Ascona – Curt Riess

  • Geschichte des seltsamsten Dorfes der Welt


    Europa-Verlag, 215 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    "Ascona, Gemeinde im Kanton Tessin, Schweiz, am rechten Ufer des Lago Maggiore, 202 m ü. M., Sommerkurort"; viel mehr sagt das Lexikon nicht über das "seltsamste Dorf der Welt", dessen bewegte Geschichte Curt Riess so köstlich unterhaltend für uns aufgezeichnet hat.
    Was macht denn nun dieses Ascona so seltsam, doch nicht seine Lage, die es - unbestreitbar herrlich und idyllisch - auch mit anderen Sommerkurorten teilt? Also sind es wohl seine Bewohner, eine bunt gemischte Prominenz, die hier sozusagen "unter sich" lebt. So war es wenigstens früher, heute leben dort noch mehr die viel weniger interessanten Millionäre.
    Curt Riess aber beginnt seine Geschichte schon viel früher, als Ascona noch beinahe der einzige Ort war, wo es gleichgültig war, ob man Geld hatte oder nicht, und wo es nur darauf ankam, "dass man etwas zu sagen hatte" Zu sagen hatte eigentlich jeder etwas, ja mehr noch, man tat sogar etwas, sei es, dass der Fabrikantensohn Henri Oedenkoven seine Naturheilstätten auf dem von ihm benannten "Monte Verità" erbaute, die viel Aufsehen erregten, oder dass ein Rolf Liebermann während des Zweiten Weltkrieges, als ausserhalb der Grenzen Krieg und Verwüstung herrschten, Flüchtlingskinder in die Schule nahm. Emil Ludwig, Mary Wigman, Erich Maria Remarque, berühmte Persönlichkeiten, die hier Ruhe und Sicherheiten suchten. Und um jeden spinnt sich eine Geschichte, gibt es heitere und besinnliche Anekdoten, die - hier zusammengetragen - die Atmosphäre eines Dorfes vermitteln, das zu Recht Weltberühmtheit erlangte.


    Über den Autor:
    Curt Riess ist das Urbild des Allroundjournalisten, wie es ihn heute kaum noch gibt. Etwa 90 Bücher zu den verschiedensten Themen stammen aus seiner Feder. Viele davon sind nicht nur in Deutschland Bestseller geworden, zahlreiche seiner Bücher sind in Amerika auf engslisch und in Frankreich auf französisch erschienen, auch einige von ihnen Bestseller.
    Er begann als Sportreporter bei Ullstein, arbeitete als jüdischer Emigrant nach 1933 für "Paris Soir", berichtete später aus USA für 25 europäische Blätter, arbeitete im Krieg eng mit dem Geheimdienst-Chef Allen Dulles zusammen, war Kriegsberichter, kehrte als amerikanischer Offizier auf Wunsch von General Clay kurz vor der Blockade in die ehemalige Reichshauptstadt zurück, lebte seit 1955 als Publizist und Theaterkritiker in der Schweiz. Er war verheiratet mit der Schauspielerin Heidemarie Hatheyer.
    Er starb 1993 in Scheuren.


    Meine Meinung:
    Curt Riess schreibt in diesem Buch von 1964 nicht nur etwas über Ascona und seine Einwohner sondern vielmehr über Europas Geschichte in der erste Hälfte des 20.Jahrhunderts, mit Ascona als Standort und Blickwinkel.


