Ungewöhnliche Erzählperspektiven in Romanen

  • Die Ich-Form ist sehr verbreitet, auch allwissende Erzähler sind beliebt, usw.


    Manche Schriftsteller nutzen aber ungewöhnliche Erzählperspektiven, die aus dem Rahmen fallen.


    In Jeffrey Eugenides The Virgins Suicide erzählt ein Kollektiv, fast wie ein Chor.
    Ebenso wird in Günter Grass Ein weites Feld immer so gesprochen: "Wir vom Archiv", also auch ein namenloses Kollektiv.


    In Titus Müllers Die Jesuitin von Lissabon wird zwischendurch eine Erzählperspektive von einem Hund eingenommen.


    Jetzt lese ich gerade „Das Lachen des Geckos“. Ein Roman aus der Perspektive eines Geckos!


    Bei manchen Romanen wechselt die Perspektive häufig. Dadurch kann ein besseres Gesamtbild entstehen.
    Autoren wie Antonio Lobo Antunes oder auch manchmal Orhan Pamuk jedoch kündigen im Roman die Wechsel kaum oder gar nicht an, die vielen Perspektiven gehen manchmal sogar ineinander auf. Das kann schnell verwirrend werden, wenn man nicht höllisch aufpasst.


    Trotzdem finde ich so etwas immer reizvoll zu lesen.
    Spannend wird es zum Beispiel, wenn mehrere Erzähler über das gleiche Ereignis unterschiedliche Wahrnehmungen haben. Oder wenn sie sich in verschiedenen Zeitebenen aufhalten.


    Hier wurden auch schon einmal ein paar Bücher zu diesem Thema aufgezählt: S: Bücher über verschiedene Persepktiven


    Extrembeispiel: Bei William Gaddis gib es manchmal keinen Erzähler mehr, sondern nur noch Dialoge.


    Mich würde interessieren, was ihr bevorzugt. Wo sind bei euch die Grenzen? Wie viel Perspektiven sind erträglich, welche sind die interessantesten.
    Und bei welchem Buch hat euch das Spiel mit den Erzählperspektiven am meisten beeindruckt?

  • Also ich mag zum Beispiel Briefwechsel sehr sehr gerne. Das gibt dem Buch irgendwie einen besonderen Flair :)


    Ebenso gern mag ich die Erzählung aus Sicht mehrerer, nicht zu vieler Personen, so 3-4 verschiedene Perspektiven machen Bücher meistens extrem kurzweilig =).


    Was ich gar nicht mag sind so wirre Ich-Erzählungen, in denen wirklich wie eine Gedankenflut geschrieben wird. Das ist meistens sehr wirr und kompliziert.


    Und was ich auch nicht mag sind Erzählungen, die keine Namen nennen sondern immer nur "Sie sah ihn an und er nahm ihre Hand. Er war groß gebaut, Sie eher klein,....." und so weiter. Ich brauch ab und zu Namen ^^

  • Vor einigen Jahren habe ich den Roman "Nichtvordemkind" gelesen, in dem aus der Sicht eines vierjährigen Kindes die Familienzustände im Budapest der Kriegszeit beschrieben werden. Der vierjährige András hat jüdische und nichtjüdische Großeltern und versucht zu verstehen, warum eines Tages seine geliebten Großeltern nicht mehr da sind.
    Der Autor dieses Roman hat sich eines bereits häufig bearbeiteten Themas - Deportation von Juden während des zweiten Weltkriegs - aus einer meines Erachtens ungewöhnlichen Perspektive bedient. Er lässt ein vierjähriges Kind beobachten und Feststellungen treffen, ohne das Geschehene richtig einordnen zu können. Die Sicht des Kindes nimmt dem Roman viel von dieser Schwere, die bei dieser Thematik unweigerlich auftritt.
    Insgesamt ein großartiger Roman, den ich - gerade wegen der Erzählperspektive - für uneingeschränkt empfehlenswert halte.

  • Ein schöner Thread. :wave Berührt hat mich die Erzählperspektive in "Die Bücherdiebin" von Markus Zusak, dort berichtet der Tod und manchmal hatte es etwas Tröstliches, wenn er beschrieb, wie er die Menschen in Empfang nahm...


    Grässlich weil meiner Meinung nach völlig "un-originell" finde ich Schilderungen aus der Sicht von Tieren, so nach dem Motto "Wuff/Miau/Piep, ich bin der Hund, die Katze, die Maus, das Kaninchen, die Kakerlake aus der Familie F. und ich berichte euch jetzt mal vom Leben meines Herrchens." Gääähn...
    Sehr ähnlich und leider auch beliebt scheint es, Babys oder Kleinkinder zu Wort kommen zu lassen - wie überaus anregend... :achtungironie


    Ansonsten mag ich die meisten Erzählformen, nur schnelle Perspektivwechsel, bei denen nicht klar ist, wer denn nun gerade berichtet, oder Schilderungen im Präsens, sowie sehr viel indirekte Rede, sind nicht so mein Ding.

  • Zitat

    Original von Eskalina
    Ein schöner Thread. :wave Berührt hat mich die Erzählperspektive in "Die Bücherdiebin" von Markus Zusak, dort berichtet der Tod und manchmal hatte es etwas Tröstliches, wenn er beschrieb, wie er die Menschen in Empfang nahm...


    Grässlich weil meiner Meinung nach völlig "un-originell" finde ich Schilderungen aus der Sicht von Tieren, so nach dem Motto "Wuff/Miau/Piep, ich bin der Hund, die Katze, die Maus, das Kaninchen, die Kakerlake aus der Familie F. und ich berichte euch jetzt mal vom Leben meines Herrchens." Gääähn...
    Sehr ähnlich und leider auch beliebt scheint es, Babys oder Kleinkinder zu Wort kommen zu lassen - wie überaus anregend... :achtungironie


    Ansonsten mag ich die meisten Erzählformen, nur schnelle Perspektivwechsel, bei denen nicht klar ist, wer denn nun gerade berichtet, oder Schilderungen im Präsens, sowie sehr viel indirekte Rede, sind nicht so mein Ding.


    :write Ein wirklich tolles Buch.


    "Tiergeschichten" mag ich generell nicht, da ich mich dann in die Geschichte nicht hineindenken kann :-]


    LG Nala

  • Zitat

    Original von Salonlöwin
    Vor einigen Jahren habe ich den Roman "Nichtvordemkind" gelesen, in dem aus der Sicht eines vierjährigen Kindes die Familienzustände im Budapest der Kriegszeit beschrieben werden. Der vierjährige András hat jüdische und nichtjüdische Großeltern und versucht zu verstehen, warum eines Tages seine geliebten Großeltern nicht mehr da sind.
    Der Autor dieses Roman hat sich eines bereits häufig bearbeiteten Themas - Deportation von Juden während des zweiten Weltkriegs - aus einer meines Erachtens ungewöhnlichen Perspektive bedient. Er lässt ein vierjähriges Kind beobachten und Feststellungen treffen, ohne das Geschehene richtig einordnen zu können. Die Sicht des Kindes nimmt dem Roman viel von dieser Schwere, die bei dieser Thematik unweigerlich auftritt.
    Insgesamt ein großartiger Roman, den ich - gerade wegen der Erzählperspektive - für uneingeschränkt empfehlenswert halte.


    wow...das klingt wirklich toll, muss ich mir mal genauer ansehen.

  • Zitat

    Original von Eskalina


    Grässlich weil meiner Meinung nach völlig "un-originell" finde ich Schilderungen aus der Sicht von Tieren...


    Danke für das Stichwort! :grin


    Mir ist da "Firmin" in den Sinn gekommen, erzählt aus der Perspektive einer sehr ungewöhnlichen Ratte...

    "Von den vielen Welten, die der Mensch nicht von der Natur geschenkt bekam, sondern sich aus dem eigenen Geist erschaffen hat, ist die Welt der Bücher die größte." (Hermann Hesse)

  • Besonders reizvoll finde ich, wenn das selbe Ereignis aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird, also von verschiedenen Erzählern. Das eröffnet oft völlig neue Blickwinkel auf das Geschehene, besonders wenn die Erzähler im Buch zeitnah wechseln.


    Mit Büchern ohne Erzähler sind schwierig zu verfolgen. Gerade der Blick auf das Geschehen, dieses nicht "gerade-mittendrin-sein" lässt mich innehalten, verstehen, weckt die eigene Vorstellung, macht für mich zum großen Teil das Leseerlebnis aus.

  • Mir ist bei diesem Thema sofort "In meinem Himmel" eingefallen, das aus der Perspektive eines ermordeten Mädchens erzählt wird. Eher ungewöhnlich, passt aber sehr gut zu diesem Roman und hat mir gefallen!
    Bei Ich-Erzählern hab ich oft meine Probleme... Bei "Das Limonenhaus" zum Beispiel erzählen zwei Personen jeweils als Ich-Erzähler und beide waren mir nicht sympathisch - ich hab das Buch schließlich abgebrochen. Was mir auch eher selten gefällt, ist der Wechsel zu einem angeblichen Tagebuch, wo es mir schon öfter passiert ist, dass dann irgendwann Dinge erzählt werden, die der Schreiber aber nicht wirklich wissen kann, wo also die Erzähl-Perspektive "zu offen" ist. Wenn schon Ich-Erzählform oder Tagebuch, dann aber konsequent!
    Toll fand ich den letzten Brief-Roman, den ich gelesen habe - "Deine Juliet" - der komplett nur aus Briefen besteht. Kommt halt immer darauf an, wie so etwas geschrieben ist...
    Am liebsten ist mir eigentlich der klassische "allwissende Erzähler"... :-)

  • Hallole!


    Erzählt von einem Tier mag ich eigentlich ganz gerne, kommt halt drauf an, wie das Buch geschrieben ist.


    Dackelblick fand ich nur witzig,
    Glenkill war gut,
    Tod und Trüffel von der Logik her besch....


    Tagebuchform, Briefe, Emails, oä mag ich gar nicht.


    Am Liebsten ist mir der traditionelle Erzähler. :wave

    Wenn mein Kopf auf ein Buch trifft, klingt es hohl. Das muß nicht immer am Buch liegen...
    (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Hallo zusammen.


    Also ein Buch in der "Du Form" kann ich mir ja nur ganz schwer vorstellen.
    Das wäre mir, denke ich zu anstrengend.


    Ich mag Ich-Erzählungen, wenn sie sehr emotional geschrieben sind. Da bekomme ich dann am meisten Bezug zu den Personen und der Handlung. Aber auch Perspektivenwechsel, wenn sie ineinander verschwimmen, finde ich hin und wieder sehr interessant zu lesen.


    Ein Buch aus der Sicht von Tieren oder dergleichen kann doch hier und da auch mal ganz witzig sein. Warum nicht? :-)


    Es muss eben zur Geschichte passen.

  • Zitat

    Original von Phantasia09
    Hallo zusammen.


    Also ein Buch in der "Du Form" kann ich mir ja nur ganz schwer vorstellen.
    Das wäre mir, denke ich zu anstrengend.


    Am Anfang ist es schon seltsam, aber eben auch interessant, und wie bei fast allem gewöhnt man sich schneller daran als man denkt.

  • Zitat

    Original von Pilvi
    Also ich mag zum Beispiel Briefwechsel sehr sehr gerne. Das gibt dem Buch irgendwie einen besonderen Flair :)


    Das ist bei mir zum Beispiel genau andersherum!


    Briefwechsel oder eine Aneinanderreihung von Dialogen ist Quälerei für mich. Je weniger direktes Wort, desto besser.


    Ich bin da recht extrem, ich weis, ich mag lieber ellenlange Beschreibungen, als nur zwei seichte Sätze in einem Gespräch.


    Nun sind dies ja jetzt keine Erzählperspektiven - ich denke, ich kenne das wenige Ausnahmen von der Ich-Erzähkung oder der Dritten Person. Sollte ich wirklich mal drauf achten!


    GRUSS savanna

  • Barry Eisler hat in einigen seiner Romane um den japanisch-amerikanischen Auftragskiller John Rain einen interessanten Perspektiv-Mix:


    John Rain erzählt stets aus der ICH-Perspektive, doch die zusätzliche Perspektive der Mossad-Agentin Delilah, die auch seine Geliebte wird, ist in der dritten Person geschrieben.
    War zuerst etwas gewöhnungsbedürftig, fand ich dann aber richtig gut.

  • In "Trugbild" wechseln sich ein Ich- und ein Du-Erzähler beim erzählen der Geschichte ab, die zudem in zwei verschiedenen Zeitformen erzählt wird. Die Rezi zum Buch gibt es schon länger.