Wölfisch für Hundehalter - Günther Bloch, Elli H. Radinger

  • Günther Bloch, Elli H. Radinger: Wölfisch für Hundehalter. Von Alpha, Dominanz und anderen populären Irrtümern, Stuttgart 2010. Franckh-Kosmos-Verlag, ISBN 978-3-440-12264-8, Hardcover, 191 Seiten, 123 Farbfotos, Format: 16 x 22 x 2 cm, EUR 19,95 (D), EUR 20,60 (A), CHF 34,90 (Schweiz)


    Dass der Hund vom Wolf abstammt, weiß jeder. Dass sich viele Theorien, Schlagworte und Modetrends in der Hundeerziehung auf die natürlichen Verhaltensweisen der wölfischen Vorfahren berufen, das wissen Hundehalter, die sich mit der Erziehung ihres Vierbeiners beschäftigen.


    Wenn aber vieles, was wir bisher über Wölfe zu wissen glaubten, mittlerweile überholt und veraltet ist, müssten wir dann nicht auch bei der Hundeerziehung umdenken? Dass wir genau das tun sollten, finden zumindest die beiden Wolfsforscher und Hundehalter Günther Bloch und Elli H. Radinger und haben zusammen das Buch WÖLFISCH FÜR HUNDEHALTER geschrieben.


    Beide Autoren haben vor rund zwanzig Jahren angefangen, Wölfe in freier Wildbahn zu beobachten. Er im Banff-Nationalpark in Kanada, sie im Yellowstone-Nationalpark in den USA. Und sie haben eine recht genaue Vorstellung davon, was wir vom Familienleben der Wölfe für unseren Umgang mit Hunden lernen können. Natürlich sind Wölfe und Hunde verschieden, aber sie haben auch eine Menge Gemeinsamkeiten, die für die ganze Kaniden-Familie typisch sind.


    Die Autoren haben das Buch nach den drei Grundeigenschaften der Wölfe aufgeteilt. Wölfe sind, genau wie Mensch und Hund, sozial, territorial und Jäger. Innerhalb dieser Kapitel werden die neuen Erkenntnisse nach dem folgenden Schema präsentiert:
    1. Unter der Überschrift „Behauptet wird ...“ findet der Leser Behauptungen und gängige populäre Irrtümer rund um den Wolf, mit denen er als Hundehalter häufig konfrontiert wird.
    2. „Fakt ist ...“ stellt wissenschaftlich fundierte Untersuchungsergebnisse aus vielen Freilandforschungen vor.
    3. „Bedeutung für den Hundehalter“ liefert daraus abgeleitete Tipps für den Umgang mit dem Hund.
    4. „Beispiele von frei lebenden Wölfen“ schließlich bringt jeweils ein Fallbeispiel aus den Studien im kanadischen Banff- oder im US-amerikanischen Yellowstone-Nationalpark.


    „Alle hier gemachten Aussagen berufen sich auf die Norm und stehen in Einklang mit den Forschungsergebnissen von Wissenschaftlern wie Paul Paquet, Mike Gibeau, Doug Smith, L. David Mech und anderen Freilandökologen. Aber natürlich gibt es immer wieder Ausnahmen.“ (Seite 8)


    Ein Hundeerziehungsbuch ist WÖLFISCH FÜR HUNDEHALTER nicht. Es soll dem Hundehalter aber helfen, anhand von Wolfsverhalten Rückschlüsse auf das Verhalten seines Tieres zu ziehen – und auf seine persönliche Beziehung zum Hund. „Wir Autoren sind davon überzeugt, dass die Erziehung und das Zusammenleben mit unseren eigenen Hunden deshalb so gut gelingen, weil wir wilde Wölfe beobachten, deren Verhalten kopieren und in den Alltag mit einbauen. Und so sehen wir uns als eine Art ‚Dolmetscher’ für Sie und Ihr Tier.“ (Seite 9)


    Welche Erkenntnisse der Hundehalter aus diesem Buch zieht, hängt natürlich stark davon ab, was er vorher schon über das Verhalten von Wolf und Hund sowie die Mensch-Hund-Beziehung wusste – und in wieweit er überhaupt bereit ist, Informationen über frei lebende Wölfe auf domestizierte Hunde zu übertragen.


