Iris Kammerer - Die Schwerter des Tiberius

  • Magna, ich tummle mich jetzt erst einmal in anderen Zeiten, bloß die Gegend bleibt. :grin
    Mal sehen, wann ich Gelegenheit habe, mal wieder in die gewünschten Gefilde einzutauchen. Im Grunde ist diese historische "Episode" für mich abgeschlossen, aber es gibt ja noch andere.
    Kaiserzeit bzw. Spätantike fände ich sehr *spannend*, aber weil sich darunter nicht mehr viele Leute etwas vorstellen können, ist das schwierig zu vermitteln. Aber ich bin natürlich dran. ;-)


    Lies du erst mal das Schlachtgetümmel. :lache :wave

  • Was hat er nur an sich, jener Gaius Cornelius Cinna, Abkömmling und letzter Spross einer alten römischen Adelsfamilie, dem dieser Stolz, der den Römern ja so eigen ist, diese Arroganz, mit der sie aller – damals bekannten - Welt ihren Stempel aufzudrücken versuchten, anscheinend ein wenig abhanden gekommen ist während des Jahres seines Aufenthaltes bei einem germanischen Stamm, dass ich ihn gedanklich nicht beiseite schieben kann? Dass ich so gerne wissen möchte, wie sein Leben weitergeht? Wie weit war sein Weg doch von dem unnahbaren Tribun zu dem manchmal schon fast liebenswerten Praefecten einer Hilfstruppe! Wie vermag er sich heute resp. in dem Buch zu sorgen um die Seinen, um die, die ihm wichtig sind, seien es Römer, seien es Germanen. Ich glaube, seiner Obhut könnte man sich wohl anvertrauen. Ein wenig stur ist er schon, und ich stelle mir gerne vor, dass diese Sturheit eben durch den Kontakt mit den so anderen Lebensgewohnheiten der „Barbaren“ geweckt und verstärkt wurde, so sehr, dass er sogar Befehle von höchster Stelle ignoriert, ihnen zuwider handelt. Hätte der römische Tribun wohl so gehandelt, wie es Cinna in „Die Schwerter des Tiberius“ tut? Ich glaube kaum, denn, so will mir scheinen, er ist ein gut Stück toleranter geworden, versteht die „Barbaren“ nicht mehr als die „Wilden“, sondern als Menschen, die vielleicht von den Römern gar nicht so verschieden sind.


    Was haben sie nur an sich, Sunja und Saldir, die beiden Töchter germanischer Wälder, teilweise römisch erzogen die eine, wissbegierig, alles, was Buchstaben hat, aufsaugend wie ein Schwamm die andere, dass ich mich so um sie sorge? Dass ich es fast nicht ertragen kann, wenn die eine brutaler Gewalt ausgesetzt ist, wenn die andere das ihr angediehene Wissen schmäht und zu vergessen sucht, um sich nicht von den anderen Mädchen und Frauen zu sehr abzuheben, weil sie - vielleicht – unbewusst – Angst hat vor der Ausgrenzung, vor dem Beiseitegeschobenwerden, vor den Augen, die scheel schauen, vor den Mündern, aus denen spitze Bemerkungen gleich Pfeilen abgeschossen werden? Wie gerne würde ich Sunja in meinem Garten willkommen heißen, wie gerne Saldir meine Bücher geben, wie gerne mich mit ihnen zusammensetzen, über dieses und jenes plaudern. Denn plaudern ließe sich sicherlich mit beiden gut, und ob die Plauderei nun das Gewand der Nachbarin oder die Verse Homers streifte, kümmerte nur uns drei.


    Was hat sie nur an sich, die Iris Kammerer, dass sie mich in einer Zeit festzuhalten vermag, die so gar nicht die meine ist, nämlich die des Augustus, des Tiberius? Wie macht sie das, dass ich nun schon zum dritten Mal ein Buch von ihr lese, in dem ein Römer die Hauptrolle spielt? Wie macht sie das, dass die Figuren so lebendig für mich geworden sind, dass ich beispielsweise, als ich jüngst ein paar Blumen umsetzte, bei mir gedacht habe: „Die muss ich Sunja geben für ihren Garten“? Vielleicht liegt es ja daran, dass die Rollenverteilung so klar doch nicht ist: hier die „guten“, die ach so kultivierten Römer, dort die „bösen“ Barbaren, tumbe Toren allesamt, schließlich konnten sie ja nicht lesen und nicht schreiben, und schmutzig waren sie auch noch. Iris lässt mir die Wahl, so ist mein Eindruck, und meine Wahl fällt nach „Die Schwerter des Tiberius“ wieder ein wenig eindeutiger aus, und nein, es sind nicht die Römer, und nein, es tut mir nicht leid, dass es die Germanen sind. Mag ja sein, dass die römische Kultur vordergründig so über allen anderen stand, aber war dem wirklich so? Im Falle der Germanen wissen wir ja nun einmal nicht sehr viel, weil sie keine Schrift kannten und wohl auch eine große Scheu davor hatten, ihre Mythen, ihre Geschichte aufgeschrieben zu wissen. Waren sie deshalb dümmer? Oder anders gefragt: Hätten sich zum Beispiel die Marser etwas „freudiger“ niedermetzeln lassen sollen, weil die Soldaten, die über sie kamen, so unendlich viel bessere Waffen hatten als sie, so unendlich viel besser ausgebildet und taktisch aufgestellt waren? Tat der Hunger etwas weniger weh, weil die, die die Felder verwüsteten, vielleicht des Lesens und Schreibens kundig waren? Waren die Exzesse, denen germanische Frauen ausgesetzt waren, weniger schlimm für sie, weil ihre Peiniger das Bad kannten? Waren die Behandlungen, die die Germanen den Römern angedeihen ließen, so sie sie überhaupt bekriegen, ihrer habhaft werden konnten, brutaler, weil sie keine Verse rezitieren konnten? Leicht kann man es sich wohl nicht machen, weder in die eine noch in die andere Richtung – und auch deshalb bin ich Iris zu Dank verpflichtet, weil sie in ihren Büchern für mich plausibel Geschichte so hat lebendig werden lassen, dass ich glauben kann, es sei so gewesen. Gut und Böse orientiert sich eben nicht – nur - an Bildung und Kultur – wenn ich das nicht glauben könnte, müsste ich dann nicht verzweifeln?


