Martin Walser las aus „Mein Jenseits“ und „Tagebücher“

  • In Heidelberg, Aula der alten Universität, am 20.05.10


    Mein Eindruck von der Veranstaltung:
    Martin Walser war erstaunt als er zur Lesung kam und auf den Plakaten seine Novelle „Mein Jenseits“ angekündigt ist. Eigentlich wollte er aus seinen Tagebüchern lesen. Daher las er dann aus beiden.


    Die schöne Aula der alten Universität verlieh der Lesung Atmosphäre und war sehr gut gefüllt. Manche musste sogar stehen. Trotzdem war die Stimmung sehr gut! Das Interesse an Martin Walsers Werk, und vielleicht auch an seinen Eskapaden ist ungebrochen.


    Walser begann mit dem Anfang aus seiner Novelle und setzte dann die Lesung mit den Tagebüchern 1974-1978 fort. Da gefiel mir gut, dass er aus allen Jahren Abschnitte las.
    Darin befand sich auch der berühmte Abschnitt über Marcel Reich-Ranicki, der einst seinen Roman Jenseits der Liebe verrissen hatte.
    Vieles war mir schon bekannt, aber es gab auch einige Abschnitte, die ich nicht kannte.
    Witzig auch, dass Walser auf dieser Lesung von Lesungen vergangener Zeiten las.


    Anschließend bildete sich eine große Besucher-Traube beim Büchertisch als Martin Walser Bücher signierte. Und das in einem erstaunlichen Tempo.
    Ich habe mir das Buch „Mein Jenseits“ signieren lassen.





    Kurzbeschreibung zum Buch Mein Jenseits:
    Augustin Feinlein, Chef des Psychiatrischen Landeskrankenhauses Scherblingen, weiß, was Älterwerden bedeutet. Ab dreiundsechzig hat er mit dem Zählen der Geburtstage aufgehört und sein Lebenscredo gefunden: »Glauben heißt lieben.« Scherblingen war bis 1803 ein Kloster. Der letzte Abt war ein Vorfahr von Augustin Finli. Der hat, als er noch ein junger Arzt war, ein Seminar besucht, um sein Latein zu verbessern. Im Seminar unangefochtene Beste war Eva Maria Gansloser. Die beiden sind dann so gut wie verlobt. Aber Eva Maria heiratet den Grafen Wigolfing, der an der Eiger Nordwand erfriert. Darauf heiratet sie den 18 Jahre jüngeren Dr. Bruderhofer. Das erregende Moment: Dr. Bruderhofer ist Oberarzt unter Augustin Finli. Eva Maria schickt gelegentlich Postkarten, die Finli sagen sollen, sie könne ihn so wenig vergessen wie er sie. Kann er das glauben? Er glaubt es. »Eine Sekunde Glauben ist mit tausend Stunden Zweifel und Verzweiflung nicht zu hoch bezahlt.« So Finli. Und: »Glauben lernt man nur, wenn einem nichts anderes übrig bleibt.« Das wird zu Finlis Daseinsgefühl. Der Vorfahr hat geschrieben, es sei nicht wichtig, ob die Reliquien, an die die Menschen glauben, echt sind. Augustin Finlis Jenseits entsteht durch Glaubensleistungen. Und vom Vorfahr hat er gelernt: »Wir glauben mehr als wir wissen.« Das ist der Kernsatz dieser Lebensgeschichte. Kant hat eingesehen, dass die Vernunft nur begreife, was sie selber hervorgebracht hat. Das gewaltige Andere schaffen wir dadurch, dass wir glauben. Es ist ein heftiges Credo, das aus dieser Lebensgeschichte tönt. In der Musik, in der Malerei, überhaupt in der Kunst ist dieses Credo die Voraussetzung der Kreativität.


    Kurzbeschreibung zu den Tagebüchern:
    DER DRITTE BAND VON MARTIN WALSERS TAGEBÜCHERN: EINBLICK IN LEBEN UND SCHREIBEN DER 70ER JAHRE «Martin Walsers Tagebücher sind Skizzenbücher eines Sprachartisten und Sprachsüchtigen. Alles im Leben gerät ihm zu glänzenden Sätzen. Ein literarisches Ereignis.» ZDF Aspekte



    Über den Autor
    Martin Walser, geb. 1927 in Wasserburg/Bodensee, lebt heute in Nußdorf/Bodensee. 1957 erhielt er den Hermann-Hesse-Preis, 1962 den Gerhart-Hauptmann-Preis und 1965 den Schiller-Gedächtnis-Förderpreis. 1981 wurde Martin Walser mit dem Georg-Büchner-Preis, 1996 mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg und 1998, dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels und dem Corine - Internationaler Buchpreis; Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten 2008 ausgezeichnet.


    Zu den Fotos:
    Foto 1: Martin Walser beim Lesen
    Foto 2: Deckenbild der Aula (Blickfang beim Abschweifen)
    Foto 3: Walser beim signieren

  • Falls es jemanden interessiert:


    Auf Radio Bremen-Nordwestradio kommt gleich Gesprächszeit mit Martin Walser:


    14:05Gesprächszeit
    Martin Walser im Gespräch mit Gabriela Jaskulla
    Er gilt als "ein Meister der Zweierbeziehung" und als "Chronist der Bundesrepublik Deutschland": Der Schriftsteller Martin Walser, mittlerweile 83 Jahre alt, hält seit seinem ersten Roman, "Ehen in Philippsburg" an seiner Faszination für die Paarliebe fest. Zuletzt hat er den alten Goethe in seiner Leidenschaft für die viel jüngere Ulrike von Levetzow charakterisiert, nun überraschte er sein Leserpublikum mit einer kleinen Novelle, die von den heiklen "letzten" Dingen handelt. In "Mein Jenseits" erfindet Walser seinen Seelengenossen Augustin Feinlein, Chef einer psychiatrischen Klinik, für den die nur selten eintreffenden Postkarten seiner Jugendliebe Eva-Maria das einzige Lebens- oder Liebeselixier sind. Zwei mal schon hat Eva Maria einen anderen geheiratet; trotzdem glaubt ihr der Erzähler, dass sie eigentlich ihn liebe. Sein Glaube hat keine anderen Indizien als die Postkarten � sie werden für ihn zu "Reliquien" des Glaubens. Im Gespräch erläutert Walser, wie für ihn der Glauben immer aus einer Art Hilflosigkeit erwächst: "Glauben heißt, Berge besteigen, die es nicht gibt." Er erzählt, wie sich sein früher wütend-ablehnendes Verhältnis zum Glauben gewandelt hat, hin zu einem manchmal hoffnungsfrohen, manchmal zornigen, immer skeptisch bleibenden "Vielleicht" oder "Hoffentlich". Das Gespräch mit dem Schriftsteller entwickelt sich für Gabriela Jaskulla zu einem philosophisch-literarischen Spaziergang um Glauben, Liebe, das Altern � und das "Jenseits".
    Produktion DLR 2010