Prozess wegen Folterandrohung

  • Ex-Polizeichef Wolfgang Daschner hält den Folter-Vorwurf für absurd und spricht von "unmittelbarem Zwang".


    FRANKFURT. Auch morgens um sieben ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Erst in zweieinhalb Stunden beginnt der Prozess gegen den Ex-Vizepolizeichef Wolfgang Daschner (61), doch schon jetzt warten zahlreiche Leute vor dem Zuschauereingang des Frankfurter Landgerichts und diskutieren sich die Köpfe heiß. Über Menschenrechte. Über Mord. Über Folter. "Folter" sagt einer der Männer und zieht ein Buch aus seiner Tasche: "Folter ist doch was ganz anderes. Guckt mal..." Er zeigt die Fotos mit den Auswüchsen menschlicher Grausamkeiten den Umstehenden. "Aber bei uns hier ging es doch darum, das Leben eines Kindes zu retten." Ein älterer Mann vor ihm dreht sich um und hebt den Zeigefinger: "Oh nein, wer der Folter die Tür nur einen Spalt öffnet, der kriegt sie nie wieder zu." Sie sind sich nicht einig bei diesem Fall, die Zuschauer, und sie werden es auch am Ende des ersten Verhandlungstages nicht sein.


    Von Folter allerdings spricht dann während des Prozesses auch der Staatsanwalt nicht. Er wirft Daschner lediglich die Verleitung zur Nötigung und einem mitangeklagten Hauptkommissar (51) eben diese Nötigung vor. Daschner selbst nennt es "unmittelbaren Zwang" und den Vergleich mit der Folter schlicht "absurd".


    Der Täter stand rasch fest


    Zum besseren Verständnis noch einmal die Situation für die Polizei an diesem 30. September 2002. Drei Tage zuvor war der Bankierssohn Jakob von Metzler von Magnus Gäfgen entführt worden. Gäfgen stand für die Polizei ziemlich rasch als Täter fest, unter anderem, weil er die Million Lösegeld abgeholt hatte. Daschner erklärte seine Überlegung ges-tern im Detail: "Wir wussten jetzt, dass sich Jakob und sein Entführer von früher kannten. Damit war zu befürchten, dass das Kind aus der Sicht des Täters nicht überleben durfte."


    Daschners Sorge: "Der Junge wird einfach seinem Schicksal überlassen, verdurstet, erfriert, erstickt, verhungert." Der Polizist hat sich kundig gemacht: "Normalerweise stirbt ein Mensch schon nach maximal vier Tagen ohne Flüssigkeit. Von diesen vier Tagen waren an diesem Abend bereits dreieinhalb Tage vergangen."


    Nur um Jakob zu retten, habe Daschner deshalb die umstrittenen Anordnungen getroffen. Zunächst sollten die Beamten prüfen, ob kurzfristig ein "Wahrheitsserum" beschafft werden könne. Außerdem sollte die Anwendung unmittelbaren Zwanges unter polizeiärztlicher Aufsicht vorbereitet werden. Einige Polizisten in der Abteilung lehnten es jedoch strikt ab, mit solchen Methoden vorzugehen.


    In meinen Augen hat der Polizeichef in diesem Fall richtig gehandelt und sollte zwar dem Gesetz nach verurteilt, aber nicht bestraft werden - wenn so ein salomonisches Urteil nach deutschem Gesetz möglich wäre. In so einer Extremsituation ist die strafbare Androhung von Folter m. E. nach nicht über das Leben eines Menschen zu stellen.


    Gruss,


    Doc

  • Hi Doc,


    Tarzan und ich haben dazu eben einen Bericht im Radio gehört (wir standen mal wieder im Stau *stöhn*) und haben heftig diskutiert (komisch weil wir waren eigentlich beide der gleichen Ansicht, nämlich der die du auch vertrittst)


    Das Androhen der Folter fällt ja unter verbotene Vernehmungsmethoden.... (zumindest sagt mir das mein gefährliches Halbwissen ... Ausbildung ist ja schon was her und das sind ja nicht wirklich alltägliche Dinge)


    Mein gefährliches Halbwissen sagt mir außerdem, daß es einen §8 des Polizeigesetzes gibt, daß ist eine Generalklausel. Demnach, dürfen Polizeibeamte Maßnahmen zur Abwehr einer Gefahr treffen, sofern sie erfoderlich, verhältnismäßig und geeignet zur Abwehr dieser Gefahr sind.


