Gewalten - Ein Tagebuch von Clemens Meyer

  • Zunächst einmal sollte man klarstellen was „Gewalten – Ein Tagebuch“ von Clemens Meyer nicht ist. Es ist kein Tagebuch. Offenbar handelt es sich hier um eine Auftragsarbeit, in der es darum ging, das Jahr 2009 literarisch zu verarbeiten, aber die Texte sind zu sehr gestaltet, zu sehr überhöht, als dass man hier von Tagebucheinträgen reden könnte. Vielmehr handelt es sich hier um Stories mit einer Person namens Clemens Meyer als Hauptfigur, in denen literarisch überhöht Zeitgeschichtliches verarbeitet wird. Da kommt die Bundestagswahl vor, Winnenden, Guantanamo, die Finanzkrise, Gewalt gegen Kinder und die Schweinegrippe. Manchmal funktioniert es gut, manchmal ist es etwas zu aufgesetzt.


    „Gewalten“ ist das erste Buch von Clemens Meyer, das ich gelesen habe, und die Vorstellung, die ich durch seine diversen Auftritte in den Medien von ihm hatte, wurde komplett bestätigt: in den Texten geht es um Pferderennen, Spielcasinos, Alkohol, Knackis und Prositution. Das Wesentliche eben.


    Zwei Geschichten fallen besonders auf. Da ist die Eröffnungsgeschichte „Gewalten“, in der der Autor/Ich-Erzähler nach einer exzessiven Silversternacht in einer Ausnüchterungszelle aufwacht. Die räumliche und zeitliche Desorientierung des Ich-Erzählers wird hier sehr gut beschrieben.


    Zitat

    Meine Brille ist weg, und ich drehe meinen Kopf, sehe den Raum um mich herum verschwommen, Neonröhren an der Wand gegenüber strahlen mich an, eine flackert, und in dem Flackern des Lichts dreht sich das Bild ganz langsam, ich sehe mich, wie ist das möglich?, wie ich da so an der kippenden Wand hänge...


    Der Satz setzt sich noch eine Strecke so fort. Die Geschichte ist sehr hart und schonungslos, aber für mich der Höhepunkt des Bandes, was aber leider auch bedeutet, dass das Niveau nicht gleichmäßig beibehalten wird. Bessere Texte und banalere Texte wechseln sich ab.


    Eine sehr auffällige Geschichte ist auch „German Amok“. Datiert auf den 11. März 2009, dem Tag des Amoklaufes in Winnenden, spätestens hier war mir klar, dass es sich hier nicht um unmittelbare und direkte Verarbeitung aktueller Ereignisse handelt, sondern dass Clemens Meyer sich Zeit für die fiktionale Verarbeitung gelassen hat. Wieder in der Ich-Form geschrieben zeigt es wie der Autor/Erzähler mit einem schwarzen Ledermantel bekleidet durch eine Schule geht und auf alles schießt, das sich bewegt. Das schockiert erst einmal, bald wird aber klar, dass hier eine Computerspielhandlung beschrieben wird. German Amok ist ein fiktives Computerspiel, in dem man Amokläufe nachspielen kann. Das Spiel mit der Identität, mit dem eigenen Potential für Gewalttaten ist interessant, aber gleichzeitig finde ich die Idee mit dem Computerspiel als Filter etwas zu naheliegend und platt.


    Für mich sehr gelungen sind die fast filmischen Mittel, mit denen erzählt wird (Cuts, Überblendungen etc.), und die vielen Filmzitate von Sam Peckinpah bis Woody Allen.


    Außerdem weiß ich jetzt mehr über Pferderennen als ich jemals wissen wollte.


    Insgesamt habe ich die Geschichten mit sehr viel Interesse gelesen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass es sich hier eher um ein Nebenwerk handelt. Als solches hat es aber durchaus mein Interesse an die anderen Bücher des Autors geweckt.

  • Hm, ich fand "Als wir träumten" großartig! Allerdings finde ich oft Bücher lustig, falsches Wort, humorvoll, auch falsch, mit einem subtilen herzerwärmenden Humor, die andere Leute furchtbar schwermütig und deprimierend finden :rolleyes

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    Hm, ich fand "Als wir träumten" großartig! Allerdings finde ich oft Bücher lustig, falsches Wort, humorvoll, auch falsch, mit einem subtilen herzerwärmenden Humor, die andere Leute furchtbar schwermütig und deprimierend finden :rolleyes


    Wenn ich es schwermütig oder deprimierend gefunden hätte, dann hätte es mich vielleicht sogar noch angesprochen - ich fand es aber leider einfach nur langamtig, zäh und sich immer wiederholend. Aber vielleicht sollte ich Clemens Meyer einfach noch einmal eine Chance geben :wave

