'Sterne über Sansibar' - Seiten 213 - 286

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Für mich der bisher schönste Name im Buch: Kisimbani. Er ist förmlich Musik, bringt durch seine Melodie einen gewichtigen Gegenpol zu der anderen Musik, die mich schon seitenlang, seit der Begegnung mit der Wahrsagerin, begleitet, nämlich dem Autodafé aus Verdis Don Carlos. Auf der einen Seite die düstere, fast gleichförmige Melodie der Büßer, auf der anderen die Jubelchöre der Kirchgänger angesichts des Osterfestes. Auf der einen Seite die Trauer, das zunehmend dunklere Element, auf der anderen Seite die Farben, die Gerüche, die Sensibilität und ein gut Stück auch die Naivität Salimas.


    Ich hab's hier gerade im Hintergrund per youtube laufen - eine sehr interessante und sehr passende Assoziation!


    Zitat

    Original von Lipperin
    Dass sie sich so sicher sein konnte, nichts würde entdeckt, nur weil es auf Kisimbani war, wo sie die Wonnen der Liebe genießt


    Beide müssen zweifellos um das Risiko gewußt haben, das sie eingingen. Salima war zwar immer impulsiv und generell leidenschaftlich veranlagt, aber auf eine Art auch ein Kopfmensch, und Heinrich - nach allem, was wir über ihn wissen - sehr rational und nüchtern und beileibe kein Schürzenjäger. Wenn man sich den zeitlichen Verlauf der Fakten anschaut, war es auch nicht nur eine Nacht der Schwäche und auch keine flüchtige Affaire; beide haben sich wohl sehr bewusst dafür entschieden. Die Stärke dieser Liebe, ihrer beider Mut, sie auch zu leben - das lässt mich immer ganz klein und stumm zurück.


    Zitat

    Original von Lipperin
    (übrigens: „die“ Szene Seite 211 finde ich überaus gelungen, zu viel Offenheit wirkt manchmal – zumindest auf mich - … ähem … überaus ernüchternd)!


    Ich habe sehr lange in mich hineingehorcht, wie ich es darstellen würde; letztlich habe ich den Respekt vor Salima und Heinrich über alles andere gestellt. Mehr wollte ich nicht schildern als das, was jetzt im Buch steht, das hätte sich für mich nicht gut angefühlt. So, wie es jetzt ist, war es für mich das einzig Richtige.


    Zitat

    Original von Lipperin
    Salima dauert mich. Sie kann im Grunde machen, was sie will, sie steht unter verschärfter Beobachtung und alles, was sie sagt, wie sie handelt, wird von irgendjemandem als „falsch“ ausgelegt werden. Und es wird sich immer jemand finden, der ihre Handlungen, ihre Worte, ihre Gesten in seinem höchsteigenen Sinn interpretiert und seine Wege finden wird, sie zu maßregeln, schon allein weil das eigene Denken ja als das einzig richtige empfunden wird und sich gefälligst alle danach zu richten haben. Manchmal frage ich mich, ob das wohl seit Anbeginn der Menschheit so ist. Bis zu ihrem Ende wird es jedenfalls so weitergehen.


    Das hat Salima auch sehr gegen die sansibarische Gesellschaft eingenommen, sie äußert sich später sehr kritisch, gar bitter darüber.


    Zitat

    Original von Lipperin
    Khaduj (wie, bitte, spricht man den Namen aus?) hat mich überrascht. Und anscheinend Salima auch, denn obwohl sie sie länger kennt (als ich), weiß sie zu wenig von ihr, um diese Reaktion auch nur zu vermuten (Seite 227).


    In etwa wie Chá-duusch - wobei das "Ch" ein scharfes, kehliges ist, ein bisschen dunkler als in "Elch". Oder ein "ch" wie im allso beliebten Wort unserer Schweizer Nachbarn "Chuchechäschtli". Der "sch"-Laut am Schluß ist weich, wie im französischen Namen "Jacques".


    Salima selbst hat den Namen ihrer Fluchthelferin im Haus nicht erwähnt, es auch so formuliert, dass keine weiteren Rückschlüsse auf ihre Person möglich waren, um sie zu schützen; aus einer anderen Quelle habe ich entnommen, dass es eine Halbschwester war und deren dort aufgeführter Name war einer, der sonst nie auftauchte, der aber Ähnlichkeit mit "Khaduj" aufwies. Aufgrund aller Fakten blieb für mich als Schlussfolgerung nur übrig, dass es sich um Khaduj gehandelt haben muss.