    Nun da andere Mittel nicht zur preisgabe des Ortes geführt haben, war die Androhung offensichtlich erforderlich.


    Da hier das Leben eines Kindes auf dem Spiel stand und auf der anderen Seite lediglich die Androhung von Gewalt, würde ich sagen (meine persönliche sichtweise) es war auch verhätlnismäßig.


    Geeignet war es auch, schließlich wurde die Örtlichkeit bekannt gegeben, es führte also zum Ziel.



    Tarzan erwiederte darauf, daß das ja alles stimme, aber die Androhung von Gewalttaten ja schließlich eine Straftat sei und unsere Generalklausel uns ja nicht zu Straftaten ermächtigen würde.


    Da hab ich ihm dann das Beispiel genannt:


    Kind sitzt in einem heißen Pkw, alle Fenster sind zu und droht einen Hitzschlag zu erleiden, weit und breit sind die Eltern nicht aufzutreiben. In dem Fall schlag ich ja auch die Scheibe ein. Begehe also eine Straftat nämlich eine Sachbeschädigung, um das Leben/ die Gesundheit des Kindes zu retten. Das wird ja schließlich immer so gemacht und da hat sich noch nie jemand beschwert.


    Naja, Tarzan kam dann wieder mit den Verbotenen Vernehmungsmitteln und dem Thema wo man denn dann die Grenze ziehen will.


    Aber im Grunde bin ich immer noch der Ansicht, der Mann hat richtig gehandelt.

  • Zitat

    Original von Doc Hollywood
    In meinen Augen hat der Polizeichef in diesem Fall richtig gehandelt und sollte zwar dem Gesetz nach verurteilt, aber nicht bestraft werden - wenn so ein salomonisches Urteil nach deutschem Gesetz möglich wäre. In so einer Extremsituation ist die strafbare Androhung von Folter m. E. nach nicht über das Leben eines Menschen zu stellen.


    Da halte ich es wie einige Juristen und Verfassungsrechtler. Ein solches Urteil würde der Präventivfolter Tür und Tor öffnen, und es würde Art.2b des GG weitgehend aushebeln.
    Wer zur Hölle entscheidet denn in diesem Moment darüber? Ich bin entschieden dagegen, Polizisten ganz gleich welchen Dienstranges die Macht zu verleihen, über Wohl und Wehe eines Verdächtigen bw. mutmaßlichen Täters zu urteilen. Eine Schuld wird immer erst durch das Urteil eines Gerichts festgestellt.


    Wenn juristisch abgesegnet wird, daß ein Vorgesetzter der Exekutive einem Untergebenen die Order geben kann hinzulangen, um an Informationen zu gelangen, führen wir den systematischen Einsatz juristisch legitimierter Folter ein. Das ist der Schritt zum Polizeistaat.
    Denn: Wer beurteilt das im Einzelfall? Wer bestimmt die Grenzen? Wer kontrolliert das?


    Anders ist es, wenn Polizisten in einem entsprechenden Verhör "die Nerven verlieren". Das ist nachvollziehbar, insofern muß der Fall untersucht werden und bei entsprechendem Entscheid entweder strafrechtlich folgenlos bleiben oder entsprechend geahndet werden. Ich habe schon von genügend Fällen gehört, in denen Polizisten zu "harten Bandagen" gegriffen haben und je nach Resultat verurteilt wurden -- nämlich mit oder ohne Strafe. Aber der Grundsatz, daß Gewalt als Verhörmittel abzulehnen ist, ist eine der bedeutendsten Errungenschaften unseres Rechtssystems.


    Man mag es mir glauben oder nicht, aber ich bin (trotz eigener Gewalterfahrungen und -- zum Glück wenigen -- Tragödien in meinem Umfeld) heilfroh, in einem Staat zu leben, in dem Folter bisher nicht zur Diskussion gestanden ist, und offen gestanden, ich bete zu Gott, daß das so bleiben möge.


    So, und nun mag BJ über mich herfallen.

  • Ich habe damals lange darüber nachgedacht, wie ich gehandelt hätte und kann mich bis heute nciht festlegen.


    Gefühlsmäßig gebe ich Doc und BJ recht, in Nachhinein.


