Literarische Weltreise: Mongolei
Der Roman beginnt mit Kindheit des Autors in der mongolischen Steppe, die sich eigentlich schon dem Ende neigt: Sein großer Bruder, Lehrer an einer der neuen kommunistischen Schulen, kommt ihn zu holen. Was wir noch von seiner Kindheit erfahren, spiegelt wohl die Nöte von Kindern überall auf der Welt wieder: von den Eltern und seiner Sippe unverstanden, wünscht er sich nur, abzuhauen. Er möchte nämlich Schamane werden, ein Berufswunsch, dem seine Umwelt wenig Verständnis entgegen bringt, gab es doch in seiner Familie noch nie einen Schamanen.
Trotzdem ist es für ihn ein Schock, als er so unvermittelt aus dieser Welt gerissen wird und im Internat landet. Wie anders ist doch diese Welt, zum ersten Mal in seinem Leben sieht er eine Treppe, die Häuser, selbst die Umzäunungen sind eckig und dann muss er auch noch seine mongolische Kleidung gegen eine Schuluniform tauschen.
Das Schlimmste jedoch: er soll zu einem kommunistischen mongolischen Bürger erzogen werden, die Sprache seines Volkes Tuwa ist verboten, und vor allem, die Religion soll ihm ausgetrieben werden.
Die Schilderung diesen ersten Jahres Galsans in der Schule bietet tiefe Einblicke in die frühsozialistische Mongolei, ihren Hoffnungen und ihren Fehlern. Lehrer, die selbst noch in der Jurte aufgewachsen sind, sollen ihres Schüler von der Rückschrittlichkeit dieser Lebensweise überzeugen, den Geisterglauben austreiben und ihnen beibringen, die Partei anstelle der Natur als höchste Instanz zu betrachten. Dabei beschreibt Tschinag treffend und durchaus auch humorvoll, wie die Macht einzelne Menschen korrumpiert oder wie ursprüngliche sinnvolle Maßnahmen, zum Beispiele gemeinschaftliche Arbeitseinsätze, ins Absurde abdriften, etwa wenn mangels sinnvoller anderer Arbeit mit weißen Steinen sozialistische Parolen in den Berghang geschrieben werden müssen.
Dennoch, dieser Roman ist frei von jeder Weinerlichkeit, früher war nicht alles besser, und es ist auch keine Heile Welt, in der die traditionellen Nomaden lebten. Selbst Galsans Schamanen, das leicht ins Esoterische abgleiten könnte, wird angenehm bodenständig und ohne Verklärungen geschildert. Das liegt sicher auch daran, dass diese Religion so gar nichts mit dem Bild der Naturreligionen, wie es von unterbeschäftigten Mitteleuropäerinnen gezeichnet wird, zu tun hat. Die ist nämlich alles andere als friedlich, sondern streckenweise sehr brutal, dann wieder ausgesprochen pragmatisch, manchmal eklig und ganz oft einfach schwer nachzuvollziehen. Wie übrigens auch so mancher Vergleich, der im Buch gezogen wird: „groß wie der Pansen eines ausgewachsenen Hammels“ ist für den gemeinen Mitteleuropäer nur bedingt hilfreich.
Dieses Buch war für mich eine sehr positive Überraschung, hatte ich bis dato weder mit Naturreligionen, noch mit der Mongolei was am Hut. Ersteres wird auch so bleiben, aber die Mongolei habe ich nun zumindest auf der literarischen Landkarte