  • Nun ja, ich wohnte zu der Zeit, in der das Buch spielt (also kurz nach der Wende), in genau der Gegend Leipzigs, die Meyer beschreibt (genau gesagt zwei Querstraßen weiter). Und ich fühlte mich beim Lesen in genau diese Zeit zurückversetzt, selbst die Sprache traf die Stimmung, diese Mischung aus noch DDR und Kapitalismus, in dem einige ihre Schäfchen ins Trockene bringen konnten, aber viele auf der Strecke blieben.
    Das ist aber zugegeben kein objektives Kriterium zur Beurteilung von Literatur :grin

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Titel: Gewalten. Ein Tagebuch
    Autor: Clemens Meyer
    Verlag: S. Fischer Verlag
    Erschienen: März 2010
    Seitenzahl: 224
    ISBN-10: 310048603X
    ISBN-13: 978-3100486035
    Preis: 16.95 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Clemens Meyer schreibt ein Tagebuch über die Gewalten unserer Zeit: die Wirtschaft stürzt, der beste Freund liegt im Hospiz, Jubel beim Pferderennen. Mit Witz, Lust und Wut schreibt er über das Leben. Über das Ende der Träume und den Fall der Aufsteiger: Krisen, Tod, Krankheiten, das Wetter, Terror, Pandemie, Weltkriege. Er setzt sich aus und erzählt von der Welt, durch die wir täglich gehen. Von ihrer Roheit, Unheimlichkeit und Schönheit. Die psychiatrische Notaufnahme wird zur Endstation einer heillosen Nacht. Am eigenen Schreibtisch tobt der Kampf mit dem nächsten Roman.


    Der Autor:
    Clemens Meyer, geb. 1977 in Halle/Saale, lebt in Leipzig. Nach dem Abitur arbeitete er als Bauhelfer, Möbelträger und Wachmann. Von 1998 bis 2003 studierte er am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2002 erhielt er ein Literatur-Stipendium des Sächsischen Ministeriums f. Wissenschaft und Kunst, 2001 belegte er den 1. Platz des MDR-Literaturwettbewerbs, 2003 den 2. Preis und 2006 erhielt er den Rheingau Literatur Preis.

    Meine Meinung:
    Dieses Buch von Clemens Meyer gehört zu den Büchern, die mich absolut nicht erreicht haben. Ich gehe mal davon aus, dass der Autor eine Menge Arbeit und Mühe in dieses Buch gesteckt hat - nur war das, jetzt mal auf mich bezogen, vergebliche Liebesmüh. Nichts in diesem Buch war für mich richtig greifbar, immer schweiften meine Gedanken, beschäftigten sich mit allem, eben nur nicht mit diesem Buch. Der Autor hatte wohl nichts Wichtiges oder Interessantes mitzuteilen. Die eigene Nabelschau mag für den Schauenden vielleicht ungeheuer interessant sein, für den Nabelfremden vielleicht aber eher nicht. Dieses Buch hätte nicht geschrieben werden müssen, für dieses Buch hätten keine Bäume umgelegt werden müssen - es ist eines dieser Bücher, die von der literarischen Kritik oftmals hochgelobt werden, die aber im Grunde genommen die literarische Welt selbst nicht braucht.
    Ein Buch zum Weglegen und zum Vergessen. Unstrukturiert, langweilig und dazu auch ziemlich nichtssagend. Wenigstens für mich. Der literaturwissenschaftlich gebildete Mensch wird eventuell ja zu einer anderen Meinung kommen. Aber das ist dann dessen Meinung - und nicht die meine.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

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  • Ich habe bislang zwei Bücher von Clemens Meyer gelesen und denke, dass ich es dabei belassen werde. Auf ihn aufmerksam wurde ich durch eine Rezension, in der davon gesprochen wurde, Meyer sei eine Mischung aus Irvine Welsh und Sven Regener - beide Autoren lese ich sehr gerne. Nun ist es auch nicht so, dass mich Meyers Bücher inhaltlich nicht ansprechen; vielmehr ist es die Art und Weise, wie er erzählt. "Als wir träumten" empfand ich als unglaublich zäh und quälend; ich weiß bis heute nicht, warum ich dieses Buch überhaupt zu Ende gelesen habe. "Die Nacht, die Lichter" wird von einem anderen Format umfasst, es beinhaltet Kurzgeschichten bzw. Stories. Auch hier stellte sich kein Lesegenuss ein, weil dieses Hin- und Herspringen zwischen den verschieden Zeitebenen doch sehr anstrengend war. Bitte nicht falsch verstehen: Ich habe kein Problem damit, Sätze mehrfach lesen zu müssen, um sie zu verstehen, oder ab und an mal zurückblättern zu müssen, weil ich den Zusammenhang nicht direkt erkenne. Aber wenn ich ein Buch lese, in dem zum Teil - und das über mehrere Seiten hinweg - satzweise zwischen verscheiden Zeitebenen hin und her gependelt wird, stellt sich bei mir einfach kein Lesefluss ein. Für mich ist die Lektüre dann nicht mehr nur herausfordernd, sondern nervtötend.


    Clemens Meyer schreibt erfolgreich, sogenannte Kenner schätzen seine Werke, verleihen ihm Preise. Sicherlich nicht unberechtigterweise. Der Zugang zu seinen Werken fehlt mir jedoch komplett.