    Mein Verstand dagegen gibt Iris eindeutig recht. Wer will festlegen was wann in welchem Grad erlaubt ist? Und wer will das kontrollieren?


    Ich bin dafür, dass der Ex-Polizeichef verurteilt udn bestraft wird. Er hat gegen bestehendes (und hoffentlich bleibendes) Recht verstoßen.


    Aber ich wünsche mir in solch entscheidenden Situationen Menschen mit der nötigen Zivilcourage, die auch bereit sind die Folgen zu tragen.


    LG Dyke

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

  • Hallo,


    darf ich mal - weil ich den Fall und dessen genaue Fakten nämlich, wie vielleicht einige andere ja ebenfalls, nicht kenne, nachfragen:


    1) Es wurde von den vernehmenden Polizeibeamten angedroht, ein Wahrheitsserum zu benutzen - dieses wurde, wenn ich das richtig gelesen habe, Doc, nicht tatsächlich benutzt?


    2) Dies (Nötigung, unter psychischen Druck setzen des zu Vernehmenden) geschah unter dem sehr starken Zeitdruck, daß das entführte Kind eventuell verdursten, also sterben würde, richtig?


    Diese beiden Fragen hätte ich gerne, wenn möglich mit Angabe von einer Quelle, gerne geklärt, bevor man hier wild in den Nebel hineindiskutiert wieder.


    Danke
    Baumbart

  • Hallo Baumbart,
    um die Quellenangabe habe ich gestern Abend Doc noch per PN gebeten, er wird die Angaben heute sicherlich nachtragen.


    Es geht um die Entführung des Bankierssohn Jakob von Metzler, der letzendlich leider ermordet gefunden wurde. Der Fall ging durch die Presse, du hast sicherlich davon gehört.


    Meine Meinung zu diesem Fall:
    Ich meine, der Ex-Polizeichef Wolfgang Daschner ist damals über das Ziel hinaus geschossen. Er muß in meinen Augen bestraft werden, sonst würde der nächste Polizist in so einer Situation vielleicht noch ganz andere Geschütze auffahren. Wo sollen da die Grenzen gezogen werden. Allerdings bin ich nicht für eine harte Bestrafung, ich denke alleine das dieser Fall vor dem Gericht verhandelt und öffentlich gemacht wird ist schon mal ein guter Weg. (Schlimm würde ich es finden, wenn man Jahre später durch einen Zufall erfahren hätte, was damals passiert ist und alles verschleiert worden wäre.)
    Durch die Veröffentlichung des Falles, wird sich der nächste Polizist bei einer Vernehmung vielleicht dreimal überlegen, ob er so einen Weg einschlagen möchte, bzw. so eine Anordnung treffen möchte.

  • Hallo Wolke,


    ja eben, leider hab ich das aus persönlichen Gründen nur am Rande mitbekommen... :-(


    Deswegen meine Bitte um mehr Infos.


    Im ersten "Waffengang" würde ich Dyke, BJ und Dir recht geben. Warten wir halt mal auf mehr Details...:-)


    LG
    Baumbart

  • baumbart
    Eine hieb- und stichfeste Quellenangabe kann ich nicht liefern, da ich die Infos aus dem Eröffnungsbeitrag wie jeder Mensch nur aus den Tageszeitungen (der Text oben war - glaube ich?? - aus der sz-online kopiert) bzw. Rundfunk und TV kenne. Auch wenn wir vielleicht die hundertprozentig genaue Sachlage alle nicht kennen, so denke ich reicht es aus, um über dieses sehr interessante Thema zu sprechen.


    Iris
    Ich gebe Dir natürlich recht, daß durch ein entsprechendes Urteil so ein Vorgehen nicht legitimiert werden darf. Darum bin ich ja auch der Meinung, daß Daschner in genau diesem Fall zu genau diesem Zeitpunkt "richtig" gehandelt hat. Es ging um das Leben eines entführten Kindes. Ich denke, daß wir alle noch zu ganz anderen Mitteln gegriffen hätten, wenn es unser Kind gewesen wäre und wir alleine mit dem Entführer in einem Raum gewesen wären. So ehrlich muss wohl jeder zu sich selbst sein.


    dyke
    Ich gebe Dir recht. Mag Daschner auch verurteilt und bestraft werden, in solchen Fällen bin ich aber froh, daß es wirklich noch Menschen gibt, die trotz evtl. schwerwiegender Folgen ihrem Gewissen nach handeln und versuchen größeres Unheil abzuwenden.


