Ruhestörung - Richard Yates

  • # Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
    # Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt (12. April 2010)
    # Sprache: Deutsch
    # Originaltitel: Disturbing the Peace


    Kurzbeschreibung
    John Wilder führt das perfekte Leben: Im trauten Eigenheim wartet eine ihn liebende Frau täglich auf seine Rückkehr aus dem Büro, wo er sich eine vielversprechende Karriere als Anzeigenvertreter aufgebaut hat. Seine Abende verbringt er auf Cocktailpartys und die Wochenenden mit der Familie auf dem Lande. Alles scheint gut. Doch wenn John ehrlich zu sich ist, dann weiß er, dass tief in ihm schon seit Langem etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist – etwas droht, die Ruhe zu stören.


    Über den Autor
    Richard Yates wurde 1926 in Yonkers, New York, geboren und lebte bis zu seinem Tod 1992 in Kalifornien. Er war einige Jahre als Werbetexter beschäftigt und in den späten Sechzigern kurzzeitig als Redenschreiber für Senator Robert Kennedy tätig. Hauptsächlich jedoch arbeitete Richard Yates als Schriftsteller: Er war der Autor von sieben Romanen und zwei Erzählungsbänden, die zu seinen Lebzeiten kaum Beachtung fanden – heute jedoch zu den wichtigsten Werken der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts gehören. Die DVA veröffentlicht Yates Gesamtwerk auf Deutsch.

    Meine Meinung

    "Im Spätsommer 1960 begann für Janice Wilder alles schiefzugehen. Und das Schlimmste daran war, sagte sie später immer wieder, das Schreckliche daran war, dass es aus heiterem Himmel zu geschehen schien."


    Dies ist der erste Satz des Romans "Ruhestörung" von Richard Yates und man wird mit diesem auch gleichzeitig direkt in die Geschichte hinein gesogen. Yates beschreibt die Familie Wilder; Janice und John Wilder führen eine Ehe, die schon lange nicht mehr glücklich zu sein scheint. John trinkt zu viel und hat darüber hinaus auch ein geheimes Apartment, in das er junge Frauen einlädt. Der gemeinsame Sohn Tommy leidet unter den ständigen Streitereien seiner Eltern und schreibt immer schlechtere Noten in der Schule.
    An dem Abend, an dem der Roman beginnt, hat John Wilder einen Nervenzusammenbruch, woraufhin er das verlängerte Wochenende in der Psychiatrie verbringen muss.


    Zitat


    "John, hör auf damit. Sag mir jetzt, warum du nicht nach Hause kommen kannst."
    "Willst du es wirklich wissen, Schatz? Weil ich Angst habe, dass ich euch umbringen werde, deswegen. Euch beide."


    John Wilder hört auch nach seiner Entlassung nicht auf zu trinken, obwohl er damit beginnt einen Psychiater aufzusuchen und auch zu Treffen der Anonymen Alkoholikern geht. Zur Mitte des Romans nimmt die Geschichte eine Wendung, mit der ich nur schwer warm werden konnte am Anfang – John Wilder versucht aus seiner Geschichte einen Film zu machen und viele Szenen in diesem Abschnitt muten schon beinahe unrealistisch und surreal an. Etwas, das ich von Richard Yates bisher noch nicht gekannt habe. Je weiter die Geschichte jedoch voranschreitet, desto mehr Sinn haben diese Szenen im Nachhinein für mich gemacht.
    Das Ende ist Yates-typisch – aber es rundet ein gutes Buch, zufriedenstellend ab.


    Die Familie Wildner ist eine typische Familie für Richard Yates und ich habe mich – bis auf wenige Ausnahmen – sehr wohl gefühlt mit diesem Roman. John verkörpert viele der Merkmale, die die meisten Charaktere in Romanen von Yates verkörpern - er fühlt sich vor allem minderwertig: auf Grund seiner Größe, seiner Arbeit, seiner Frau.


    Zitat

    "Er empfand Mitgefühl für den Mörder und er glaubte, seine Gefühle zu verstehen. Kennedy war zu jung, zu reich, zu gut aussehend und zu erfolgreich gewesen; er hatte Eleganz, Scharfsinn und diplomatisches Geschick verkörpert. Sein Mörder hatte aufseiten der Schwäche, des gefühlsgestörten Stumpfsinns, der hoffnungslosen Anstrengung und des selbstzerstörerischen Fanatismus der Dummheit Stellung bezogen – Kräfte, die John Wilder nur zu gut verstand. Er hatte beinahe das Gefühl, selbst auf den Abzug gedrückt zu haben, und war dankbar, dass er hier war, zitternd und sicher in seiner Küche, zweitausend Meilen vom Tatort entfernt."


