Ich möchte vorweg anmerken, dass ich mir nicht ganz sicher bin, ob diese Rezi hier am besten aufgehoben ist, oder nicht auch bei den Biographien oder den Geschichtssachen eingeordnet werden könnte. Also falls ich mit meiner Eindordnung falsch liege, bitte den Thread verschieben.
Klappentext:
Der ORF-Redakteur Andreas Novak erzählt in „Salzburg hört Hitler atmen“ die wechselhafte
Geschichte der Salzburger Festspiele zwischen Weltoffenheit und brauner Anbiederung in den Jahren 1933 bis 1944. Es ist eine Parabel über Geist und Macht, über die propagandistische Instrumentalisierung der Kunst im Zeichen der Diktatur, über bereitwillige Korruption aus Karrieregründen. Novak zeigt an zahlreichen Beispielen namhafter Künstler die schwer auszulotende Grauzone von Kooperation, Zugeständnissen und Widerstehen.
„Die Kunst ist eine erhabene, zum Fanatismus verpflichtende Mission.“ (Adolf Hitler)
Inhaltlicher Überblick & meine Meinung:
Nach dem ersten Weltkrieg blieb vom ehemaligen österreichischen Großreich nicht mehr viel übrig. Neben den verlorenen Gebieten hatte Österreich auch noch andere Lasten zu tragen – die psychologische, die Schuld zu wissen, dass man diesen Krieg ausgelöst hatte. Entsprechend galt die von Hugo von Hofmannsthal verfasste Festspielideologie mehr denn je. Die Spiele sollten dem Land die Rückkehr in die internationale Völkergemeinschaft erleichtern und ermöglichen. Daher setzte man auf Internationalität beim Publikum und beim Spielplan.
Doch das konnte natürlich nicht von heute auf morgen vollzogen werden. Sie kam nur schrittweise und zwischen den 20er Jahren und dem Einmarsch der Nationalsozialisten stand erst einmal die „katholische Ästhetik“ die jahrelang zum Markenzeichen Salzburgs wurde. Es herrschte eine „dramaturgische Symbiose von Katholizismus und kultureller Tradition vor“, die vor allem im Stück „Jedermann“ versinnbildlicht wurde.
Das Mysterienspiel „Jedermann“ stand als Metapher für Österreich. Seine Hauptfigur war ein den irdischen Genüssen verfallener, hartherziger Lebemann, der jedoch durch Buße und Barmherzigkeit zurück zu Gott fand. Es galt also ein Erlösungs- und Bußkonzept und die ganze Welt stand vor einem katholischem Gottesgericht. (21)
Auch in der neuen Regierung fand sich dieses Konzept schnell wieder. Kanzler Dollfuß gelang es, eine katholisch geprägte Diktatur aufzubauen, bei der das Recht nicht mehr vom Volk, sondern von Gott ausging. Die sozialen Rollen waren in dieser Diktatur unantastbar: „Herr bleibt Herr, Knecht bleibt Knecht.“ (23) Auch der so genannte Austrofaschismus wurde nun mehr und mehr begründet. Er legitimierte sich durch die Ansicht, dass der „österreichische Stamm, weil katholisch, der edlere im deutschen Gesamtvolk“ wäre.
Dennoch, auch trotz dieser politisch strengen und einschränkenden Hierarchie herrschten bei den Festspielen große Freiheiten. Menschen aus aller Welt strömten im Sommer nach Österreich und auch die Künstler gehörten jedem Volk und jeder Religion an.
Doch bereits 1933 begann sich vieles zu ändern. Hitler hatte in Deutschland die Macht erlangt und sah in den Salzburger Festspielen eine Konkurrenz zu denen in Bayreuth. Es folgten politische Konsequenzen: die Tausend-Mark-Sperre wurde verhängt und führte den österreichischen Tourismus, der eine der wenigen profitablen Branchen war, fast dem Ruin entgegen. Jeder deutsche Staatsbürger, der nach Österreich reisen wollte, musste eine „Ausreisegebühr“ von eintausend Reichsmark tragen. Dieses war das drei- bis vierfache des Monatslohns eines durchschnittlichen deutschen Arbeiters. Der Kartenverkauf für die Festspiele brach spürbar ein. Bald darauf folgte der nächste Schritt seitens Hitlers: deutsche Künstler sollten nicht mehr in Salzburg auftreten. Doch letztere Führeranweisung zeigte nicht die erhoffte Wirkung. Zwar nahm die Zahl der deutschen Sänger in Salzburg ab, doch dies führte lediglich zu einer weiteren Internationalisierung der Spiele.