    2 Blöcke mit Fotos und ein Namensverzeichnis sind im Buch integriert.


    Viele Künstler haben Ascona für kurze oder auch längere Zeit aufgesucht. Manche werden nur mal erwähnt, wie Gerhard Hauptmann, Thomas Mann oder Emil Jannings.
    Andere nehmen einen wichtigen Anteil über einen längeren Zeitraum ein, z.B. der Schriftsteller Erich Mühsam, der, wenn er in Ascona geblieben wäre, vielleicht nicht in einem Konzentrationslager ermordet worden wäre. Oder Emil Ludwig, der in Ascona Zeiten der Erfolglosigkeit wie des Ruhm verbrachte und erst zum Ausbruch des 2.Weltkrieg die Schweiz Richtung USA verlassen hatte. Erich Maria Remarque wurde von Marlene Dietrich gedrängt, die Schweiz ebenfalls zu verlassen. Für Aufsehen in Ascona sorgte auch die Malerin Marianne von Werefkin. Es gibt viele amüsante Anekdoten, zum Beispiel über die leicht exzentrische Else Lasker-Schüler, die sich Der Prinz von Theben nannte.


    Episoden drehen sich um Vegetarier, um Nudisten und Nackttänzerinnen, um Dadaisten, um Cafes, oder wie Rolf Liebermann Flüchtlingskinder unterrichtete und vieles andere.
    Ries erzählt aber auch von den politischen Umwälzungen, wie dem ersten Weltkrieg, Hitlers Machtergreifung in Deutschland und sein Einmarsch in Österreich 1938 und dem erneuten Kriegsausbruch.


    Viel passiert, doch in Ascona scheint die Zeit still zu stehen.


    Curt Riess schlägt ein hohes Tempo vor, so wird es nie langweilig. Sein Stil ist alles andere als trocken oder nüchtern. Dafür verwechselt er auch schon mal einen Vornamen. So heißt Einstein bei ihm Alfred. Manchmal scheinen mir seine Ausführungen zu flüchtig, die Kapitel zu kurz für das, was alles passiert.
    Dennoch beeindruckt die Reichhaltigkeit dieses Buches und trotz des Alters des Buches die Frische, die es ausstrahlt.

  • Guten Abend Herr Palomar


    ich habe hier noch eine Seite, wo man den Erich Mühsam nackt bewundern kann. Er sitzt am Wasserfall neben einer alten Mühle, die sich in der Nähe von Ascona befindet.
    Man kann auch einiges Nachlesen über die Geschichte der MULINO DEL BRUMO. In ihren alten Gemäuern haben eine ganz Reihe bekannter Leute mal gewohnt, über längere oder kürzere Zeit. Vor allem war sie Unterschlupf für Menschen mit wenig Geld, weil sie etwas baufällig und daher sehr günstig zu mieten war.
    In den 70er-Jahren hat der Heiner Hesse, Sohn Hermann Hesses, die Mühle gekauft und bis zu seinem Tod dort gewohnt.


    ------------>KLICK :wave

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    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

  • Das ist der Grabstein von der Werefkin.



    Das kleine Namensschildchen vergrössert:



    Und hier ----->KLICK habe ich Dir noch einen Link zu einer Seite von ticinARTE, wo Du ein Foto von der Werefkin sehen kannst und einiges über ihr Leben erfahren kannst....
    Ganz zuunterst beim Text findest zu einen Link wo die neue Biografie über die Werefkin besprochen wird.

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  • In Curt Riess´Ascona wird Marianne von Werefkin öfters erwähnt.
    Sie war mit Else Lasker Schüler befreundet. Es gibt da auch eine witzige Anekdote über ihre exzentrischen Hüte.


    Curt Riess schreibt außerdem: 1938 starb sie und es kam zu einer Beerdigung, wie sie Ascona nie zuvor erlebt hatte.
    Die Beerdigung wurde nach streng russischen Riten durchgeführt. Die Grabrede hielt der Pope auf russsich, deutsch und italienisch. Das ganze Dorf nahm an der Beerdigung teil, und alle, die die Werefkin gekannt hatten - und wer in Ascona hatte sie nicht gekannt? - weinten.


    Ihr letzter Wunsch war gewesen, dass man auf dem Kreuz auf ihrem Grabe ihr Alter nicht vermerkt. Es wurde ihr erfüllt.




