Der Assistent der Sterne – Linus Reichlin

  • Klappentext:


    Hannes Jensen, ehemaliger Inspecteur der Polizei von Brügge, hat einen Fehler gemacht: Während eines Seminars in Island schläft er mit einer Frau, die er kaum kannte. Als er nach Brügge zurückkehrt, zu Annick, die er liebt, trägt er am Hals noch die Spuren jener Nacht: Die Frau hat ihn gebissen, und dieser Liebesbiss entzündet sich. Jensen versucht, ihn mit einem Schal zu verdecken. Annick den Fehltritt zu gestehen, traut er sich nicht: Es würde nur ihre Beziehung gefährden, die ohnehin auf wackligen Füßen steht. Außerdem hat Annick im Augenblick andere Probleme, in die sie Jensen nach seiner Rückkehr einweiht: Ihrer besten Freundin geht es nicht gut. Ein afrikanischer Wahrsager hat ihr prophezeit, dass ihre einzige Tochter von einem Mann getötet werden wird, der ein Mal am Hals trägt.


    Jensen, ein leidenschaftlicher Hobby-Physiker, glaubt nicht ans Schicksal. Seiner Meinung nach ist das Leben eine Abfolge von Zufällen, nichts ist vorbestimmt. Aber die Ereignisse der nächsten Tage lassen ihn an seinem Weltbild zweifeln. Es scheint, als bekomme der Wahrsager mit seiner Prophezeiung recht. Je mehr sich Jensen gegen die schicksalhaften Verstrickungen wehrt, in die er gerät, desto weniger kann er ihnen entfliehen.


    Ein Roman über Schicksal und Zufall, über Liebe und Betrug – vom Krimipreisträger 2009.


    Angaben über den Autor:


    Linus Reichlin, geboren 1957, begann nach längeren Aufenthalten in Südfrankreich, Italien, Kanada Reportagen zu schreiben, für die er 1996 den Ben-Witter-Preis der ZEIT erhielt. Linus Reichlin lebt in Berlin.


    Eigene Meinung:


    Inhaltlich wird im Klappentext ja schon ziemlich viel erzählt, mehr möchte ich jetzt auch gar nicht preisgeben.


    Annick und Jensen führen m. M. n. eine recht abgekühlte Beziehung, passend zu der Wetterlage im eiskalten Island, wo das doch recht außergewöhnliche Seminar stattfindet.


    Ich fand es ganz schön mutig, dass Jensen einfach seine Polizei-Karriere aufgibt, um sich seinem Hobby –der Physik- zu widmen. Aber Mut wird er noch öfter beweisen müssen.


    Die Affäre mit einer ungewöhnlichen Frau scheint weitreichende Folgen zu haben, denn „Femme fatale“ hinterlässt ihre Spuren.


    Der Kriminalroman enthält Spannung, Tiefgang, Wissenschaft (Physik), aber auch Übernatürliches (Wahrsagen). Und genau dieser Mix macht das Besondere an diesem Buch aus.


    Es ist kein Pageturner, doch mag man das Buch auch nicht aus der Hand legen. Es ist der zweite Band aus der Jensen-Reihe, ich hatte den ersten nicht gelesen und dennoch hatte ich nicht das Gefühl, ich vermisse eine Vorgeschichte. Da mir dieser Band aber gut gefallen hat, setzte ich den ersten einfach auf meine Wunschliste.


    Ich empfehle all denjenigen, die der Mantik, dem Wahrsagen nicht allzu kritisch gegenüberstehen, diesen außergewöhnlichen Kriminalroman eine Chance zu geben, wenn er auch manchmal etwas Abgehoben wirkt.


    Von mir bekommt er 7 Punkte.

