'Sterne über Sansibar' - Seiten 368 - 414

  • Seite 371: Ach je, Bertel Thorvaldsen! Haben sie ihr wohl gefallen, die Statuen? Wie ungeheuer sie doch letzten Endes gefordert war, ihr Leben wurde so etwas von umgekrempelt (in Europa eben auch Bilder, Statuen etc.). Sie muss nach meinem Dafürhalten eine große innere Stärke besessen haben, um diese so fremde Kultur, die in vielem dem widerspricht, was ihr gelehrt wurde, anzunehmen und sich ein Stück weit in ihr zu Hause zu fühlen. Mir gefallen ihr Gedanken, auch sie oft Hinweis auf ihren Charakter (hier Seite 375 oben oder Seite 379 oben). Mir scheint, sie besaß eine Stimme, die auch heute Gehör haben sollte.


    Nun also der Unfall, die Tragödie wievielster Teil? Das Sterben, die herzzerreißende Szene mit ihren Kindern. Ich habe nur gelesen und versucht, mein Herz auszublenden, um wenigstens halbwegs trockenen Auges diese Seiten zu überstehen. Es bleibt das „Warum“ - warum konzentriert sich so oft Leid auf eine Person, eine Familie? Als was musste oder konnte Salima, musste oder konnte Emily das alles verstehen: als Schicksalsschlag, als Gottes Plan für ihr Leben? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie an einen so seltsamen Begriff wie „Zufall“ glauben konnte.
    Und wieder frage ich mich auf diesen Seiten: Wie sehr ist Salima Emily, wo ist der Riss (so es denn einen gibt), füllt die eine die andere wirklich und vollständig aus? Denn ich glaube, Salima hat mehr als nur Sansibar aufgegeben, um Emily zu werden.


    In all der Trauer mit ihr fiel mir aber doch „Heinrichs Asche“ (Seite 393) auf: Wurde er verbrannt? Oder sagt(e) man so, wenn die sterblichen Überreste der Erde übergeben wurde? Ich kenne das nämlich nur bei Urnenbegräbnissen.


    Seite 406: Emilys Gedanken, wie es ihren Kindern wohl auf Sansibar ergehen würde, sind ihrer Lage sicher angemessen, erscheinen mir allerdings zu positiv, denn ich kann mir schwer vorstellen, dass Barghash eine Rückkehr dulden würde (einerseits) und dass die Kinder überhaupt den Status hätten erlangen können, den sie sich für sie wünschte (andererseits). Fast die einzige Möglichkeit schiene mir zu sein, dass Emily der Kinder entsagte, diese zum Islam übertreten und quasi von Barghash adoptiert würden – und das hätte weder die eine noch der andere zugelassen. Barghash ist nicht nur ihr Bruder, der sie hasst, sondern ein Herrscher mit einiger Macht (zumindest auf Sanisbar), der sie hasst. Schon allein dadurch wird die ganze Geschichte in eine andere Ebene verlagert, derer sich Emily vielleicht gar nicht bewusst war.


    Die Briefe von Chole und Metle (Seite 409) – ich fürchte, ihr Beitrag zu Emilys späterem Leben ist ein nicht geringer (und manchmal frage ich mich, ob sie nicht besser gewesen wäre, sie wären nie bei ihr angekommen. Aber bei Salima/Emily gibt es viel zu viele „wenn nicht ..., dann...“).

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Seite 371: Ach je, Bertel Thorvaldsen! Haben sie ihr wohl gefallen, die Statuen? Wie ungeheuer sie doch letzten Endes gefordert war, ihr Leben wurde so etwas von umgekrempelt (in Europa eben auch Bilder, Statuen etc.). Sie muss nach meinem Dafürhalten eine große innere Stärke besessen haben, um diese so fremde Kultur, die in vielem dem widerspricht, was ihr gelehrt wurde, anzunehmen und sich ein Stück weit in ihr zu Hause zu fühlen.


    Soweit ich es noch richtig in Erinnerung habe, hat sie sich recht verhalten über Thorvaldsens Statuen geäußert ... :zwinker
    Mich hat es an Salima / Emily sehr beeindruckt, dass sie sehr oft beißende Kritik äußern konnte, wenn ihr etwas nicht gefiel - aber ebenso ehrlich schrieb sie auch über Dinge, die ihr gefielen oder gut zu sein schienen (wie weiter vorne in der LR schon erwähnt z.B. die Gesundheitsversorgung in Deutschland), oder über Menschen, die sie mochte. Dieser klare, differenzierte Blick auf die Dinge, der hat mich sehr für sie eingenommen.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Mir gefallen ihr Gedanken, auch sie oft Hinweis auf ihren Charakter (hier Seite 375 oben oder Seite 379 oben). Mir scheint, sie besaß eine Stimme, die auch heute Gehör haben sollte.