    Zitat

    Original von Lipperin
    Emily Seward – bei ihr habe ich immer eine der wunderschönen und als so kapriziös dargestellten Frauen von Francois Boucher vor Augen. Ein Schalk in Frauenröcken, der aber höchst wirksam tätig werden kann – eben weil sie auch weiß, wie sie am besten ans Ziel kommt. Ihre Träume hat sie nicht verloren, sonst würde sie nicht mehr an „glückliche Enden“ glauben können (Seite 240).


    Eine schöne Vorstellung - gefällt mir gut für Emily Seward!
    Auch über sie wissen wir sehr wenig, aber ich hatte für mich das Gefühl, ihr Handeln verrät sehr viel über sie als Person.


    Zitat

    Original von Lipperin
    Die unterschiedlichen mehr oder weniger kleinen Szenen haben mich die ganze Situation jedenfalls erheblich besser nachvollziehen lassen als eine bloße (zeitlich lineare) Beschreibung es jemals gekonnt hätte. Manche Seiten habe ich fast mit angehaltenem Atem gelesen, so sehr habe ich mitgefiebert, ob auch alles gelingen würde, beispielsweise bei der Flucht ab Seite 241.



    Die Flucht (und auch der gescheiterte erste Versuch) hat sich genau so zugetragen. Gerade weil ich das schon bei der Recherche so spannend fand, wollte ich das auch unbedingt genauso erzählen.


    Zitat

    Original von Lipperin
    Seite 255, die Bermerkung von Dr. Seward, dass Majid wohl gar nichts unternehmen würde, fand ich sehr interessant; mir kam im Laufe ein nämlicher Gedanke. Aber mit Sicherheit hätten sich Willige finden lassen, die auf ihre Weise das von ihnen erkannte „Problem“ gelöst hätten. Der Sultan wäre untröstlich gewesen, könnte aber sämtliche Hände in Unschuld waschen, wobei ich für ihn hoffe, er wüsste wirklich nichts. Und die „Problemlöser“ kämen sich wer weiß wie grandios vor, weil sie die „Schande“ beseitigt hätten.


    Wie Majid wirklich dazu stand, wird sich wohl nie wirklich klären lassen. Salima hat zeit ihres Lebens darauf beharrt, dass ihr Leben niemals in Gefahr gewesen war, ihr von Majid keine Gefahr drohte - während alle anderen Quellen genau das Gegenteil berichten. Diesen Widerspruch in der Quellenlage wollte ich genau so im Roman wiedergeben.
    Ich gebe aber auch zu, dass mir die Vorstellung gefällt, Majid habe nach außen hin so gehandelt, wie es jeder auf der Insel von ihm als Sultan erwartete und seiner Lieblingsschwester trotz allem eine Hintertür offen gehalten ...


    Zitat

    Original von Lipperin
    Die Beschreibungen beispielsweise Seite 265 über Salima Gedanken gefallen mir außerordentlich. Welch ein Schock muss das für sie gewesen sein, einen scheinbar so schwachen Gott kennenzulernen. Man kann nur hoffen, dass ihr der Einstieg in den christlichen Glauben leichter gefallen ist, als sie vertraute Personen (wie Maria und Jesus) wieder entdecken durfte. Weiß man eigentlich etwas darüber, wie sich ihr Glaubensleben bis ins späte Alter gestaltete?


    Leider nicht - wie man vieles über ihre Gedanken- und Gefühlswelt in ihren letzten Lebensjahren nicht weiß, da sind wir auf Vermutungen angewiesen.
    Im weiteren Verlauf des Buches jedoch ist das Thema Glauben noch einige Male thematisiert.


    Zitat

    Original von Lipperin
    Ihr „Altersbild“ auf Nicoles HP hat es mir angetan, ich persönlich finde es ihr schönstes Portrait. Es zeigt eine Frau, die Schmerz und Leid kennengelernt hat und die doch wohl ihren Frieden in irgendeiner Weise gefunden hat.


    Ach, schön, dass Du es genauso empfindest!
    Ich bin bei der Wahrnehmung solcher Abbildungen immer etwas unsicher, inwieweit das durch das gefiltert bzw. verzerrt ist, was ich mir zu sehen wünsche.


    Zitat

    Original von Lipperin
    Die kleinen (Familien-)Szenen Seite 276/277, 283: Wunderschön, so genau beobachtet und so wunderbar in Worte gesetzt. Mein großes Kompliment!


    Dankeschön!

  • Zitat

    Original von Nicole


    Dankeschön!


    Seite 283: Ein Mann sieht seinen kleinen Sohn zum ersten Mal, hebt ihn hoch - bis hierhin noch ok. Aber dann: Die Füßchen, die Beinchen, der Blick zur Mutter - ich kann mich nicht erinnern, solche Worte schon allzu oft gelesen zu haben. Sie haben mich förmlich in das Buch katapultiert, ließen mich im Türrahmen stehen und die Szene beobachten. Und ich schäme mich nicht zu sagen, dass es diese wenigen Worte waren, die meine Augen feucht werden ließen.
    Deshalb: :anbet

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Seite 283: Ein Mann sieht seinen kleinen Sohn zum ersten Mal, hebt ihn hoch - bis hierhin noch ok. Aber dann: Die Füßchen, die Beinchen, der Blick zur Mutter - ich kann mich nicht erinnern, solche Worte schon allzu oft gelesen zu haben. Sie haben mich förmlich in das Buch katapultiert, ließen mich im Türrahmen stehen und die Szene beobachten. Und ich schäme mich nicht zu sagen, dass es diese wenigen Worte waren, die meine Augen feucht werden ließen.


    :knuddel1


    Jedes Buch besteht aus vielen Szenen, die über Monate hinweg bis in alle Einzelheiten bebrütet und zigmal im Geiste wiederholt und formuliert wurden - und aus Szenen, die scheinbar wie aus dem Nichts einfach DA sind, auch bis in die kleinste Einzelheit. Diese Szene gehört dazu, und ich sehe sie auch jetzt noch bis ins Detail vor mir. Auch die vorangegangenen Szenen, mit der Geburt des Kleinen, Emilys erste Zeit als Mutter - da war plötzlich so viel da, was ich noch nie vorher so gedacht oder empfunden oder in Worte gefasst hatte, und das starke Gefühl: so, genau SO muss ich es formulieren, das fühlt sich richtig an.
    Und jedes Mal, wenn ein Buch fertig ist, staune ich darüber, wieviel darin steckt, was so viel größer ist als der kleine Mensch, der hier am Läppie sitzt und irgendwie sein kleines Leben zu wuppen versucht. Da ist etwas Größeres am Werk als ich, Nicole, und das zu empfinden - das ist immer wieder sternstündig.

  • Ich habe gedacht ich meld mich wieder Mal. Die letzten drei Tage bin ich nicht so zum lesen gekommen aber an diesem verregneten Samstag ist es richtiges Lesewetter.


    Ich lass das Inhaltliche mehr oder weniger weg, wurde ja alles schon mehrfach angesprochen. Ich glaube zu erkennen das sich dein Erzählstil seit HüD doch verändert hat. Immer noch üppig mit ausdrucksstarken Passagen und Bildern aber etwas weniger "überfrachtet". Klar, jedes Buch hat wahrscheinlich seine ganz eigene Geschichte und wohl auch Sprache und Ausdruck aber hier geht es für Nicole Verhältnisse eher schlank zu und her. Mir gefällt dieser Roman hier einen Tick besser als HüD.

  • Huhu sapperlot, :wave


    Zitat

    Original von sapperlot
    Ich glaube zu erkennen das sich dein Erzählstil seit HüD doch verändert hat. Immer noch üppig mit ausdrucksstarken Passagen und Bildern aber etwas weniger "überfrachtet". Klar, jedes Buch hat wahrscheinlich seine ganz eigene Geschichte und wohl auch Sprache und Ausdruck aber hier geht es für Nicole Verhältnisse eher schlank zu und her.


    Mein Stil hat sich mit Sicherheit auch unabhängig von der Individualität jedes einzelnen Romans verändert. Es liegen doch *grübel* grob geschätzt irgendwas um fünf, sechs Jahre und vier ganz unterschiedliche Bücher zwischen HüD und Sansibar, und ich habe selbst das Gefühl, dass so über die Gesamtheit der Bücher eine Entwicklung bei mir erkennbar ist. Einerseits durch das Schreiben an sich, aber auch durch meine persönliche Entwicklung - und ganz sicher auch durch die Leserunden, die ich seit HüD regelmäßig mache; da lerne ich schon immer eine Menge dazu. Mir sind heute im Vergleich zu früher teilweise andere Aspekte wichtig an einem Roman, und das Empfinden beim Schreiben ist auch ein bisschen ein anderes.
    Wir wachsen aneinander und miteinander, die Bücher und ich. :-)



    Zitat

    Original von sapperlot
    Mir gefällt dieser Roman hier einen Tick besser als HüD.


    *freu*



    Edit: Vergessenes ergänzt.