  • Meine Meinung: Hannes Jensen ist ehemaliger Inspecteur der Brügger Polizei. Er hat seinen Dienst quittiert, um seiner Liebe zur Physik nachzugehen. Als er einer Einladung seines Physik-Professors nach Island annimmt, ahnt er nicht, dass er dort die Frau kennen lernt, vor der ihn ein Wahrsager kurz zuvor gewarnt hatte. Als „Erinnerung“ an die mit ihr verbrachte Nacht, behält er eine schmerzende Bisswunde am Hals. Wieder zurück in Brügge bittet ihn seine große Liebe Annick, einer Freundin beizustehen, der von einem Wahrsager prophezeit wurde, dass ihre Tochter ermordet werden soll. Von einem Mann, der ein Mal an seinem Hals trägt. Immer rascher entwickeln sich die Dinge tatsächlich in diese Richtung und bald sieht es so aus, als würde die Prophezeiung eintreten.


    Mit einer fast nordischen Kühle kommt dieser Kriminalroman daher. Kein Thriller, mit Unmengen an Blut und Gewalt, sondern eher leise Töne und sprachliche Eleganz, das ist es, was ihn so auszeichnet. Es finden sich viele kleine philosophische Ausflüge in die Physik, die sich perfekt in die Handlung einfügen. Man hat nicht den Eindruck, dass das Sinnieren von Jensen die Spannung nimmt, oder den Verlauf stört – Im Gegenteil, es verleiht dem Stoff einen zusätzlichen Charme. Naturwissenschaftliche Nüchternheit trifft auf das unerklärliche Phänomen eines Wahrsagers, der seine Vorhersagen mittels eines Erdgeistes trifft. Der Ex-Inspecteur versucht auch hier immer wieder rationale Erklärungen zu finden und sein ganz spezieller Humor passt zu dem hervorragend ausgearbeiteten Plot. Traurig, komisch, skurril und nachdenklich stimmend, dass sind die Eindrücke, die das Buch bei mir hinterlassen hat. Was Anspruch und Lesefreude betrifft, so würde ich Vergleiche mit Tana French oder Fred Vargas ziehen, den einzigen beiden Autoren, die ich bisher genauso fasziniert gelesen habe, wie Linus Reichlin. Ich wünsche mir noch sehr viel mehr von diesem Autor.


    Mein Fazit: Anspruchsvoll, keine Massenware, sprachlich schön und aufregend – vielleicht sollte man ein ganz klein wenig Zugang zur Physik haben, doch das ist kein Muss. Ein Lesetipp für Krimileser, die das Besondere suchen.


    Eine Leseprobe, damit man sich ein Bild vom Stil machen kann:


    Einsamkeit war letztlich ein physikalisches Phänomen. Kurz nachdem das Universum zu existieren begonnen hatte, waren die Materieteilchen entstanden, und zwar stets paarweise: ein Teilchen und ein Antiteilchen. Diese Paare vernichteten einander sofort nach ihrer Entstehung gegenseitig, übrig blieb nur Strahlung. Aber weil damals unvorstellbar viele Teilchen entstanden, kam es zu einer statistischen Unregelmäßigkeit: Eines unter einer Milliarde Teilchen wurde ohne Partnerteilchen erzeugt. Während alle anderen Teilchen sich ihrer Bestimmung gemäß paarweise in einem Strahlungsblitz auflösten, flog dieses Teilchen einsam durch die Weiten des fast vollständig leeren Raumes. Es suchte nach einem Partner, aber es gab keinen. Dadurch entging es zwar seiner Vernichtung, aber seine Existenz hatte von Anfang an etwas Melancholisches. Auf seinem Weg durch den Raum traf es auf andere Teilchen, die wie es auch Opfer der statistischen Schwankungen geworden und gleichfalls partnerlos geblieben waren. Diese Einzelgänger bildeten nun Gemeinschaften, Banden, ähnlich wie junge Männer ohne Freundin. Sie schlossen sich zu Atomen zusammen, später zu Molekülen, sodass heute alles, was im Universum existiert, einschließlich der Menschen, sich aus jenen einsamen, miteinander kooperierenden Teilchen zusammensetzte. Es war, als ob diese einzelgängerischen Teilchen ihre fundamentale Unvollständigkeit durch die Bildung immer komplexerer Gemeinschaften zu kompensieren versuchten…