Ex-Polizeichef Wolfgang Daschner hält den Folter-Vorwurf für absurd und spricht von "unmittelbarem Zwang".
FRANKFURT. Auch morgens um sieben ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Erst in zweieinhalb Stunden beginnt der Prozess gegen den Ex-Vizepolizeichef Wolfgang Daschner (61), doch schon jetzt warten zahlreiche Leute vor dem Zuschauereingang des Frankfurter Landgerichts und diskutieren sich die Köpfe heiß. Über Menschenrechte. Über Mord. Über Folter. "Folter" sagt einer der Männer und zieht ein Buch aus seiner Tasche: "Folter ist doch was ganz anderes. Guckt mal..." Er zeigt die Fotos mit den Auswüchsen menschlicher Grausamkeiten den Umstehenden. "Aber bei uns hier ging es doch darum, das Leben eines Kindes zu retten." Ein älterer Mann vor ihm dreht sich um und hebt den Zeigefinger: "Oh nein, wer der Folter die Tür nur einen Spalt öffnet, der kriegt sie nie wieder zu." Sie sind sich nicht einig bei diesem Fall, die Zuschauer, und sie werden es auch am Ende des ersten Verhandlungstages nicht sein.
Von Folter allerdings spricht dann während des Prozesses auch der Staatsanwalt nicht. Er wirft Daschner lediglich die Verleitung zur Nötigung und einem mitangeklagten Hauptkommissar (51) eben diese Nötigung vor. Daschner selbst nennt es "unmittelbaren Zwang" und den Vergleich mit der Folter schlicht "absurd".
Der Täter stand rasch fest
Zum besseren Verständnis noch einmal die Situation für die Polizei an diesem 30. September 2002. Drei Tage zuvor war der Bankierssohn Jakob von Metzler von Magnus Gäfgen entführt worden. Gäfgen stand für die Polizei ziemlich rasch als Täter fest, unter anderem, weil er die Million Lösegeld abgeholt hatte. Daschner erklärte seine Überlegung ges-tern im Detail: "Wir wussten jetzt, dass sich Jakob und sein Entführer von früher kannten. Damit war zu befürchten, dass das Kind aus der Sicht des Täters nicht überleben durfte."
Daschners Sorge: "Der Junge wird einfach seinem Schicksal überlassen, verdurstet, erfriert, erstickt, verhungert." Der Polizist hat sich kundig gemacht: "Normalerweise stirbt ein Mensch schon nach maximal vier Tagen ohne Flüssigkeit. Von diesen vier Tagen waren an diesem Abend bereits dreieinhalb Tage vergangen."
Nur um Jakob zu retten, habe Daschner deshalb die umstrittenen Anordnungen getroffen. Zunächst sollten die Beamten prüfen, ob kurzfristig ein "Wahrheitsserum" beschafft werden könne. Außerdem sollte die Anwendung unmittelbaren Zwanges unter polizeiärztlicher Aufsicht vorbereitet werden. Einige Polizisten in der Abteilung lehnten es jedoch strikt ab, mit solchen Methoden vorzugehen.
In meinen Augen hat der Polizeichef in diesem Fall richtig gehandelt und sollte zwar dem Gesetz nach verurteilt, aber nicht bestraft werden - wenn so ein salomonisches Urteil nach deutschem Gesetz möglich wäre. In so einer Extremsituation ist die strafbare Androhung von Folter m. E. nach nicht über das Leben eines Menschen zu stellen.
Gruss,
Doc