04.05.10 im DAI
Mein Eindruck:
Hans Joachim Schädlich las aus seinem neuen Roman Kokoschkins Reise.
Die Lesung konzentrierte sich stark auf diesen Roman, der sich mit fast dem gesamten letzten Jahrhundert in Europa beschäftigt. Nach einer kurzen Einleitung las Herr Schädlich eine Passage vom ersten Tag der Schiffsreise von Kokoschkin auf der Queen Mary 2 im Jahr 2005. Die Reise geht von Southhampton bis in die USA und dauerte 5 Tage und 6 Nächte. Wie Schädlich später verriet, hat er selbst diese Reise unternommen, wie er überhaupt viel für den Roman recherchierte, so z.B. über das Berlin der zwanziger Jahre, wo Kokoschkin mit seiner Mutter nach der Flucht zuerst aus Petersburg und dann aus Odessa lebte. Die zweite gelesene Passage erzählte von dem Odessaaufenthalt, bei dem sogar Literaturnobelpreisträger Iwan Bunin als handelnde Person auftrat.
Dann kam es zu einem wirklich interessanten Gespräch zwischen Autor und Publikum, bei dem Schädlich viel über die Hintergründe des Romans, seinem Stil und seiner Arbeitsweise verriet. Das sind die Inhalte, die ich mir von einer Lesung mit Autor verspreche. Er kam ganz schön ins plaudern und so manche witzige Anektode wurde erzählt, er zitierte sogar Jandl und Karl Kraus. So wurde es wirklich ein vergnüglicher, informativer Abend. Genau die richtige Mischung um eine Lesung perfekt zu gestalten.
Abschließend las Hans Joachim Schädlich noch eine Passage, wieder von der Schiffsreise und auch hier kommt die berühmte Lakonie des Autors voll zur Geltung.
Über das Buch:
Klappentext
Fjodor Kokoschkin, rüstiger Mittneunziger, emeritierter Professor, Biologe, Spezialität Gräser und Halme, an Bord der Queen Mary 2 auf der Überfahrt von Southampton und New York: jeder Tag auf See ein kleines Kapitel - Tischgespräche, die Speisekarte, die Abendunterhaltung von Hut-Parade bis Karaoke-Bar, ein diskreter Flirt. Kokoschkin kehrt von seiner Reise in seine Vergangenheit zurück: nach St. Petersburg, wo die Bolschewiken 1918 seinen Vater ermordeten. Von dort damals Flucht über Odessa nach Berlin. In Templin erhält Fjodor eine Freistelle im Internat, findet Arbeit und die Freundin Aline im Botanischen Garten Berlin. Studium. Als die Nazis sich breitmachen, erneute Flucht, nach Prag diesmal, durch Vermittlung der amerikanischen Botschaft ein Stipendium in den USA. Die russischen Schriftsteller Bunin, Chodassewitsch und die Berberova sind wichtig in seinem und seiner Mutter Leben ... Kokoschkins wechselvolles Schicksal ruft lebhaft die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren Verfolgungen, Schicksalen und Emigrationen wach.
Über den Autor Hans Joachim Schädlich:
Geboren am 08.10.1935 in Reichenbach (Vogtland), studierte Hans Joachim Schädlich Gemanistik in Berlin und Leipzig und promovierte mit einer Arbeit über "Die Phonologie des Ostvogtländischen" (1966). Von 1959 bis 1976 war er an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften tätig, anschließend als freier Übersetzer. In der DDR nicht veröffentlicht und als Unterzeichner der Biermann-Resolution attackiert, konnte Schädlich im Dezember 1976 ausreisen. 1988 Literaturpreis für Kurzprosa, Hamburg, Thomas-Dehler-Preis 1989, 1992 Johannes-Bobrowski-Medaille Berlin und Heinrich-Böll-Preis Köln. 1988 Brüder-Grimm-Gastprofessur an der GHS Kassel. Mitglied der Dt. Akademie für Sprache und Dichtkunst. Der Band "Versuchte Nähe" versammelt 25 Geschichten aus dem «mittleren Land», die zwischen 1969 und 1977 entstanden sind. In diesen Prosaskizzen entschlüsselt Schädlich das Alltagsleben in der DDR - die Rituale der Macht wie den Stil der offiziellen Berichterstattung, den Opportunismus der Kleinbürger wie die Frustrationen der Jugendlichen. Schädlich hat die Entfremdung als Folge von Sachzwängen der modernen Industriegesellschaft in der DDR und dann auch in der Bundesrepublik schmerzlich erfahren. In "Der Sprachabschneider"' lässt er die Sprache als humansten Lebensausdruck selbst zum Gegenstand einer Geschichte für Kinder und Erwachsenen werden. "Tallhover" reflektiert die Geschichte der politischen Polizei in Deutschland von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts und endet mit einer bizarren Pointe: Der Protagonist wirft sich schließlich selbst vor, nicht intensiv genug an der Vervollkommnung polizeilicher Überwachungsmaßnahmen gearbeitet zu haben, und verurteilt sich selbst zum Tode.
Fotos: Plakat und der Autor beim lesen und beim signieren