    Das habe ich auch oft gedacht! Manche schriftlich festgehaltenen Gedanken von ihr empfand ich als ungeheuer modern, als wären sie heute gedacht und geschrieben und nicht in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.


    Zitat

    Original von Lipperin
    Nun also der Unfall, die Tragödie wievielster Teil? Das Sterben, die herzzerreißende Szene mit ihren Kindern. Ich habe nur gelesen und versucht, mein Herz auszublenden, um wenigstens halbwegs trockenen Auges diese Seiten zu überstehen.


    Das kann ich so, so gut verstehen, liebe Lipperin! Ich habe ihre Aufzeichungen so oft gelesen und durchgearbeitet, aber über diesen beiden Stellen darin saß ich immer aufs Neue mit nassen Augen da.


    Zitat

    Original von Lipperin
    Es bleibt das „Warum“ - warum konzentriert sich so oft Leid auf eine Person, eine Familie? Als was musste oder konnte Salima, musste oder konnte Emily das alles verstehen: als Schicksalsschlag, als Gottes Plan für ihr Leben? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie an einen so seltsamen Begriff wie „Zufall“ glauben konnte.


    Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Ich glaube, das könnte niemand in einer vergleichbaren Situation - denn letztlich hat Leid, das einem widerfährt, eine Bedeutung für einen selbst, und diese Bedeutsamkeit löscht jede "Zufälligkeit" aus.
    Wo Zufall und Schicksal ineinander übergehen oder letztlich dasselbe sind - das habe ich mich über dieser Lebensgeschichte übrigens sehr oft gefragt.


    Zitat

    Original von Lippperin
    Und wieder frage ich mich auf diesen Seiten: Wie sehr ist Salima Emily, wo ist der Riss (so es denn einen gibt), füllt die eine die andere wirklich und vollständig aus? Denn ich glaube, Salima hat mehr als nur Sansibar aufgegeben, um Emily zu werden.


    So schön gesagt! :anbet


    Zitat

    Original von Lipperin
    In all der Trauer mit ihr fiel mir aber doch „Heinrichs Asche“ (Seite 393) auf: Wurde er verbrannt? Oder sagt(e) man so, wenn die sterblichen Überreste der Erde übergeben wurde? Ich kenne das nämlich nur bei Urnenbegräbnissen.


    Ja, er wurde eingeäschert. Ob schon zu diesem Zeitpunkt oder aber bei seiner Umbettung später nach Ohlsdorf konnte ich leider nicht klären.


    Zitat

    Original von Lipperin
    Seite 406: Emilys Gedanken, wie es ihren Kindern wohl auf Sansibar ergehen würde, sind ihrer Lage sicher angemessen, erscheinen mir allerdings zu positiv, denn ich kann mir schwer vorstellen, dass Barghash eine Rückkehr dulden würde (einerseits) und dass die Kinder überhaupt den Status hätten erlangen können, den sie sich für sie wünschte (andererseits). Fast die einzige Möglichkeit schiene mir zu sein, dass Emily der Kinder entsagte, diese zum Islam übertreten und quasi von Barghash adoptiert würden – und das hätte weder die eine noch der andere zugelassen. Barghash ist nicht nur ihr Bruder, der sie hasst, sondern ein Herrscher mit einiger Macht (zumindest auf Sanisbar), der sie hasst. Schon allein dadurch wird die ganze Geschichte in eine andere Ebene verlagert, derer sich Emily vielleicht gar nicht bewusst war.


    Dessen war sie sich gewiss nicht bewusst; ihr Bild von Sansibar und einem möglichen Leben dort war zu dieser Zeit ein Traumbild.



    Zitat

    Original von Lipperin
    Die Briefe von Chole und Metle (Seite 409) – ich fürchte, ihr Beitrag zu Emilys späterem Leben ist ein nicht geringer (und manchmal frage ich mich, ob sie nicht besser gewesen wäre, sie wären nie bei ihr angekommen. Aber bei Salima/Emily gibt es viel zu viele „wenn nicht ..., dann...“).


    Das stimmt - es wäre sicher besser gewesen, sie hätte sie nicht erhalten.
    Ich finde, bei dieser Lebensgeschichte drängt sich einem unweigerlich immer wieder ein "was wäre gewesen, wenn ... " auf; da gibt es so viele Wenns und Hättes und Solltes, an ganz vielen Punkten der Geschichte.