Zwischen allen Wolken - Michael Gantenberg

  • Über den Autor
    Michael Gantenberg (geboren 1961) war WDR-Radiomoderator, Gastgeber des Satiremagazins »Extra 3« und schrieb u.a. für DIE ZEIT und die FAZ. Für die RTL-Komödie »Ritas Welt« erhielt er den Grimme-Preis und den Deutschen Fernsehpreis. Er entwickelte »Alles Atze« und »Nikola« und schrieb als TV-Autor für den »Großen Deutschtest« (mit Hape Kerkeling) und die Krimireihe »Unter Verdacht«. Im Jahr 2009 erschien sein Romandebüt »Neuerscheinung«. Michael Gantenberg lebt mit seiner Familie in der Nähe des Sauerlandes.


    Kurzbeschreibung
    Es ist Frühling auf Nördrum in der Nordsee. Die Abiturientin Gesa muss sich entscheiden, ob und warum sie die Insel endlich mal verlassen will. Da stürzt ihr Bruder aus sehr heiterem Himmel mit seinem Fallschirm ab. An diesem todtraurigen Tag verändert sich alles: Gesas Vater flieht, ihre Mutter schenkt nach Wochen der Trauer all ihre Liebe einer Ente namens Jean-Pierre, auch Tante und Oma benehmen sich maximal merkwürdig. Und Gesa muss in diesem Sommer ein paar fette Wolken beiseite schieben, um so erwachsen zu werden wie nötig und so glücklich wie möglich.


    Ein wundersamer Roman über eine junge Frau und ihre schräge Familie, über Sommer und Abschied, die erste große Liebe, über die Treue der Enten und das Lachen der Sandflöhe


    Meine Rezension
    Die Abiturientin Gesa will ihre Heimat, die Insel Nördrum, am liebsten sofort nach dem Abitur verlassen. Es muß doch noch mehr geben als das öde Leben auf der Insel? Doch dann stirbt ihr Bruder bei einem Fallschirmsprung, buchstäblich alles wird anders und ein Jahr später hängt sie immer noch auf der Insel fest und hilft ihrer Mutter in der Pension „Möwennest“.


    Das Buch erzählt Gesas Geschichte, aber auch die ihrer leicht verrückten Familie vor und nach dem Schicksalsschlag.


    Ich muß gestehen, ich hatte anfangs erst so meine Probleme, wirklich in die Geschichte hineinzufinden. Die nordischen Namen der männlichen Protagonisten, Wilko, Onno und Malte, die hakten beim Lesen bei mir einfach – aber das ist natürlich mein persönliches Problem, da kann der Autor rein gar nix für. Einzig, dass Wilko seine Schwester nie mit ihrem Namen, sondern immer nur mit „Schwesterchen“ angesprochen hat, hat mich wirklich gestört.


    Auch Wilko hat sich nicht unbedingt sofort in mein Herz geschlichen: zu positiv erscheint er mir. Ein Strahlemann, ein Tausendsassa, einer der in allem, was er tut, einfach nur perfekt ist und einer, der die Sonne scheinen lässt, sobald er nur den Raum betritt. Dies ist der Eindruck, den er eingangs vermittelt. Doch später spürt man schon, dass nicht alles Gold ist, was glänzt und dass auch Wilko so seine schattigen Momente hatte.


    Selbst nach seinem Tod ist Wilko noch immer präsent, zumindest für seine Schwester, der er immer wieder erscheint und mit ihr spricht, streitet, diskutiert.


    Ich bin wie gesagt, nur langsam in die Geschichte hineingekommen – doch je länger ich von den Bewohnern des Möwennests und ihren ganzen Macken und Eigenheiten gelesen habe, desto besser hat mir das Buch gefallen.


    Ein schräger und doch liebenswerter Haufen ist es, der hier zusammenwohnt. Eine Familie, die man gerne kennenlernen möchte. Eine Familie, die einen schweren Verlust erlitten hat und – jeder auf seine Weise – wieder langsam ins Leben zurückfindet.


    „Zwischen allen Wolken“ ist ein Buch über Abschied, Erwachsenwerden und Neuanfang. Alles in allem habe ich es – nach anfänglichen Schwierigkeiten – gerne gelesen.