    Es ist auf jeden Fall hochinteressant, mehr über das Leben der wilden Wölfe zu erfahren und Parallelen zum Verhalten der (eigenen) Hunde zu ziehen. Man erfährt zum Beispiel, warum die nordamerikanischen Indianer die Raben „Augen der Wölfe“ nennen und dass die Beziehung Hund-Mensch keineswegs einzigartig ist. Es kommt durchaus auch in der Natur vor, dass sich „zwei unterschiedliche Arten sozialisieren, zu Kooperationspartnern werden und sich auf der emotionalen Ebene austauschen.“ (Seite 13) Dass Wölfe und Raben in einer sozialen Mischgruppe zeitlebens eng zusammenleben können, ist sicher nicht allgemein bekannt. Wie diese Gemeinschaft funktioniert, ist faszinierend zu lesen.


    Wir erfahren, warum der Begriff „Alpharüde“ veraltet ist und dass wir uns als Hundehalter gar nicht erst bemühen sollen, diese Rolle einzunehmen und den Hund ständig zu dominieren. Und natürlich erfahren wir auch, was wir stattdessen tun sollen, um für eine funktionierende und harmonische Mensch-Tier-Beziehung zu sorgen, in der beide Parteien zufrieden sind. Auf jeden Fall müssen wir die Führung unseres Hundes ernst nehmen. Interessant ist in dem Zusammenhang, wie Leitwolf und Leitwölfin ihren Familienverband anführen und dass es auch da unterschiedliche Temperamente und Führungsstile gibt. Tyrannen lassen sich die im Grunde freundlichen und sozialen Mitglieder einer Wolfsfamilie nur bis zu einem gewissen Punkt gefallen.


    Warum man seinen Hund nicht ständig bespaßen muss ... warum man ihm eigene Erfahrungen erlauben soll ... was man bei der Haltung mehrerer Hunde zu beachten hat ... wie man damit umgeht, wenn der Hund seine Menschen zu manipulieren versucht, das sind weitere Lektionen, die man hier lernen kann.


    Fesselnd und emotional berührend ist die Schilderung des wölfischen „sozialen Pflegediensts“. Wölfe sind keinesfalls emotionslose Killermaschinen. Familienmitglieder, denen es augenscheinlich schlecht geht – ob sie nun alt, krank oder verletzt sind – werden rücksichtsvoll behandelt und, wenn nötig, vom Familienverband mit Nahrung versorgt. So wird eindrucksvoll beschrieben, wie eine Familie zweieinhalb Monate lang für den verletzten Jungwolf Yukon sorgt – und für seine Mutter, die ihm in der Zeit nicht von der Seite weicht. Den „großen bösen Wolf“, so scheint es, gibt es nur im Märchen.


    Wir entdecken, wie Wolf und Hund lernen und ihre Nachkommen erziehen und was das für den Hundehalter bedeutet. Wir lernen, was unbedingt beim Kontakt zwischen Hunden und Menschenkindern zu beachten ist, erfahren Wichtiges über das Spiel- und Kommunikationsverhalten der Kaniden und über ihre Beziehung zu ihrem Revier. Darüber hinaus lernen wir, wie wir uns in Gefahrensituationen am besten verhalten sollen. Auch da kann der Mensch sich einiges vom Verhalten der Wolfsfamilien abgucken. Jagd, Ernährung und Paarungsverhalten sind ebenfalls Gegenstand dieses Buchs.


    Neben handfesten Tipps für den Hundehalter-Alltag bietet dieser reich illustrierte Band viele interessante Beobachtungen aus dem Reich der frei lebenden Wölfe. Von der Bisonjagd über den erstaunlichen Burgfrieden mit Beutetieren, vom Beutestreit mit anderen Tierarten über die Belagerung einer Geburtshöhle durch eine fremde Wolfsgruppe. Von Sympathien und Antipathien innerhalb einzelner Wolfsfamilien bis hin zu Romanzen und Enttäuschungen in der Paarungszeit.


    Wer durch die lebendige Berichterstattung der Autoren auf den Geschmack kommt und mehr über Wölfe erfahren oder die Arbeit von Wolfsforschern und Wolfsschützern unterstützen möchte, kann dies gerne tun. Im Anhang des Buchs findet man eine Reihe weiter führender Informationen dazu. Wer jetzt allerdings auf die Idee kommt, selbst einen Wolf oder Wolfsmischling halten zu wollen, sollte dies lieber lassen. Diese Tiere gehören nach Meinung der Experten besser nicht in die Hände von privaten Haltern. Warum das so ist, wird auch im Buch erklärt.


    Wenn Leser die eine oder andere Erkenntnis gewinnen und als Anregung für ein positives Miteinander von Mensch und Hund aufgreifen, dann hat dieses Buch seine Mission erfüllt. Sollten auf diesem Weg Leser zu Wolfsfreunden und -Unterstützern werden, wäre dies ebenso erfreulich.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Das dieses Buch wieder Begeisterungsstürme auslösen wird ist sicher :-)


    Ich habe vor einigen Jahren "Der Wolf im Hundepelz" gelesen und fand es einfach nur gigantisch.