    Gruss,


    Doc

  • Man hat dem Mörder von Jakob von Metzler u.a. auch körperliche Gewalt durch einen "ausgebildeten Kampfspezialisten" angedroht... das nur noch als Ergänzung.




    Daschner hat m.E. gesetzeswidrig aber vollkommen richtig und mutig gehandelt !



    Mehr möchte ich momentan nicht sagen....



    *GastRedner - gerade kein Mitleid mit Kindermördern hat*

  • Zitat

    Original von Doc als Gast
    Ich gebe Dir natürlich recht, daß durch ein entsprechendes Urteil so ein Vorgehen nicht legitimiert werden darf. Darum bin ich ja auch der Meinung, daß Daschner in genau diesem Fall zu genau diesem Zeitpunkt "richtig" gehandelt hat. Es ging um das Leben eines entführten Kindes. Ich denke, daß wir alle noch zu ganz anderen Mitteln gegriffen hätten, wenn es unser Kind gewesen wäre und wir alleine mit dem Entführer in einem Raum gewesen wären. So ehrlich muss wohl jeder zu sich selbst sein.


    Das bezweifle ich nicht -- persönliche Betroffenheit kann aber nicht allgemein geltendes Recht werden, sonst haben wir sofort eine Willkürjustiz. Es wird in einem Rechtsstaat immer Grenzfälle geben, die die Beteiligten vor ein schier unlösbares Dilemma stellen. Was aber nicht heißen darf, daß die jeweilige momentane Entscheidung dann geltendes Recht umstoßen kann.


    Im Übrigen gebe ich Dyke grundsätzlich recht, was diesen Daschner betrifft, habe ich meine anfänglich positive Meinung schnell revidiert, nachdem ich beobachten mußte, wie sich dieser Mann in der Aufmerksamkeit populistischen Medien sonnte. Die penetrante Eitelkeit über sein Tun, Untergebene zur 'sachlich umschriebenen' Folter anzuhalten, war Grund genug, längst nicht nur humane Kriterien hinter seiner Entscheidung zu erkennen.


    Heute steht übrigens ein sehr guter Kommentar von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung.


    Die Berichterstattung findet sich u.a. in der Süddeutschen Zeitung, im [URL=http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,328495,00.html]Spiegel[/URL] und im stern, in der Hamburger Morgenpost und in der FAZ.

  • Die Diskussion ist schon interessant. Sicher, wir alle haben Verständnis für den Mann, der in dieser Situation eine Entscheidung fällen mußte. Ich weiß nicht, ob ich das nicht auch getan hätte.
    Aber: Wir leben in einem Rechtsstaat (auch wenn das manchmal bezweifelt werden kann) und der hat nun mal gewisse Grundregeln. Folter, auch das Androhen einer solchen, sind nicht erlaubt und strafbar. Polizisten sollten in der Regel ohne Emotionen mit ihrer Arbeit umgehen. Das ist zwar unmöglich, denn kein Mensch kann so weit abstumpfen, daß ihm Fälle wie dieser nicht an die Nieren gehen, doch in der Theorie wird das einfach verlangt. Und gerade die Polizei soll eben rechtsstaatliches Handeln garantieren.
    Ich bin auch dafür, daß Daschner seine Strafe erhält. Im Strafmaß allerdings kann der Richter m. E. die außergewöhnliche Situation, in der Daschner sich befand, berücksichtigen.
    Tut mir leid, BJ, aber die Regeln gelten nun mal für alle und da darf man auch in solchen Fällen keine Ausnahmen machen. Die Folgen wären nicht mehr abzusehen.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • Stellt euch mal vor, was gewesen wäre, wenn Daschner dem falschen Tatverdächtigen Folter angedroht hätte. Da wäre ein Aufschrei durch die Nation gegangen.
    Ich glaube gerade wenn es um Kinder geht, ist man bereit viel mehr als normalerweise zu tolerieren.
    Wenn ich mir vorstelle, jemand faßt meine Kinder an, ich weiß nicht, ob ich da noch für mich garantieren könnte, wenn ich so jemand in die Hände bekommen würde. Alleine der Gedanke daran und mir wird schon ganz übel.

