Zwei Hochzeiten und ein Pessachfest - Allegra Goodman

  • Es ist schwer, sich mit Erinnerungen am Leben zu erhalten, besonders, wenn die besten davon aus Romanen stammen. (Seite 233)


    282 Seiten, gebunden
    Originaltitel: The Family Markovitz
    Aus dem Amerikanischen von Christa E. Seibicke
    Verlag: Karl Blessing Verlag, München 1998
    ISBN-10: 3-89667-042-5
    ISBN-13: 978-3-89667-042-7



    Zum Inhalt (Quelle: Buchrücken, Klappentext, eigene Angabe)


    Das Porträt einer jüdischen Familie in den USA heute: drei Generationen der Familie Markowitz lieben, streiten und versöhnen sich.


    Der Klappentext (= Text bei Amazon) ist eigentlich weitgehend falsch, da Rose Markovitz nicht die tragende Rolle spielt, die suggeriert wird. Sicher taucht sie immer wieder auf, doch zentraler sind die Erlebnisse ihrer Söhne und deren Familien, Ed und Henry. Und eben zwei Hochzeiten und ein Pessachfest.




    Über die Autorin (Quelle: Homepage der Autorin, engl. Wikipedia)


    Allegra Goodman wurde 1967 in Brooklyn/New York geboren, wuchs jedoch in Hawaii auf. Ihr Vater war Professor für Philosophie, die Mutter Biologin. Sie studierte u. a. in Harvard, wo sie ihren späteren Ehemann David Karger kennenlernte. Sie haben vier Kinder und leben heute in Cambridge/Mass.


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    Meine Meinung


    Durch einen kürzlich gesehenen Film angeregt habe ich begonnen, mich für Geschichten aus dem jüdischen Leben unserer Tage zu interessieren. Meine eigene Bibliothek gibt dazu (noch) nichts her, die hiesige Stadtbibliothek nur sehr wenig. Außer zwei Büchern von Allegra Goodman. Dieses habe ich zuerst gelesen, einfach weil es das dünnere ist. Ich wurde sehr positiv überrascht.


    Dennoch wird es jetzt schwierig: wie schreibe ich eine Rezi zu einem Buch, das so, hm, verquer ist, das viele und keine Handlungsfäden hat, das eine Geschichte erzählen will, dabei aber immer wieder so weit abschweift, daß der rote Faden ein teilweise gewundener, immer wieder mal verschwindender, ganz woanders wieder auftauchender, ist? Ein Buch, das bisweilen heiter, bisweilen traurig - und bisweilen beides gleichzeitig ist. Ein Buch, das keine durchgehende Handlung hat und doch eine durchgehende Geschichte erzählt. Klingt etwas seltsam, verworren und verquer? Nun, genauso erging es mir über weite Strecken des Buches. Und dennoch ist das Buch am Ende wie aus einem Guß, fügen sich die einzelnen Szenen zu einem größeren Ganzen zusammen, wurde ich hervorragend unterhalten und habe eine neue Autorin für mich entdeckt, von der leider in deutscher Sprache nur zwei Bücher erschienen sind. Nun, ihre übrigen Bücher werde ich eben im englischen Original lesen.


    Den Klappentext, der auch bei Amazon zu finden ist, habe ich übrigens bewußt nicht als Inhaltsangabe verwendet - er ist schlicht und einfach irreführend. Sicher spielt Rose Markovitz eine wesentliche Rolle im Buch, jedoch nicht die zentrale, die ihr in diesem Text zugewiesen wird. Sie ist über Strecken einfach im Hintergrund da und bestimmt so auch in Abwesenheit das Denken und Handeln ihrer Söhne und deren Familien. Mir ist das Lachen, ja das Lächeln mehr als ein Mal förmlich im Halse stecken geblieben, so vertraut kam mir manches vor.


    Das ist für mich übrigens eines der großen Plus dieses Buches: es ist ein Roman voll von realen Situationen, von kleinen Dingen mit großer Wirkung, voll von täglichem Alltagsleben. Und dennoch habe ich, der in Büchern eigentlich alles andere als die Realität sucht, ganz prima unterhalten, habe mit den Markovitzens mitgelitten, mich mitgefreut, auch mal einen Wutausbruch mehr als nachvollziehen können, und das letzte Kapitel, in dem die zweite Hochzeit stattfindet, über weite Strecken laut lachend gelesen und mich gefragt, was ich in einigen Jahren wohl als Brautvater für ein Bild abgebe (so ich denn vom Vater zum Brautvater „mutiere“).


