Klappentext:
Richard von Schirach war bereits ein junger Mann, als sein Vater 1966 nach zwanzigjähriger Haft gemeinsam mit Albert Speer aus dem Spandauer Gefängnis entlassen wurde.
Wie wächst einer auf, der seinen Vater nur einmal im Jahr für kurze Zeit im Gefängnis besuchen darf? Was bedeutet es, den Namen eines Kriegsverbrechers zu tragen? Und was passiert, wenn der Vater schliesslich freikommt - und alle Hoffnungen auf eine "normale" Familie enttäuscht?
Richard von Schirach erzählt von seiner Kindheit und Jugend im Schatten des abwesenden Vaters: Eine Geschichte der deutschen Nachkriegsjahre, wie sie noch nicht zu lesen war.
Der Autor:
Richard von Schirach, Jahrgang 1942, studierte Sinologie, Germanistik und Geschichte. 1978 Gründung eines Beratungs- und Dienstleistungsunternehmens für die VR China. Bei Hanser erschien: PU YI. ICH WAR KAISER VON CHINA (1973)
Eigene Meinung:
Bei diesem Buch fällt es mir nicht leicht, meine Empfindungen/Ansichten einigermassen geordnet weiter zu geben. Ich versuche es trotzdem, weil es sich lohnt, dieses Buch vorzustellen. Denn es ist ein einzigartiges Dokument, von einem ganz anderen Standpunkt aus geschrieben als sonstige Bücher im Zusammenhang mit dem Thema: Nationalsozialisten/Nationasozialismus.
Richard v. Schirach ist das jüngste der vier Schirach-Kinder, er war noch keine 4 Jahre alt, als sein Vater aus seinem Leben verschwand. Baldur v. Schirach wurde bei den Nürnberger Prozessen zu 20 Jahren Haft verurteilt, aufgrund seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Auch die Mutter verschwand zeitweise, denn auch sie kam verschiedene Male in Untersuchungshaft und musste sich den Gerichten stellen.
Der Einstieg in dieses Buch gestaltete sich etwas harzig, mir kam es vor, als wäre der Autor etwas konzeptlos, wüsste nicht so recht wo er anfangen soll. Er scheint verunsichert, und wohl selber noch immer auf der Suche nach Antworten, warum sein Vater in den Sog der Nazis geraten konnte.
Erst ab dem Zeitpunkt, wo er über sein eigenes Leben berichtet, wird die Erzählweise konstanter.
Richard v. Schirach verfügt über ein grossartiges erzählerisches Talent, sein Wortschatz scheint unbegrenzt zu sein, seine Sätze sind mit phantasiereicher Kraft aufgebaut, oft auch untermalt mit Poesie und umwerfendem Humor.
Seine Erzählungen führen uns durch die Nachkriegszeit, durch die 50er und 60er Jahre und er streut immer wieder Begebenheiten jener Zeit ein, vor allem auch solche, die den damaligen Lebensstil betrafen, die ich schon längst wieder vergessen hatte.
In einer Kritik zu diesem Buch habe ich gelesen, dass der Autor sich zu intensiv mit seinem eigenen Leben befasse, sich zuwenig auf den Vater konzentrieren würde.
Aber der Vater war doch gar nicht da, zwar gehörte er irgendwie zu seinem Leben und irgendwie eben doch nicht ….er wurde für Richard eher zu einer Art Phantom, das seinen „Schatten“ in sein Leben warf, in diesem Schatten aber musste Richard seinen eigenen Weg suchen, zumal er schon in jugendlichem Alter sich grösstenteils selber überlassen war, denn seine Mutter wollte ihre eigenen Wege gehn. Die Kinder wuchsen „in alle Winde verstreut“, fern voneinander auf. Doch sie alle haben den Kontakt untereinander so intensiv wie möglich weiter gepflegt und wohl bis zum heutigen Zeitpunkt in freundschaftlichem Austausch halten können....und sie alle haben auch den Kontakt zu ihrem Vater während der vielen Jahre seiner Haft aufrecht erhalten.
Zwischen die Aufzeichnungen seiner eigenen Lebensgeschichte steut Richard v. Schirach immer wieder Gedanken ein, die er sich über seinen Vater macht, er erzählt von den Briefen die hin und her gingen, diese Briefe unterlagen einer scharfen Zensur, es durfte kein einziges Wörtchen über Politik darin enthalten sein, die Anzahl der erlaubten Worte war genauestens vorgegeben, überzählige wurden bei der Kontrolle einfach weggeschnitten.
Und vor allem erzählt er anschaulich über jene wenigen Besuche, die er in Spandau machen konnte. Auch diese Besuche unterlagen strengsten Vorsichtsmassnahmen. Enorm interessant ist es zu erfahren, wie diese Besuche abgelaufen sind.
Man erfährt auch einiges über die Bedingungen der Haft für Baldur v. Schirach und den sechs anderen mitinhaftierten Nazigrössen (Speer, Hess etc.) Ich habe mich aber gefragt, woher denn der Autor dieses Wissen haben könnte, und ich vermute, dass er sich ein Stück weit am Buch seines Vaters ICH GLAUBTE AN HITLER orientiert hat, so wie er wohl auch das eine und andere aus dem Buch seiner Mutter DER PREIS DER HERRLICHKEIT übernommen hat.
Nach genau 20 Jahren Haft – keine Minute früher – konnten die Schirach-Kinder (die waren mittlerweile natürlich längst erwachsen) ihren Vater in Spandau abholen.
Und bald schon fing diese über so lange Jahre mit Mühe und Not aufrecht gehaltene Beziehung Richards zu seinem Vater an zu bröckeln. Richard stellte seinem Vater Fragen, er wollte versuchen ein Stück weit zu verstehen, zu begreifen…..
Das Buch endet etwas abrupt, in einer Art von eigentümlichem „Abgesang“.
Meine Erwartungen an dieses Buch wurden im Grossen und Ganzen erfüllt, ich habe keine wissenschaftliche Abhandlung über den Nationalsozialismus erwartet, keine ellenlangen Schuldzuweisungen des Sohnes an seinen Vater, und auch nicht, dass er die Verantwortung für die Taten seines Vater übernehmen müsste, sich also folglich bei den Opfern des Nationalsozialismus lautstark entschuldigen müsste. Er hat gegen Ende des Buches klar Stellung bezogen zu den Verbrechen der Nazis, insbesondere zu denjenigen seines Vaters.
Der Autor steht all diesen Greueltaten wohl ebenso ratlos und voller Unverständnis gegenüber wie wir alle, mit noch mehr Betroffenheit aber dadurch, dass sein eigener Vater mitgemacht hat. Richard v. Schirach hat für meine Begriffe diese ganz enorm schwierige Aufgabe, die er sich mit dem Niederschreiben dieses Buches gestellt hat, sehr gut und eindrücklich gemeistert….