    Was habe ich nur an mir, dass mich eine Figur so gar nicht loslassen will? Ist es die räumliche Nähe zu jener überlebensgroßen Figur, sind es die vielen Erzählungen, die Sagen, die die älteren Menschen in unserer Gegend immer noch leise raunen? Sind es die geliebten Wälder, so heimlich, so still, ihr Geheimnis nicht loslassend an machen Stellen? Sind es die Hymnen der einen, die „Verräter! Meuterer!“-Rufe der anderen, dass ich immer wieder versuche, jenem geheimnisvollen Mann zwischen den beiden Kulturen nachzuspüren, zugehörig letzten Endes vielleicht keiner? Er war ja nicht der erste, der die Römer in die Falle lockte, und – wäre er gescheitert – er wäre sicherlich nicht der letzte gewesen. War er wirklich so machtgierig – oder vielleicht auch besorgt um sein Volk? Sah er nur den Glanz des Triumphes – oder auch das Elend der Menschen? Weihte er wirklich Tausende seinen grausamen Göttern um des Kriegsglücks willen – oder wollte er auch Freiheit vom Tribut, gleich ob es nun um Naturalien oder Menschen ging? Wer war dieser Mann – Agitator oder jemand, der eine Vision hatte? Wer ist dieser Arminius, dessen Namen, den seine Eltern ihm gaben, wir nicht einmal kennen? Für mich auf jeden Fall jemand, dem ich angesichts dessen, was heute alles diskutiert wird, eines nicht verweigern will: in dubio pro reo.


    Edit: Zwei Dinge sollte ich noch erwähnen, nämlich die Punktzahl (zehn, was sonst?) und die Musik, die ich zu weiten Teilen des Buches im CD-Player hatte, unter anderem das hier (Orgelsinfonie Nr. 3 in c-Moll - op. 78 - ist das verlinkte Stück, zumindest ein kleiner Teil davon).
    Nochmal Edit: Menno, was bin ich heute paddelig, ist halt zu warm. Die Orgelsinfonie ist von Camille Saint-Saens
    [SIZE=7]Noch einmal Edit: Missverständliche Formulierung geändert.[/SIZE]

  • @ lipperin: es ist mir immer wieder ein genuss, eine rezi von dir zu lesen!
    (allerdings wäre es nett, wenn du für die technisch weniger begabten bzw weniger gut ausgestatteten das musikstück nennen könntest...)
    :knuddel1 :anbet :wave

    "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Leute ohne Laster auch sehr wenige Tugenden haben." (A. Lincoln)

  • drehbuch : Dein Wunsch ist mir Befehl!
    Sorry, aber ich hatte mir eingebildet, Youtube könnte jeder anklicken, dass man dafür wieder extra ausgestattet sein muss, wusste ich nicht. Bin halt eine technische Niete und der Barmherzigkeit des Herrn des Hauses ausgeliefert, wenn es um Computer geht.

  • Liebe Lipperin,


    vielen lieben Dank für deinen wirklich bemerkenswerten Leseeindruck! :anbet :anbet
    Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte, als ich diesen Beitrag las (ich bin derzeit so gut wie nie in Foren, mein Leben spielt sich in Haus und Garten und an der Tastatur ab, weil ein Auftrag drängt ...).


    Es gäbe vieles zu sagen zu dem, was du schriebst, aber ich möchte meine eigenen Bücher nicht interpretieren -- das ist m.A.n. allein Sache der Leserinnen und Leser. Deshalb nur eins dazu: Reaktionen wie deine zeigen mir, dass ich mein Ziel nicht ganz verfehlt habe. :-)


    Alle Menschen zu berühren und zu bewegen, das ist ohnehin ein unmögliches Ziel, dazu sind wir alle zu verschieden. :wave


    Auf jeden Fall hast du mich dazu gebracht, mich mal wieder mit Saint-Saëns zu beschäftigen -- auch dafür vielen Dank! :knuddel1