    Es ist schon eine seltsame Schar beisammen. Ed, der Akademiker und Nahost- und Terrorismusexperte mit Frau Sarah und ihren vier Kindern. Deren Tochter Miriam, liberal erzogen (die Eltern eher areligiös) und inzwischen zum Unverständnis der restlichen Familie zur orthodoxen Jüdin geworden. Henry, Eds Bruder, Geschäftsleiter bei Laura Ashley, nach London ausgewandert und zum perfekten Briten mutiert, verheiratet mit Susan.


    Dazwischen immer wieder Rose Markovitz, die nach dem Tode ihres Mannes alleine in Californien lebt und ihre Söhne immer wieder auf Trab hält.


    Die Kapitel ergeben nicht unbedingt eine nahtlos durchgehende Geschichte. Es sind vielmehr einzelne Szenen über einen Zeitraum von über zehn Jahren verteilt (wobei nach dem Tode von Roses Mann ein großer Zeitsprung erfolgt, der Rest liegt dann dichter beieinander), die streckenweise nur lose verbunden sind, aber dennoch aufeinander aufbauen.


    Irgendwann besucht Ed eine jüdisch-christliche Tagung. Alleine dieses Kapitel ist es Wert, das Buch zu lesen. Ich habe mich köstlich über die Spitzen amüsiert, über das zusehends unter der Decke Explodieren von Ed, der der Meinung war, zu einer wissenschaftlichen Tagung eingeladen zu sein und dann in einen eher psychologischen Debattierclub geriet. Ich bin ein alter Hase in dem Geschäft, ich kenne mich aus. Jüdisch-katholischer Dialog ist meine Spezialität. In der Branche geht’s zu wie im Theater. Nur schlimmer! (Seite 115) So bringt es einer der Teilnehmer auf den Punkt. Schließlich passiert, was passieren muß: Ed explodiert. Mir wäre das wohl schon viel früher passiert.


    Als ich das Buch zugeklappt hatte, hatte ich sie alle liebgewonnen, diese teilweise etwas verschrobenen, auf jeden Fall markanten Gestalten. Nicht zuletzt durch das letzte Kapitel, das ich über weite Strecken laut lachend gelesen habe, wird mir das Buch als „Wohlfühlbuch“ in Erinnerung bleiben. Auf jeden Fall habe ich eine neue Autorin entdeckt, deren zweites in deutscher Sprache erschienenes Buch schon hier liegt und sehr bald folgen wird. Schade, daß ihre übrigen Bücher nicht übersetzt wurden. Aber was nicht ist, kann vielleicht noch werden. Verdient hätte es Allegra Goodman auf jeden Fall.



    Kurzfassung:


    Eine Familiengeschichte der etwas anderen Art: szenenartig begleiten wir die Mitglieder der Familie Markovitz über den Zeitraum von über zehn Jahren. Das Buch gibt einen Einblick in das ganz normale Leben einer ganz normalen heutigen jüdischen Familie in den USA. Na ja, fast ganz normal. ;-)
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Hier noch die lieferbare amerikanische Originalausgabe. Übrigens mit einer recht zutreffenden Inhaltsbeschreibung von Amazon.com.


    Zum Inhalt (Quelle: Amazon)


    The stories in this collection are so linked and consistent, the book is almost a novel. It tells the comic and endearing history of a family of archetypal American Jews. Rose, the finicky and irrational Jewish mother, becomes increasingly dependent on Percodan and on her two sons, Ed, a hard-headed academic, and Henry, an arty dilettante. Ed's writer wife Sara suffers through teaching creative writing at the local Jewish Community Center. Ed painfully endures an interfaith weekend with crushingly banal Christian ecumenists, even though both he and Sara are completely irreligious. Meanwhile their daughter Miriam alarms them by rediscovering Judaism. Goodman, whose stories appear regularly in the New Yorker, delights the reader with recognition of the funny in the familiar.


    (Edit hat die Beschreibung von Amazon ergänzt.)
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Vielen Dank SiCollier für die ausführliche Rezi - ich glaube das würde gut zu meinen anderen Büchern passen :wave

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire