Vergangenheitsschuld: Beiträge zu einem deutschen Thema - Bernhard Schlink

  • Mit “Vergangenheitsschuld” liefert Bernhard Schlink ein kleines Buechlein mit sechs Essays, die es in sich haben. Die Frage, wie eine Kollektivschuld entstehen und Generationen spaeter noch beeinflussen kann, hat keine einfache Antwort. Als Deutsche ist dies ein Thema, das mir selber sehr am Herzen liegt und seit Jahren meine Gedanken beschaeftigt, ohne dass ich sie dabei in Worte fassen koennte. Ich hatte daher hohe Erwartungen an Bernhard Schlink diese Gedanken zu artikulieren – und wurde nicht enttaeuscht.


    Die deutsche Erfahrung des Dritten Reiches steht hier im Mittelpunkt. Aber im Gegensatz zum Untertitel des Buches - Beitraege zu einem deutschen Thema - ist Kollektivschuld nicht nur in Deutschland im Gespraech, sie kann in der ganzen Welt und Geschichte gefunden werden, sei es fuer die Amerikaner und die Sklaverei, die Briten mit ihrer Geschichte in Indien oder die Kanadier mit ihren Indianern. Und die Liste koennte noch lange weiter gefuehrt werden. Schlink nutzt seine Kenntnisse der deutschen Geschichte in diesen Essays, Parallelen zu anderen Situationen lassen sich aber sehr leicht ziehen. Und somit wird dieses Buch fuer jeden Leser auch ueber die deutschen Grenzen hinaus relevant.


    Schlink entwickelt seine Argumentation sorgfaeltig Schritt fuer Schritt. So kann sie auch von einem in juristischen oder historischen Details eher unerfahrenen Leser gut verfolgt werden. Auch wenn sich ein paar Zeilen hier und da arg juristisch anhoeren, so ist das Buch insgesamt doch sehr leicht lesbar. Mir gefiel Schlinks preziser Schreibstil schon in seinen Romanen und Krimis, in seinen Essays ist er genauso gut.


    Es werden die Begriffe der Schuld eines einzelnen Menschen und der Kollektivschuld sowohl vor historischen als auch juristischen Hintergrund definiert. Auch das Konzept der “Vergangenheitsbewältigung” wird sehr gut beleuchtet.


    Bernhard Schlink erklaert sehr gut wie die Prozesse des Vergebens und Versoehnens funktionieren koennen, wie sie beitragen koennen Gefuehle der Kollektivschuld im Laufe der Zeit zu verringern. Das sollte nicht mit Vergessen gleich gesetzt werden. Und so hinterlaesst dieses Buch nicht nur ein besseres Verstaendnis fuer eine komplexe Problematik sondern auch etwas Hoffnung fuer die Zukunft.


    “Vergangenheitsschuld” mag ein recht duennes Buch sein, liefert aber eine Menge Stoff zum Nachdenken. Es beschaeftigt mich auch noch lange nach dem Lesen der letzten Seite. Und so gehoert es zu den wenigen Buechern, die ich mir auch noch kaufen moechte nachdem ich eine geliehene Kopie gelesen hatte. Ich moechte zurueckgehen koennen um einige der Gedankenanstoesse nachzulesen und meine eigenen Ueberlegungen zu vertiefen.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Ich hab dieses Buch unter dem deutschen Titel eingestellt. Gelesen hab ich allerdings eine englische Ausgabe, die dieses Jahr neu aufgelegt wurde. Und in diesem Fall ist es KEINE Uebersetzung. Bernhard Schlink hat diese Essays 2008 auch auf englisch selber geschrieben fuer eine Vorlesungsreihe an der Universitaet von Oxford. Die deutsche und englische Ausgaben sind auch inhaltlich nicht ganz identisch. Amazon hat ein paar Seiten zum reinlesen, da sieht man ein etwas anderes Inhaltsverzeichnis. Und auch der Text ist ein wenig anders.


    Obendrein hat sich Schlink im englischen Essay der Herausforderung gestellt, den Begriff der "Vergangenheitsbewältigung” zu uebersetzen. Ein Konzept, das es in keiner anderen Sprache gibt. Er hat es als "Mastering the Past" uebersetzt, was damit einen Prozess beschreibt, der einiges an Engagement und Arbeit verlangt, aber auch ein Ziel - ein Ende haben sollte. Ganz bewusst anders als Leo es angibt. Sehr interessant geschrieben!

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Herzlichen Dank für diese Rezi. Das Buch scheint absolut lesenswert zu sein. Gerade in den Bereichen "Persönliche Schuld/Kollektivschuld" gibt es leider nur sehr wenig zu lesen, gerade auch dann, wenn man nicht nur am psychologischen Aspekt sondern auch an der juristischen Sichtweise interessiert ist.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.