Leonores Liebreiz oder lieber überraschend heldenmütigem Auftreten schreiben? Ach nein, es war ja auch die Erinnerung an ihre Tätigkeit als Gotteskrieger … verhindert wird, was ein weiteres Mal überaus klischeehaft auf mich wirkt. Ausgerechnet die zaghafte Leonore kann also Schlimmeres verhindern, schließt sich den Kreuzrittern an, und reist mit ihnen nach Akkon weiter.


    In Gegenwart der Kreuzritter hat Leonore seltsamerweise keine Angst mehr, dass herauskommen könnte, weshalb sie wirklich nach Jerusalem will. Bereits kurz nach ihrem Zusammentreffen vertraut sie sich einem von ihnen an, der ihr sofort und edelmütig seine Hilfe anbietet. Das ist aber gar nicht nötig, denn kaum treffen sie in Akkon ein, findet sie ihre ehemaligen Weggefährten wieder. Welch glückliche Fügung, dass egal ob man über Land oder den Seeweg reist, alle gleichzeitig ankommen und sich problemlos in einer Stadt wiederfinden, in der Pilger über Pilger eintreffen, welche – zumindest teilweise - von den Kreuzrittern begleitet nach Jerusalem weiterreisen sollen.


    Bevor es dahin geht, tritt erneut Nadim auf den Plan (der überhaupt des öfteren überraschend schnell aus dem Hintergrund auftaucht und wieder verschwindet), der Leonore für ihren Einsatz beim Zusammentreffen mit den Kreuzrittern ein kostbares Pferd schenkt, während die Mitglieder der Karawane sie ebenfalls mit Geschenken überhäufen. Ohne diese Geschenke, müssten Leonore und ihre Begleiter zu Fuß weiterziehen und sich völlig ohne Kreuzritter den Unbillen der Wüste und den Gefahren durch Ungläubige ausliefern. Nadim verschwindet dann erst einmal wieder. Zu groß ist die Gefahr, die eine weitere Begegnung mit den Kreuzrittern in sich birgt. Eine Gefahr, die sich kurz danach nicht gerade ins Nichts auflöst, aber doch nahezu zur Bedeutungslosigkeit verkommt. Warum? Weder das eine noch das andere wird genauer erläutert. Warum Leonore überhaupt Gefühle für ihn entwickelt übrigens auch nicht, es war einfach plötzlich die Rede (vielmehr der Gedanke) von Liebe. Nadim bleibt von Anfang bis Ende seltsam diffus, nebensächlich.


    Doch es geht noch weiter. Nehmen wir eine explizit beschriebene Begegnung mit Sybilla von Jerusalem, vor der Leonore eindringlich gewarnt wird, der sie aber trotzdem hilft. Ein neuer Handlungsstrang? Nicht wirklich, denn danach kommt nichts weiter darüber. Bald darauf erfolgt ein Überfall von Assassinen auf Leonore und den sie begleitenden Ritter – deren Auftauchen und die Beweggründe werden nicht näher erläutert. Sie werden in meinen Augen einfach benutzt um das Verhältnis von Gottfried und Leonore (welches lang vor ihrer ersten Begegnung in der Vergangenheit begann) auseinander zu dividieren. Natürlich erst, nachdem sein Geheimnis für die, die es bis dahin nicht schon ahnten, gelüftet ist.


    Auch die Suche nach ihrer Tochter, die Leonore gleichzeitig zu ihrem Mann führt, gelingt zu einfach, zu schnell. Mein ursprünglicher Gedanke, dass er die Sarazenen freiwillig begleitet hat, bestätigte sich hierbei. Das Warum und Weshalb ist in wenigen Sätzen abgehandelt und etwas durchsichtig. Sein Verhalten wirkt auch hier einerseits beherrschend und andererseits nachgiebig und oberflächlich selbstsüchtig.


    Mit seinem Auffinden scheint sich Leonore sofort wieder in ihr anfängliches Verhaltensmuster zu ergeben. Eine Frau, die nicht lange davor Nadim Szenen für Sachen bereitet hat, die einen irritiert die Stirn runzeln lassen. Ihr Weg scheint wieder Richtung Braunschweig zu weisen. Obwohl, eigentlich verrät der Titel schon, was geschehen könnte.

    Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe Unterschied wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.
    Mark Twain

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