    Auf der 10-Punkte-Skala würde es gute 8 Punkte von mir bekommen.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Angenehme Überraschung


    Jeder hat das Recht auf eine zweite Chance. Michael Gantenbergs Romandebüt "Neu-Erscheinung" war meiner Meinung nach eine Bauchlandung, und zugleich ein gutes Exempel für die seit einiger Zeit mit schwachen Geschichten, (meistens) aber fetten Marketingetats auf den Belletristikmarkt drängenden Comedy-Autoren.


    Doch sowohl der Verlag, als auch der Autor haben sich etwas getraut, und zwar etwas Verblüffendes. Der zweite Roman des Grimme-Preisträgers liest sich, als würde er von einem anderen Schriftsteller stammen. Von einem sehr viel besseren.


    Die neunzehnjährige Gesa lebt auf Nordrüm, einer fiktiven Nordseeinsel, auf der sich im Sommer die Urlauber tummeln. In Vor- und Nachsaison sind es kinderlose Paare, die die Pension "Möwennest" aufsuchen, weil Gesas Oma übersinnliche Fähigkeiten zu haben scheint. Jedenfalls stellt sich nach einer Wattwanderung mit ihr fast immer der Kindersegen ein.
    Gesas empfindet Hassliebe für ihre Heimatinsel. Einerseits mag sie das überschaubare Geschehen, das Treiben in der mütterlichen Pension, ihre persönlichen Orte, die sie zumeist mit dem geliebten Bruder teilt, und die es so nur auf dieser Insel gibt. Andererseits will alles in ihr weg, und zwar möglichst weit, aber warum genau, das weiß Gesa nicht. Dann stirbt der Bruder bei einem Fallschirmsprung, und alles wird anders.


    Aus Gesas Sicht und in einem angenehmen, fein-ironischen Duktus erzählt Gantenberg eine recht vielschichtige, tragikomische Coming-of-Age-Geschichte, die zwar hier und da etwas zu stark mit Klischees geflutet wurde, und in der gegen Ende leichte Erklärungsebbe herrscht, die aber insgesamt trotzdem überzeugt. Nicht jedes Motiv - etwa dasjenige mit dem verstorbenen Bruder, der sich Gesa monatelang als "Berater" zeigt - ist neu, und manch eine Episode - etwa das Auftauchen des Daily-Soap-Filmteams - scheint keinen besonderen Zweck zu erfüllen, aber in der Summe bietet "Zwischen allen Wolken" sehr empathischen, freundlichen und erfreulichen Lesestoff, solides Futter für Tränendrüse und Lachmuskel. Das Leben auf der kleinen Insel wird nachgerade spürbar, und das gilt für Gesas Ängste, Zweifel, Wünsche und Probleme auch. Eine schöne Geschichte über Heimat, Liebe, Familie, große Ideen und das kleine Glück. Die hohe Katastrophendichte im letzten Drittel hätte in dieser Massierung vielleicht nicht sein müssen, aber Gantenberg muss ja auch etwas übrig bleiben, das er im dritten Roman besser machen kann.


    Also, geht doch!

  • Nach Gantenbergs unterirdischem Roman "Neu-Erscheinung" war mir klar: von dem liest du nie wieder ein Buch. Doch dann las ich die obenstehenden positiven Rezis und geriet ins Wanken. Als es "Zwischen allen Wolken" nun als HC zum kleinen Preis gab, habe ich zugegriffen - und wurde sehr positiv überrascht.


    Tatsächlich liest sich dieser Roman so, als stamme er aus der Feder eines gänzlich anderen Schriftstellers. Warmherzig und leicht ironisch wird von den Geschehnissen auf der kleinen Insel erzählt, samt Dramen und Liebeskummer. Die Figurenzeichnung halte ich für sehr gelungen, auch wenn ich wie batcat anfangs meine Probleme mit den Namen hatte. Das schmälerte aber nicht die Leselust, und so las ich die rund 320 kleinformatigen Seiten an einem Tag und klappte das Buch mit einem guten Gefühl zu.


    Ein schöner Roman übers Abschiednehmen und über das Erwachsenwerden, mitunter melancholisch, aber auch leichtfüßig erzählt. Zwar nicht rundum perfekt, aber im Wesentlichen überzeugend.