Bertolt Brecht - Furcht und Elend des Dritten Reiches

  • Ich hoffe, dass Bertolt Brecht schon ein Klassiker ist, aber die anderen Rezis zu seinen Werken wurden glaube ich auch oft unter dieser Rubrik eingestellt:


    Klappentext:
    -
    (meine Ausgabe hat keinen Klappentext) :-)


    Inhalt & eigene Meinung:
    Bertold Brechts (1898-1956) Stück „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ entstand in den Jahren 1935 bis 1939 in der Emigration. Der ursprüngliche Titel lautete „Deutschland – ein Greuelmärchen“. In den 24 Szenen des Schauspiels beschreibt Brecht die Verhältnisse in Deutschland mit scharfen und (dank der Emigration) freien Blick.


    „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ beruht auf Augenzeugenberichten und Zeitungsnotizen. Eigentlich wurden die Szenen 1938 für den Malik-Verlag in Prag gedruckt, konnten aber infolge des Hitlerschen Überfalls nicht mehr verbreitet werden. Alle Szenen sind knapp aber sehr realistisch gehalten und stellen „Alltagssituationen“ der 30er Jahre nach der Machtübergabe dar.


    Die Armut und die Furcht vor dem System sind allgegenwärtig. Da gibt es den Fleischer, der sich aus Verzweiflung erhängt, die Mutter, die ihrer Tochter keine 2 Pfennig pro Woche für einen Ausflug der HJ geben kann. Eltern fürchten von ihren Kindern an die SA verraten zu werden, ein Richter weiß nicht, wen er am besten verurteilt um nicht selbst in Gefahr zu gelangen. Recht, Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit sind scheinbar völlig außer Kraft gesetzt. Jeder zieht sich in sein Privatestes zurück und hofft, möglichst nicht negativ aufzufallen. Es darf nicht mehr gesprochen, nicht einmal mehr gedacht werden. Die Nationalsozialisten sind allgegenwärtig, jeder läuft bei kleinsten Bemerkungen Gefahr verhaftet zu werden.


    Aber trotz aller Furcht, Angst und Armut zeigt Brecht auch, dass nicht alle Menschen dem System hörig sind. Es gibt kritische Stimmen und sogar auf eine Widerstandsgruppe wird am Ende eingegangen. Doch Brecht scheint zu spüren und zu wissen, dass ein Krieg kommen wird. Dennoch, trotz der scheinbaren Unausweichlichkeit zeigt er, dass zumindest moralisch noch nicht alles völlig verloren ist.


    Jede der Szenen ist erschreckend und erschütternd. Binnen weniger Zeilen und Seiten zeichnet Brecht die Menschen, die eigentlich nur versuchen, irgendwie zu überleben.

  • Tolle Rezi, danke!!! Ich glaub' auch, dass in der Definition dieses Forums Brecht als Klassiker gelten darf. "Klassik" im strengsten Epochensinne ist hier sicher nicht gemeint.
    Mir hat besonders gefallen, wie Du die "Überlebensthematik" herausgearbeitet hat, denn die ist in der Tat ein übergreifendes Thema bei Brecht. Ich denke auch, der Text legt nahe, dass es noch immer moralisch integre Menschen gibt. Allerdings scheint mir, bei Brecht werden ihnen die Überlebenschancen abgesprochen. Insofern ist dieser Text, wie mir scheint, äußerst pessimistisch...

  • ja, über weite Stellen hinweg ist dieses Stück natürlich wirklich sehr pessimistisch. Vor allem wird auch zusätzlich noch diese ganze "Abstrusität" (wenn ich es so nennen darf) dieses System des Dritten Reiches oft sehr deutlich.


    Aber in manchen Szenen gibt es auch ein bisschen Positives. Ich möchte folgende Stelle mal zitieren, wenn das in Ordnung ist. Es ist ein Ausschnitt aus einer der Geschichten, in der sich zwei Jungen überlegen, warum der eine eine Portion Essen bekommen hat und der andere zwei.


    Zweiter Junge: Wieviel hast du heut gekriegt
    Erster Junge: Einen Schlag, wie immer. Warum?
    Zweiter Junge: ich hab heute zwei Schlag gekriegt.
    Erster Junge: Lass sehen. Ich hab nur einen Schlag.
    Der zweite Junge zeigt ihm.
    Erster Junge: Hast du ihnen was gesagt?
    Zweiter Junge: Nein. Guten Morgen, ganz wie immer.
    Erster Junge: Das versteh ich nicht. Ich hab auch wie immer gesagt: heil Hitler.
    Zweiter Junge: Das ist komisch. Ich hab zwei Schlag gekriegt. (aus Szene 22, (Seite 110))


    Diese Stelle hat mir sehr gut gefallen. :-)

  • Da hast Du recht: Die Stelle ist schön - und so lakonisch... Dennoch: Aus dem Gespräch geht, wie ich finde, auch hervor, dass das Positive bei den Jungen gar nicht wirklich ankommt. Für sie scheint diese Ungleichbehandlung willkürlich. Ich denke, gerade das - die Willkür des Geschehens - macht Texte von Brecht manchmal so schrecklich und schmerzhaft.

  • ja stimmt, da hast du recht.


    Ich werde mir nachher auch mal die Rezis von den anderen Brecht-Sachen ansehen, denn dies hier war das erste, was ich von ihm gelesen habe. Ich werde mir aber sicherlich auch noch in nächster Zeit ein paar andere Werke von ihm zu Gemüte führen.