    Ich denke, dass der Alkoholismus und vielleicht auch der Aufenthalt in der Psychiatrie Erfahrungen sind, die sicherlich auch Yates selber machen musste und umso mehr beeindruckt es mich, wie er diese schriftstellerisch verarbeitet hat.


    Ein gelungener Roman, 9 Punkte.

  • Zitat

    Original von Kristin
    Danke für die Rezi. Verlockend. Ich habe Yates noch nie gelesen, würdest du es für den Einstieg empfehlen?


    Viele Grüße,
    Kristin


    Noch nie Yates gelesen? Das ist aber schon ein schweres Versäumnis! Aber keine Sorge, ich habe hier schon einige bekehrt ... :grin


    Hm - für den Einstieg würde ich es vielleicht nicht unbedingt empfehlen, da würde ich "Easter Parade" oder auch "Zeiten des Aufruhrs" für geeigneter halten.

  • Zitat

    Noch nie Yates gelesen? Das ist aber schon ein schweres Versäumnis! Aber keine Sorge, ich habe hier schon einige bekehrt ... :grin


    Nein, noch nie. :keks Aber ich schleiche schon eine Weile um Yates.


    Zitat

    Hm - für den Einstieg würde ich es vielleicht nicht unbedingt empfehlen, da würde ich "Easter Parade" oder auch "Zeiten des Aufruhrs" für geeigneter halten.


    Easter Parade klingt schon mal gut, ich habe zu Zeiten des Aufruhrs keine Rezi gefunden, schau mir den Inhalt heute Nachmittag bei amazon an. Und dann kommt eins von beiden auf die Kaufliste.


    Danke. :wave

  • Kristin : Schau mal hier - Rezensionen zu Zeiten des Aufruhrs
    Ich bin mit "Easter Parade" in die Yates-Welt eingestiegen.


    buzzaldrin : Vielen Dank für die tolle Rezi :wave Ich bin schon gespannt. Allerdings hat mir "Eine besondere Vorsehung" nicht allzu sehr gut gefallen... (Ich muss noch mein abschließendes Urteil im entsprechenden Thread schreiben). Ich hoffe, Yates findet hier wieder ein bisschen zu seiner alten Form zurück.

  • Herzlichen Dank für diese sehr informative Rezi. Yates ist in meinen Augen ein wirklich großartiger Autor. Dann werde ich mir diesen Roman von ihm wohl mal schnellstens besorgen müssen.... :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Herzlichen Dank buzzaldrin für diese, wieder einmal, sehr überzeugende Rezi. Unnötig zu erwähnen dass das Buch schon mehr oder weniger gekauft ist. :wave


    @ Kristin
    Ich habe wie SueTown auch mit Easter Parade angefangen. Wenn ich mich nicht täusche war das auch das erste Buch mit dem er in Deutschland bekannt wurde.
    Buzzaldrin weiß das bestimmt besser als ich :-)

    Herzlichst, FrauWilli
    ___________________________________________________
    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Zitat

    Buzzaldrin:
    Noch nie Yates gelesen? Das ist aber schon ein schweres Versäumnis! Aber keine Sorge, ich habe hier schon einige bekehrt ... Grinsen


    :grin ich gehöre zu den Bekehrten. :grin


    Danke für deine Rezension, buzzaldrin, habe es schon in meinen Suchaufträgen bei TT. :-)



    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Es freut mich, dass ich bei einigen das Interesse wecken konnte. :-)


    Zitat

    buzzaldrin : Vielen Dank für die tolle Rezi :wave Ich bin schon gespannt. Allerdings hat mir "Eine besondere Vorsehung" nicht allzu sehr gut gefallen... (Ich muss noch mein abschließendes Urteil im entsprechenden Thread schreiben). Ich hoffe, Yates findet hier wieder ein bisschen zu seiner alten Form zurück.


    SueTown, ich würde "Ruhestörung" im Vergleich zu "Eine besondere Vorsehung" auf jeden Fall besser bewerten - wenn ich mich richtig erinnere hat er es auch sechs Jahre später veröffentlicht, von daher kann man wohl wirklich davon sprechen, dass er hier zu seiner alten Form zurückgefunden hat.


    Du solltest Yates auf jeden Fall noch eine Chance geben. :wave

  • @ buzz: Danke für Deine Rezi.


    Auf die Veröffentlichung habe ich ja schon lange hingefiebert. Und obwohl bei mir gerade Flaute (mehr oder weniger überall ;-)) herrscht, "Ruhestörung" muss sein.


    Mir hat "Eine besondere Vorsehung" übrigens auch nicht so gut gefallen, vielleicht wegen der langen Kriegspassagen.
    Aber "Easter Parade" und "Zeiten des Aufruhrs" haben mich wirklich begeistert :-).