  • Gerade weil da bei jedem Einzelnen und den Eltern unter uns im besonderen die Emotionen hochkochen, muss man versuchen, das Ganze möglichst objektiv und vom Einzelfall losgelöst zu betrachten.
    Eine Legitimation durch Gesetz oder meinetwegen auch nur durch symbolische Strafen würde tatsächlich die Hemmschwelle enorm sinken lassen. Welcher Polizist würde dann noch sorgfältig abwägen, wenn es im Ernstfall ausreicht, dass man einen begründeten Tatverdacht hat, bevor man die Daumenschrauben anzieht.
    Man wird auch in Zukunft sehr sorgfältig unterscheiden müssen, zwischen der enormen seelischen Anspannung der vernehmenden Beamten, denen die Zeit für die Rettung eines Opfers unter den Fingern zerrinnt und einer Anordnung (von Vorgesetzten) die einer Folterfreigabe gleichkommt.
    Ohne Ahndung wird man in diesem Fall nie und nimmer auskommen. Die Höhe des Strafmaßes stellt eine nicht minder große Herausforderung an die Richter dar. Fällt sie zu niedrig aus, muss man befürchten, dass wir uns tatsächlich vom Rechtsstaat entfernen, fällt sie zu hoch aus, löst das Urteil einen Sturm der Entrüstung aus, weil mal wieder Täter- und Opferseite auseinanderklaffen.


    Mir ist sehr wohl klar, dass ich eine viel härtere Einstellung vertreten würde, wenn es um eins meiner Kinder gehen würde.

  • Das ist ja das Problem, von dem ich rede: Vermutlich würde jeder einzelne von uns als Betroffener alle Hebel in Bewegung setzen und billigen, daß zu Maßnahmen gegriffen wird, wie sie in den finstersten Diktaturen üblich sind. Aber wir leben nun einmal in einem Rechtsstaat, in dem alle vor dem Gesetz gleich behandelt werden müssen (auch wenn zwischen Theorie und Praxis wie immer und überall Lücken klaffen) -- zum Glück für jeden einzelnen von uns!


    Jeder Verdächtige gilt vor dem Gesetz solange als unschuldig, bis ein Richter seine Schuld durch ein Urteil festgestellt hat!
    Wenn wir diesen Schutz des Verdächtigen bzw. mutmaßlichen Täters juristisch aushebeln, dann mag die Polizei zwar mehr Möglichkeiten zur ausübung ihrer Tätigkeiten haben, aber wir Normalbürger hätten keinen Schutz mehr vor der Polizei, die damit Macht über Wohl und Wehe jedes einzelnen hier lebenden Menschen besäße.
    Ich denke, das gäbe dieser in ihrer Arbeit hochgeschätzten Institution dennoch zuviel Macht über uns Bürger.

  • Daschners Verhalten ist wie ich finde nicht zu rechtfertigen und nicht zu entschuldigen. Es geht dabei um sein Vorgehen. Er hat versucht einen offiziellen Akt daraus zu machen. Er hat Aktennotizen angefertigt und ist in den Medien offensiv mit seinem Verhalten umgegangen.
    Er versucht unseren (Rechts-)staat zu verändern. Mit einem für ihn günstigen Urteil würde es das erreichen.
    Wenn ihn wirklich die - völlig verständliche - Not des Augenblicks getrieben hätte, dann hätte er die Zivilcourage aufbringen müssen als Vorgesetzter die vernehmenden Beamten wegzuschicken, um selbst und alleine mit dem Beschuldigten zu sprechen.
    Was immer er dann getan hätte, wäre zwar auch in keiner Weise von unserem Recht abgedeckt gewesen, aber er hätte in eigener und persönlicher Verantwortung gehandelt. Er hätte nicht versucht, dieses Vorgehen salonfähig zu machen. Er hätte im Bewusstsein gehandelt, gegen geltendes Recht zu verstoßen. Zivilcourage verlangt dies in besonderen Fällen.
    Würde Daschner freigesprochen, dann wird im nächsten Fall tatsächlich gefoltert und der Folterer beruft sich dabei auf das Daschner-Urteil.

  • Eine sehr, sehr schwierige Lage.


    Vom rechtlichen Aspekt her bin ich ja ganz Iris' Meinung.


