Nagel: Wo die wilden Maden graben (Nagel/Prahl/Urlaub)

  • Bereits im Jahr 2007 als Taschenbuch bei "Ventil" erschienen, gibt es das halbfiktive Punkrocker-Tagebuch "Wo die wilden Maden graben" des ehemaligen Muff-Potter-Sängers Thorsten "Nagel" Kleinschmidt seit März 2009 als Hörbuch, eingesprochen vom Autor selbst, von "Die Ärzte"-Mitglied Farin Urlaub und Schauspieler Axel Prahl. Ich hab's von einem Freund geschenkt bekommen; Hörbücher sind eigentlich nicht so mein Ding, aber es lief in den letzten zweieinhalb Stunden mit, während ich gearbeitet habe. Es passte insofern ganz gut, dass es in meinem nächsten Roman auch irgendwie um Musiker auf Tour gehen wird, unter anderem - und auf andere Art.


    "Nagel" erzählt in mehreren Episoden davon, wie es ist, unterwegs zu sein, in einem Bus zwischen Langeweile, Euphorie und Selbsthass herumzuhängen, vom Adrenalinschub während der Auftritte ("Ich möchte mit niemandem auf der Welt tauschen!"), vom Einerlei und vom Andererseits. Natürlich spielen Drogen eine Rolle, Groupies und was man sonst noch vom Rock im Allgemeinen und vom Punk im Speziellen erwartet. Nagel widmet sich den verschiedenen Publikümmern, zum Beispiel den extrem lässigen und irgendwie immer gelangweilten Studententypen, die nicht wie Studententypen aussehen wollen, denen man immer in Großstädten begegnet, und dem feierlaunigen, bunt gemischen Volk in kleineren Orten, das gelegentlich zu blöd zum Stagediven ist. Außerdem geht es um Tankstellen, Beziehungen, Vegetarismus, Selbstzweifel, schweizer Zollbeamte, Retro, Vorbands, Geld und vieles mehr. Einige Episoden - etwa "Luxusprobleme" um den ersten Aufenthalt in einem Fünf-Sterne-Hotel - sind recht komisch, andere eher lakonisch, aber alles wirkt authentisch, offenherzig und sehr ehrlich. Man bekommt einen guten Eindruck davon, was so abgeht, und das ganze ist wirklich schön erzählt, hat Melodie und Rhythmus, zuweilen Melancholie, und dann rockt es wieder. Ein paar Formulierungen sind dicht an der Brillanz.


    Die meisten Episoden liest der Autor selbst. Farin U macht eine überraschend gute Figur als Hörbuchsprecher, aber Axel Prahl nervt mit seinem Versuch, besonders lässig-unterkühlt rüberzukommen. Seine Darbietung würde eher zu einem amerikanischen Familiendrama oder einem Bekenntnisroman á la Hegemann passen, grätscht jedenfalls aus der ansonsten gefälligen Umsetzung heraus. Prahl gibt sich ja gerne szenig, was man ihm eigentlich auch abnimmt, aber hier schauspielert er zu sehr.


    "Wo die wilden Maden graben" bestätigt viele Klischees, überrascht auch, wirkt in gesunder Dosierung abgeklärt, aber niemals ernüchternd. Es ist eine unprätentiöse, liebenswerte Verarbeitung einer Zeit, von der viele geträumt haben, als sie jünger waren, und die natürlich nicht halb so schillernd, sex-and-drugs-and-rock-and-roll-mäßig ist, wie sich das alle vorstellen - und in vielerlei Hinsicht doppelt, dreimal so sehr. Empfehlenswert für alle, die erfahren möchten, was in den Köpfen auf der Bühne vor sich geht - auch dann, wenn Punk ihr Ding nicht ist.