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

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  • Hab das Buch gestern zugemacht.
    Ich bin beeindruckt. Vorher noch nie von diesem Autor gehört, dann eine Rezension (im Spiegel, glaube ich) gelesen, Buch bestellt, gelesen und nicht bereut.
    Gut, Alkoholismus verläuft nicht immer so, wie in diesem Buch geschildert wird. Nicht bei uns. Nicht heutzutage. Aber es könnte so verlaufen.
    Als ich gelesen habe worum es bei diesem Buch geht (Alkoholismus), wollte ich dankend ablehnen. Schon allein das Wort ist negativ belastet. Aber Richard Yates versteht es das Thema lebenig, voller überraschender Wendungen rüber zu bringen.
    Eine wirklich kurzweilige Lektüre.
    Das nächste Buch von ihm ist schon unterwegs.

  • Dann schreibe ich auch mal meinen Kommentar:


    Gleich der erste Satz des Romanes lässt den Leser ahnen, dass hier die Geschichte eines Absturzes erzählt wird:
    "Im Spätsommer 1960 begann für Janice Wilder alles schiefzugehen."


    John Wilder lebt das Leben eines Durchschnittsmenschen. Er hat Frau und Sohn, eine Arbeit, besucht Cocktailparties und ab und an geht er fremd. Seinen Traum, in der Filmbranche zu arbeiten, hat er sich nicht erfüllen können.
    Doch er trinkt und eines Abends hat er einiges zuviel intus und wird unberechenbar. Er teilt seiner Frau Janice telefonisch den Grund mit, warum er nicht nach Hause kommen kann: er hat Angst, sie und den Sohn umzubringen.
    Janice ruft den gemeinsamen Freund Paul an, welcher John ins Bellevue Hospital bringt. Dort verbleibt John mehrere Tage in der psychiatrischen Abteilung und macht schlimme Erfahrungen. Ein Arzt lässt sich nicht blicken - es ist das Thanksgiving-Wochenende und so muss John ohne Erklärung dort ausharren.
    Nach diesem Erlebnis beschließt John, sich seinen Traum zu erfüllen und sein Leben zu verfilmen. Gemeinsam mit seiner jungen Geliebten Pamela geht er nach Hollywood.
    Zwar verspricht er, trocken zu werden, besucht auch einige Treffen der anonymen Alkoholiker; doch diesen Vorsatz hält er nicht durch und trinkt weiter. Die Beziehung zu Pamela und auch seine Ehe scheitern.
    Es kommt, wie es kommen muss - der Absturz lässt sich nicht aufhalten.


    Richard Yates war selbst Alkoholiker, litt wie Protagonist John Wilder unter psychischen Problemen. Auch mit diesem Roman hat Richard Yates seine persönlichen Erfahrungen verarbeitet.
    "Ruhestörung" habe ich sehr gerne gelesen, auch wenn ich anfangs etwas Schwierigkeiten mit der Filmpassage hatte, sie erst für etwas unrealistisch hielt - warum auch immer.
    Allerdings habe ich ein wenig nachgeforscht und festgestellt, dass auch Yates nach Hollywood ging und dort scheiterte.
    Diesen link fand ich recht interessant und informativ.

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Bei "Ruhestörung" hat mich vor allem die Schilderung des Alkoholismus und der psychischen Probleme des Protagonisten beeindruckt, die ja - wie in diesem Thread bereits erwähnt - autobiographische Züge haben.
    "Ruhestörung" hat mir besser gefallen als "Eine besondere Vorsehung", vor allem wegen des hier sehr gelungenen Endes, kommt aber nicht ganz an "Easter Parade" und "Zeiten des Aufruhrs" heran.
    Ich hoffe, die übrigen Romane Yates´ werden auch noch ins Deutsche übersetzt, ich glaube drei sind noch ausständig.

  • vor wenigen Tagen habe ich "Ruhestörung" beendet und habe mich manchmal gefragt, was an der Midlife-Crisi eines amerikanischen Mittelstandsfuzzis eigentlich so interessant.


    Ich glaube, es war die unbedingte Fokussierung darauf, wie ein Mann langsam durchdreht, die mich so gefesselt hat. Die Nebendarsteller spielen in diesem Roman ja nur insofern eine Rolle, als sie Pflasterteine des Weges in den Wahnsinn sind. Das Ganze hatte was einer griechischen Tragödie: der Untergang ist einfach nicht aufzuhalten. Fesselnd.


    Bei den Schilderungen von Wilders erstem Aufenthalt in der Psychatrie musst ich an "Einer flog übers Kuckucksnest" denken. Kein Wunder, dass "Psychatrie" lange Zeit nicht viel besser als "Zuchthaus" war :wow


    Edit meint: ich habe die neu erschienene Taschenbuchausgabe gelesen

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

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