„Seine Musik lächelt unter Tränen, behält selbst im stärksten Übermute den Einschlag eines wehmütigen Moll“ (Seite 115)
368 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Anmerkungen, Literaturverzeichnes, Werk- und Aufführungsverzeichnis mit Diskographie sowie einem Register. Gebunden mit Schutzumschlag. Dem Buch liegt eine CD mit sechs Operettenschlagern, gesungen von Stars ihrer Zeit, bei.
Verlag: Henschel Verlag, Berlin 2003
ISBN-10: 3-89487-451-1
ISBN-13: 978-3-89487-451-3
Zum Inhalt (Quelle: eigene Angabe unter Verwendung von Klappentext und Buchrückentext)
Kálmáns Biographie bewegt sich in Extremen: zwischen ungarischer Heimat und amerikanischem Exil, zwischen künstlerischem Triumph und privatem Bankrott. Der Mensch Emmerich Kálmán blieb zeitlebens melancholisch. Als Künstler jedoch war dieser schwermütige Musiker der leichteren Muse ein Dionysos der Operette, dessen Bacchanale noch immer mitreißen.
Frey schildert in seinem Buch mit großer Sympathie ein jüdisches Musikerschicksal. Von der Kindheit über die ersten Anfänge während des Studiums, die (für Kálmán in der Tat) goldenen Zwanzigerjahre, das Exil während der Naziherrschaft bis hin zur Rückkehr nach Europa und seinem Tod im Jahre 1953. Der Schwerpunkt des Buches liegt dabei auf dem musikalischen Weg Kálmáns. Frey gibt solcherart tiefe Einblicke in das Werk des Komponisten und seine Entstehung. Vor allem aus der Zeit seiner Ehe mit Vera, aus der drei Kinder hervorgingen, gibt es mehr Privates denn Musikalisches zu berichten. Was aber eher an der glamourösen Vera denn an Emmerich lag.
Über den Autor (Quelle: Verlagsangabe im Buch)
Stefan Frey, geboren 1962 in Heilbronn, studierte Theaterwissenschaft und Germanistik bei Dieter Borchmeyer in München und Heidelberg. Über Franz Léhar verörfentliche er neben seiner Dissertation eine Biographie. Nach Wanderjahren an verschiedenen Theatern und als leiter des Theaters an der Tenne, Maierhöfen, ist er nun publizistisch vor allem im Rundfunk tätig. Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in München.
Informationen im Internet
- < Klick > - hier der Wikipedia-Eintrag zum Autor
- < Klick > - der deutsche Wikipedia Artikel über den Komponisten
- < Klick > - eine Kurzbiographie auf der Website des Hauses der Deutschen Geschichte
- < Klick > - die Seite zu Kálmán (mit vielen Fotos) auf der Website seiner Geburtsstadt Siofok
- < Klick > - die Seite zum Komponisten des Museums der Stadt Bad Ischl
- < Klick > - das Werkverzeichnis auf operone.de
- < Klick > - die Seite zu Kálmán beim Operetten-Lexikon
- < Klick > - Festschrift des Verlages Josef Weinberger zum 50. Todestag des Komponisten (PDF-Datei!)
Weißt du, wie lang noch der Globus sich dreht / Ob es morgen nicht schon zu spät. (Seite 101, aus „Die Csárdásfürstin“)
Meine Meinung
„Unter Tränen lachen“ - so lautet der Titel des Buches. Der Globus dreht sich zwar immer noch, doch die Welt, aus der das Zitat stammt, ist unweigerlich untergegangen. Der Titel geht übrigens zurück auf einen Ausspruch von Viktor Léon, den Librettisten der „Lustigen Witwe“, und lautet im Ganzen: „Das Operettenpublikum will unter Tränen lachen. Das ist genau das, was wir Juden seit der Zerstörung Jerusalems nun schon zweitausend Jahre lang tun.“ (Seite 12) Es gibt kaum einen anderen Operettenkomponisten, auf dessen Musik diese Aussage mehr zutrifft, als Emmerich (eigentlich Imre) Kálmán.
Am 17. Juni 1915 war die Uraufführung von Kálmáns unumstrittenem Meisterwerk „Die Csardasfürstin“. Man stelle sich vor: erst nach 533 Ensuiteaufführungen beruhigte sich die Euphorie des Publikums; noch 1919 stand das Werk auf dem Spielplan des Johann-Strauß-Theaters in Wien und wurde sogar in Originalbesetzung als Stummfilm verfilmt! „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht!“, ist einer der Schlager daraus. Aber wer vermag die Schmerzen des Komponisten zu erahnen, die die Entstehung begleiteten? Denn just während der Instrumentierung dieser Nummer erhielt er die Nachricht vom Tod seines einzigen Bruders.