    Joan, danke für das tolle Foto!
    Dann werde ich gleich mal in deinen Link sehen! :-)

  • Herr Palomar


    ob jene Geschichte vom Max Emden und der Werefkin auch im Buch vom Riess steht? Ich müsste das auch mal wieder lesen.


    Der Max Emden bewohnte die Brissago-Inseln, nicht weit vom Uferdorf Ascona in Lago Maggiore gelegen. Er war Multimillionär. Als er hörte, dass die Werefkin nahe am Verhungern war, schickte er seinen Diener oder Chauffeur bei der Werefkin vorbei um ihr ein Bild abzukaufen....egal was für eines!
    Die Werefkin verweigerte einen Verkauf....sie würde nur denjenigen Menschen Bilder verkaufen, die diese Bilder auch zu schätzen wüsssten, und das täte der Herr Emden nicht, wenn er sich nicht einmal die Mühe mache, selber vorbei zu schauen.....


    Jaja, sie war sehr eigensinnig und auch sehr selbstbewusst, die Marianne v. Werefkin, sie bewahrte sich ihre Würde auch in der allergrössten Armut. :anbet


    Ueber den Emden habe ich übrigens vor kurzer Zeit eine Biografie gelesen....seehr spannend, sehr informativ in diversesten Bereichen: kulturelle, politische und der damaligen Gepflogenheiten in den Welten des Geschäftemachens....

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  • Über Max Emden gibt es ausführliche Abschnitte im Buch.


    Kein Wunder, dass er nicht bei der Werefkin persönlich vorbeikam.
    Er lebte mit einer 18jährigen Brasilianerin zusammen, von den Leuten aus Ascona "Würstchen" genannt.
    Max Emden hat auch sonst viele junge Mädchen, kaum über 16, an seinen Schwimmingpool eingeladen.


    Ach ja, die Passage mit dem Bild ist im Buch drin. Seite 105.

  • In meinem obigen Posting habe ich noch Text beigefügt....weil ich grad vor Kurzem eine Biografie über den Emden gelesen habe.
    In dieser Biografie werden diese "Mädchen-Geschichten" doch sehr relativiert....
    In Ascona blühte halt - wohl auch durch diese vielen eigenartigen "Spinner", die sich dort zeitweise ansiedelten - auch der Klatsch und Tratsch :grin

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  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Außerdem hat der Kriegsausbruch dem fröhlichen Leben ein Ende bereitet, die jungen Mädchen waren in alle Himmelsrichtungen zerstoben.


    Max Emden starb 1940. Würstchen erbte nichts.


    Ja, der Kriegsausbruch hat auch für das kleine Dörfchen Ascona einiges an Veränderungen gebracht....viele, die bis dahin gut gelebt haben dort, denen ging dann langsam das Geld aus.
    Es kamen andere, viele Menschen waren auf der Flucht, blieben nur eine kurze Zeit lang, einige blieben für immer....


    Es hat sich sogar der eine und andere Nazi-Spitzel dort eingenistet....einer davon hiess glaubs Ammer....man munkelte, dass der auch dem Remarque auf den Fersen war.
    Auch Remarque hat das Tessin kurz vor Kriegsausbruch verlassen, ging nach Amerika und ist erst viele Jahre später wieder zurückgekommen.


    Ueber die Biografie Max Emdens habe ich übrigens eine Rezi geschrieben, sie ist mir nur leider etwas zu ausführlich geraten :rolleyes :grin

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  • Herrr Palomar


    kennst Du den Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser? Er ist vor allem durch seine Kriminalromane um den WACHTMEISTER STUDER bekannt geworden.


    Von ihm gibt es ein dünnes Büchlein DADA, ASCONA UND ANDERE ERINNERUNGEN, in dem er paar Stationen seines Lebens beschreibt, so auch seinen Aufenthalt damals in Ascona.
    Das kann ich Dir wärmstens empfehlen....es ist so oder so ein literarisches Kleinod.


    HIER entlang gehts zur Rezi

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