1938, mit dem Anschluss Österreichs an Deutschland kamen dann die richtig tiefgreifenden Veränderungen. Wie auch in Nazideutschland wurde Kunst nun auch in Salzburg instrumentalisiert. Spielpläne und Ensemble wurde gemäß der Ideologie gesäubert, ausländische Besucher blieben mehr und mehr aus. Die Umsätze brachen völlig ein, teilweise gingen die Einnahmen um 2/3 zurück. Während des Krieges fanden die Festspiele zwar meistens statt – oftmals in einer gekürzten Fassung – aber die Besucher waren keine Opern-, Konzert- oder Theaterliebhaber mehr, sondern (verletzte) Soldaten oder Teilnehmer der Kraft-durch-Freude-Veranstaltungen, die man massenhaft herbeikarrte. Die Botschaft der Kunst hatte sich wieder verändert. Die Kriegsteilnehmer sollten sehen, dass es auch ihre ehrenhafte Aufgabe war, die deutsche Kunst: Wagner, Goethe aber auch Mozart zu retten. Die oberste Leitung der Spiele hatte Goebbels inne, da sich der Führer nur mäßig für Salzburg interessierte.
Gegen Ende des Krieges wurde es dann nahezu unmöglich das Fest weiter zu veranstalten. Die meisten der Bühnenarbeiter waren an die Front gezogen worden, ebenso das mögliche Publikum. Natürlich gab es eine Reihe von Sängern, die vom Kriegsdienst befreit waren weil sie als kulturell unersetzbar galten. Aber was sollte man in solchen Zeiten spielen – und vor wem? Mozart?
Nach dem Ende des Krieges begann dann wie überall die Aufarbeitung und vor allem auch die Entnazifizierung. Diese stand jedoch in Salzburg vor den selben Problemen wie im restlichen Dritten Reich: Wer sollte das Land führen, wenn die Personen mit den vermeintlich entsprechenden Qualitäten alle ausgesondert wurden? So kam es, dass es in Salzburg kaum wirklich harte Strafmaßnahmen gab. Die Repräsentanten der Kunst während und vor des Krieges standen oftmals auf nach dem Krieg wieder auf der Bühne.
Mit dem Kapitel des Ende des Krieges endet auch dieses Buch. Glücklicherweise verzichtet es auf einen Ausblick zu den heutigen Festspielen, sondern umfasst wirklich nur den Zeitraum und die Ereignisse bis 1945. Alle Bereiche der Salzburger Festspiele werden beleuchtet, auch wenn das Hauptaugenmerk auf der Oper und dem Schauspiel liegt. Politische Veränderungen und deren Auswirkungen auf die Kunst werden anhand vieler Beispiele verdeutlicht.
„Salzburg hört Hitler atmen“ ist ein sehr interessantes Buch, dass wieder einmal ein Beispiel dafür gibt, wie sich die Kunst ideologisieren, umdeuten und instrumentalisieren lässt. Besonders herausragend fand ich die Passagen über Toscanini, der sich als einer der wenigen wirklich immer gegen Diktatur und Ungerechtigkeit gewehrt hat – auch wenn es für ihn zur Folge hatte, dass er nicht nur seine Heimat Italien, sondern auch Deutschland und Österreich hinter sich lassen musste. Etwas zu kurz kam meiner Meinung nach Gustav Gründgens. Zwar wurde er als Goebbels Lieblingsschauspieler erwähnt, aber im Verhältnis zu anderen Sängern, Dirigenten oder Schauspielern wurde er doch zu wenig durchleuchtet.