    ABER...


    es ging um ein Menschenleben und die Polizei hatte so sehr gehofft, dieses retten zu können. Ich verstehe und akzeptiere, daß man in so einer Ausnahmesituation auch zu außergewöhnlichen Mitteln greift.


    Hätte man dem Täter nicht nur körperliche Gewalt angedroht, sondern den Worten auch noch Taten folgen lassen, wäre dieser Fall wieder ganz anders gelagert.


    So aber schließe ich mich Doc und BabyJane an und plädiere für ein angemessenes Urteil, sprich Verurteilung (damit dem Recht Genüge getan wird) aber keine wirkliche Bestrafung.


    Es geht hier natürlich auch um Menschenrechte... aber meines Erachtens nach sollten die Rechte des Opfers in so einem speziellen Fall, wo es wirklich um Leben und Tod geht und jede Sekunde über das Leben des Opfers entscheidet "höher" angesiedelt sein als die des Täters.


    Ich spreche jetzt aber ausdrücklich von diesem Fall... bitte nicht verallgemeinern.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Ich würde das Problem eher aus einer nur unwesentlich anderen Perspektive sehen, wenn ich ehrlich sein soll:


    Nämlich, daß unseren Staatsdienern eine besondere Verantwortung zukommt, denen sie sich in keinem Fall entziehen dürfen, auch nicht unter großem psychischen oder zeitlichem Druck.


    Was heißen soll, daß Daschner durchaus verurteilt werden sollte m.E. nach, weil die Unverhältnismäßigkeit der Mittel eben gegeben war.


    So tragisch der Fall ist und ich persönlich weder in der Haut Daschners noch der des Richters sein möchte als Mutter von zwei Söhnen.




    Edit wegen Batcats Beitrag: auch bei der Verurteilung Daschners sollte gut abgewägt werden, da man einen Präzedenzfall für spätere Vorfälle schafft...nicht einfach sowas...:-(

  • Stimmt, Baumbart. Als Vater würde ich in so einem Fall, würde er meine Familie betreffen, die Kastration und anschließende Hinrichtung des Kerls fordern. Das ist die persönliche Seite.
    Aber von einem Beamten muß ich verlangen, daß er eben diese persönliche Seite außen vor läßt und sich strickt an die Gesetzeslage hält. Genau deshalb habe wir ja die Beamten. Wäre dem nicht so, würden wir sehr rasch im Chaos des Faustrechts versinken. Das kann niemand wollen.

    Demosthenes :write
    Aus dem Klang eines Gefäßes kann man entnehmen, ob es einen Riß hat oder nicht. Genauso erweist sich aus den Reden der Menschen, ob sie weise oder dumm sind.

  • Meines Erachtens gibt es wenig zu diskutieren. Die Regel "Der Zweck heiligt die Mittel" gibt es bei uns - zum Glück - nicht. Ein Polizeibeamter hat einen Verdächtigen genötigt und bedroht, um Informationen zu bekommen. Mag der Verdächtige noch so ein Arschloch und der Fall noch so tragisch gewesen sein, mag es geholfen haben oder nicht - der Tatbestand bleibt. Wenn der Polizist dies angesichts der möglichen Bestrafung getan hat, so ist ihm das irgendwie moralisch anzurechnen - er hat dann sein Wohl unter dasjenige des Opfers gestellt. Bezogen auf die Gesamtsituation ist das jedoch unerheblich. Der Beamte ist zu bestrafen. Er hat gegen geltendes Recht verstoßen, er hat eine Machtposition mißbraucht.

  • Zitat

    Original von Rabarat
    Daschners Verhalten ist wie ich finde nicht zu rechtfertigen und nicht zu entschuldigen. Es geht dabei um sein Vorgehen. Er hat versucht einen offiziellen Akt daraus zu machen. Er hat Aktennotizen angefertigt und ist in den Medien offensiv mit seinem Verhalten umgegangen.
    Er versucht unseren (Rechts-)staat zu verändern. Mit einem für ihn günstigen Urteil würde es das erreichen.


    Richtig -- und deshalb ist er auch von Anfang an mitHilfe der BLÖD-"Zeitung" auf der populistischen Schiene herumgeritten!


    Das funktioniert nämlich leider, weil sich kaum jemand auch nur im geringsten Gedanken darüber macht, was ein Nachgeben in dieser Hisicht für uns alle bedeuten würde.