    Vielen Dank für die tolle Rezi ... und ja, ich kann Bücher von Günther Bloch auch nur empfehlen.

  • Aber bitte nicht schimpfen, wenn ihr als erfahrene Hundehalter alles längst wisst, was die beiden Experten hier schreiben! :wave Ich bin Katzenhalter, meine Hundeerfahrung beschränkt sich auf die Hunde von Freunden. Für mich war sehr vieles von dem neu, was Bloch und Radinger da schrieben, und ich fand alles ungeheuer interessant.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Ich bin noch nicht ganz durch, finde es aber sehr interessant. Ich wußte z. B. gar nicht, dass der Unterschied im Verhaltensmuster zwischen Gehegewölfen und freilebenden so groß ist. Es werden ja auch immer Parallelen gezogen zw. Hund/Wolf und alte "Irrtümer" bei der Hundeausbildung korrigiert, ich muß sagen, dass mir viele dieser "Irrtümer" gar nicht bekannt waren ?(, Was bin ich doch für eine "moderne" Hundeausbilderin :grin

  • Schluss mit Ammenmärchen


    Das Autorenduo Günther Bloch und Elli H. Radinger räumen in „Wölfisch für Hundehalter“ mit vielen Ammenmärchen der konservativen Hundeerziehung auf. Im Gegensatz zu vielen Ratgebern - in denen Dominanz das A und O zu sein scheint, und eine einzige Inkonsequenz, bzw. ein Fehler im eintrainierten Idealverhalten des Menschen, unweigerlich darauf hinausläuft, dass sich der freundliche Hund zum Familientyrannen entwickelt, der in Wahrheit nach der Weltherrschaft strebt -, zeigen die Autoren, dass man – solange die Basis zwischen Mensch und Hund stimmt – auch fünf mal grade sein dürfen. Hundehalter müssen nicht den Alpha-Macho spielen, um ernst genommen zu werden. Wie unglaublich gut zu wissen ;-)


    Ich muss gestehen, dass das Buch mir als angehender Hundebesitzerin sehr viel Last von den Schultern genommen hat. Offenbar ist Hundeerziehung auch auf individuelle, entspannte Weise möglich und es ist keinesfalls erforderlich, sein Leben (mit Hund) nach den Maßstäben irgendwelcher Super-Hunde-Nannys einzurichten.


    Eine große Bedeutung im Buch hat die Beobachtung freilebender nordamerikanischer Timberwölfe, diese vergleichen die Autoren mit Situationen des Hunde- und Hundehalterlebens, wodurch sich ohne feste „To do“s oder „Don’t“s abzeichnet, wie man auf die Situationen reagieren und einwirken kann; und zwar nach eigenem Ermessen.


    Besonders interessant dabei übrigens der kurze Ausblick auf die Frage, warum eigentlich so viele Menschen Probleme mit ihren besten Freunden bekommen. :wow :rofl


    Die Autoren nennen im Laufe der knapp 200 Seiten eine Vielzahl häufiger Behauptungen über Wölfe und Hunde, erklären die wirkliche Situation im Wolfsrudel und „übersetzen“ was dies für Hund und Halter bedeuten kann.
    Sicherlich sollte man bei diesem Buch keinen Erziehungsratgeber für Hunde erwarten (ich gebe mich ja der Hoffnung hin, dass so etwas gar nicht nötig ist, und man einen Hund wie ein Kind mit etwas Menschenverstand, Wissen über sein Wesen und gutem Willen erziehen kann, ohne Ratgeber und Gebrauchsanleitungen zu studieren). Auch richtet sich dieses Buch nicht an Experten auf dem Gebiet „Hund“, denen mag es zu sehr an der Oberfläche bleiben, was ich persönlich aber als sehr angenehm empfand, denn das Buch ist leicht und angenehm zu lesen, teilweise richtig spannend und erschlägt auch einen Neuling nicht gleich mit Wissen, das man ohnehin nie wieder braucht. Statt trockener Information bekommt der Leser (Hunde- oder Wolfs-) Lebensnahe Erfahrungen unterhaltsam vermittelt.


    Wer mehr über das natürliche Verhalten der Vierbeiner wissen möchte, hin und wieder schmunzeln mag und dazu Lust auf viele wirklich zauberhafte Farbfotos hat, dem sei dieses schöne Buch ans Herz gelegt. Vor allem für Anfänger ein toller Tipp!