Die Liebeslotterie
Originaltitel: The Good Mayor
Andrew Nicoll
ISBN: 978-3-87134- 6460
Rowohlt, Berlin
464 Seiten, 19,95 Euro
Über den Autor: Nach einer kurzen Episode als Waldarbeiter ist Andrew Nicoll, geboren 1962, Journalist geworden. Er arbeitete für verschiedene Zeitungen. Zurzeit ist er Redakteur bei „The Scottish Sun“. Die Liebeslotterie ist sein erster Roman, er schrieb ihn im Zug auf dem täglichen Weg zur Arbeit. Die Rechte daran sind mittlerweile in neunzehn Länder verkauft. Andrew Nicoll lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in einem alten Haus in der Nähe von Dundee und schreibt an seinem nächsten Buch.
Klappentext: Es gibt im Baltikum einen vergessenen Landstrich und darin eine Stadt namens Dot. Als einst die Kartographen von Katharina der Großen dort vor der Küste arbeiteten, sank das Schiff samt Kartenmaterial, und statt noch einmal von vorn zu beginnen, notierte kann schlicht, die Gewässer in jener Gegend seien nicht schiffbar. Unberührt von aller zivilisatorischen Kälte leben dort also die Menschen in der Stadt Dot am Fluss Ampersand in einer Art Traumwelt.
Nicht, dass sie keine Probleme kennen würden: Der Bürgermeister Tibo Krovic ist zum Beispiel auf das unglücklichste in seine Sekretärin Agathe Stopak verliebt, die wiederum mit einem Mann verheiratet ist, der sie nicht mehr liebt und nicht bereit ist, ihren großen erotischen Appetit zu stillen. Eines Tages fasst Krovic sich ein Herz und lädt sie zum Mittagessen ein…
Meine Meinung: Es ist so schade, dass dieses Buch aufgrund seines Titels und der Covergestaltung eine völlig falsche Erwartung weckt und die falsche Zielgruppe anspricht.
Der violette Schneebesen auf dem Cover und der Titel „Die Liebeslotterie“ suggerieren leichte Unterhaltung und einen Roman, der in Richtung „Freche Frauen“ geht, doch genau dies ist das Buch nicht.
Es ist vielmehr eine ungemein zauberhafte Geschichte, in der zwar die Liebe eine nicht unwesentliche Rolle spielt, doch die Art, wie sie erzählt wird – und von wem – lässt sie zu etwas ganz Außergewöhnlichem werden.
Die Erzählerin ist die örtliche Heilige „Walpurnia“, die bärtige Märtyrerjungfrau, deren Flehen um Hässlichkeit von Gott erhört wurde und die daraufhin hoffte, mit ihrem neuen Vollbart und ihrem plötzlich eintretenden katastrophalen Warzenbefall, keusch leben zu können. Walpurnia nun blickt seit zwölfhundert Jahren auf Dot, sieht schreckliche aber auch schöne Dinge und kann nichts tun. Aber berichten kann sie und dass, was sie berichtet, lässt vor dem inneren Auge des Lesers eine altmodische, fast verwunschen erscheinende Stadt entstehen, die wirkt, als habe man sie in eine Schneekugel eingeschlossen, die auf ein Schütteln hin zum Leben erwacht.
In Dot findet sich eine kleine heile Welt, die beim genaueren Hinsehen, zwar in ihren Abläufen bis hin zum Sonntagskonzert im Park, die gute, alte Zeit, in der alles besser war, verkörpert, aber deren Bewohner sich dann doch mit einigen Sorgen herumplagen müssen.
Die unglückliche Liebe des Bürgermeisters zu Agathe, seiner drallen Sekretärin beobachtet die Heilige nur zu genau und sie scheint die beiden in ihr Herz geschlossen zu haben - sie lässt sie nicht aus den Augen und das ist gut so, denn man kann von den beiden nicht genug bekommen.
Fazit: Was für eine wunderbar warmherzig erzählte Geschichte voller Magie! Sie macht unglaublichen Spaß und ich fühlte mich Stimmung des Films „Chocolat“ versetzt - mit dessen Hauptpersonen und dessen Zauber kann man sie meiner Meinung nach gut vergleichen. Ich hoffe, dass dieses Buch noch sehr viele Leser findet, die sich nicht vom Titel und dem grausigen Küchenutensil auf dem Cover täuschen lassen – vielleicht reicht die Magie zwischen den Buchdeckeln ja aus, um potentielle Leser zu bezaubern, die es mit nach Hause nehmen…
Vielleicht eine Leseprobe, um den Stil des Buches zu zeigen: Diesen Preis zahle ich dafür, seit zwölfhundert Jahren. Ich sehe schreckliche Dinge und kann nichts tun. Ich kann den Ziegelstein nicht abfangen, der aus dem bröckelnden Kamin herausbricht und auf die Straße fällt; ich kann den Kinderwagen nicht bremsen, der bergab auf die Kreuzung zurollt; ich kann die Frau nicht aufhalten, die Rattengift in das Abendessen ihrer Kinder mischt, oder das hübsche Mädchen, das den einsamen, alten Mann küsst, als sei es verliebt. Ich kann zusehen oder wegschauen, was auf dasselbe hinausläuft. Mich tröstet allein, dass nichts für die Ewigkeit ist und in Dot nichts so, wie es scheint. Nichts.
In meinem goldenen Grab liegt eine Engelsfeder, die ein weitgereister Kreuzritter dort abgelegt hat, eine Engelsfeder, die vom Himmel gefallen und auf seinem Helm gelandet war, als er das heilige Land befreite. Wenigstens hat er das behauptet. Eigentlich handelt es sich um eine Pfauenfeder, die er aus dem Kopfschmuck der Gattin eines arabischen Kaufmanns gezupft hat, bevor er sie vergewaltigte. Seine Version der Geschichte ist viel hübscher. Nichts ist, wie es scheint...