Irgendwie hatte ich mir einen Ohrwurm eingefangen und ich wollte mehr über den Komponisten wissen. In den Tiefen meiner Bibliothek schlummerte seit rund sechs Jahren dieses Buch; jetzt war die richtige Zeit dafür. Auch wenn ich nicht der Biographienleser bin, ließ mich das Buch nicht mehr los und ich habe es in wenigen Tagen gelesen, fast ständig mit passender Musik im Hintergrund. Der Untertitel „Eine Operettenbiographie“ deutet die Richtung an, in die das Buch geht. Wer eine Biographie in der Art „geboren am ... in ..., Kindheit so und so ...“ etc. pp. sucht, wird von dem Buch vermutlich enttäuscht sein. Der rein private Anteil ist nicht so sehr groß, wenngleich natürlich die wichtigsten Stationen im Leben des Komponisten beschrieben werden. Ein bißchen fühlte ich mich erinnert an die ersten Teile der vor über zwanzig Jahren im Fernsehen ausgestrahlten achtteiligen Serie über Guiseppe Verdi, in denen auch vor allem von der Musik Verdis, weniger von seinem Privatleben zu sehen ist. Ähnlich hier. Das Leben Kálmáns wird um seine Musik herum quasi nebenbei miterzählt.
Im Alter von 14 Jahren mußte er nach dem Konkurs der Firma seines Vaters bitter erleben, daß das Kind des wohlhabenden Kaufmanns willkommen, das Kind, welches nicht wußte, wohin es gehen sollte, jedoch unwillkommen war und fortgeschickt wurde. Und doch war es das Schlüsselerlebnis, das vielleicht zum Auslöser seiner musikalischen Karriere wurde. Und es war die Erfahrung, die ihn zum schwermütigen Meister der leichten Muse, wie er auch genannt wurde, machte.
Auf rund dreihundert Seiten ist eine enorme Menge an Informationen versammelt. Flüssig und gut lesbar geschrieben, doch beim ersten Lesen sicherlich nicht vollständig aufzunehmen und zu verarbeiten, zumindest wenn man (wie ich) wenig Vorkenntnisse hat. Viel liest man zur Entstehung der Kálmán’schen Werke, über Aufbau, Musik, die Streitereien und Schwierigkeiten vor der Premiere. Und manches mehr. Auf Seite 185 findet sich beispielsweise das Detail, daß in der Broadway-Premiere der „Zirkusprinzessin“ ein Engländer namens Archie Leach den Anzac spielte. Später ging er zum Film. Manche mögen ihn unter dem Namen Cary Grant kennen. Auch Namen wie Hans Moser oder Hans Albers tauchen auf. Spätestens seit diesem Buch weiß ich, daß die sog. leichte Muse gar nicht so leicht ist, weder in der Entstehung noch im Inhalt, in dem sich die Zeitumstände der Entstehung mehr spiegeln, als mir bislang bewußt war.
Das Werk wendet sich vor allem also an Musikinteressierte. Quasi nebenbei habe ich eine Menge über Operetten, was den Aufbau und die „üblichen Paarungen“ betrifft, gelernt. Faszinierend ist, wenn man bedenkt, wie viele auch heute noch bekannte Künstler damals gleichzeitig lebten und arbeiteten. Bartók und Kodály etwa waren Studienkollegen von Kálmán, ein Robert Stolz wirkte auch schon. Franz Léhar galt als sein größter Konkurrent (und es gab auch durchaus Animositäten zwischen ihnen), die beiden wiederum als die Begründer bzw. Hauptvertreter des Zeitalters der „silbernen Operette“. Ob es in hundert Jahren wohl viele gibt, an die man sich erinnern wird? Aber wer schafft heute schon noch über 500 Aufführungen eines Werkes?
Für mich persönlich neu war, wie viele der in Wien wirkenden Künstler Juden bzw. jüdischer Herkunft waren. „Wichtig“ wurde das erst im Zuge der Machtergreifung durch die Nazis, als erst der deutsche Markt wegbrach und dann das Leben in Österreich unmöglich wurde. Die Judenverfolgung hat hier ihr unrühmlichen Spuren hinterlassen, und auch Kálmán nicht verschont. Zwar konnte er mit seiner Familie rechtzeitig emigrieren, doch zwei seiner Schwestern starben bei einem Gewaltmarsch jüdischer Zwangsarbeiterinnen, der am 9. November 1944 eine Budapester Ziegelfabrik verlassen hatte. Der Tod dieser beiden hat ihn tief getroffen.
Als ich mir nach der Lektüre nochmals die „Csárdásfürstin“ angesehen habe, wirkte selbige unter dem Eindruck des Gelesenen ganz anders, durchaus nicht mehr so leicht und oberflächlich. Vor dem 1. Weltkrieg begonnen, während desselben fertiggestellt und uraufgeführt, erschien sie mir fast schon wie ein Schwanengesang auf eine untergehende, eine untergegangene Zeit. Es war wie unter Tränen lachen.
Kurzfassung:
Das Buch stellt Leben und vor allem Werk von Emmerich Kálmáns flüssig lesbar und detailreich vor. Der Rest ist Musik.
Edit. Link ergänzt
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