Der chinesische Sommer - Hong Ying

  • Zum Inhalt


    China im Jahr 1989: Seit Wochen belagern Studenten den Platz des himmlischen Friedens in Peking. Mit Hungerstreiks kämpfen sie für eine demokratische Reform und fordern einen offenen Dialog mit der Regierung. Am 4. Juni kommt es zur Katastrophe: Das chinesische Militär beendet den Volksaufstand gewaltsam. Auf dem Weg zum Platz stoßen die Soldaten immer wieder auf menschliche Barrieren: Panzer rollen, Gewehrsalven erklingen, Menschen werden getötet.


    Mittendrin irrt Lin Ying durch die Straßen. Die junge Dichterin flieht vor dem Chaos und möchte Schutz bei ihrem Freund Chen Yu suchen. Doch sobald sie in dessen Wohnung angekommen ist, erwartet sie der nächste Schock: Ihr Freund liegt mit einer anderen Frau im Bett.
    Lin Ying verlässt die Wohnung und kauert sich an einer Straßenecke zusammen, bis einer ihrer Kommilitonen sie findet. Er nimmt sie mit in das Wohnheim der Kunstakademie, in dem sich die beiden erstmal ein Zimmer teilen und eine unverbindliche Liaison eingehen.


    In der Akademie versammeln sich heimlich die Intellektuellen, bestehend aus Literaten und Künstlern, um ihre Trauer zu verarbeiten und die politische Situation zu diskutieren.
    Die Regierung stellt Wachposten an den Straßenecken auf, sie kontrolliert die Presse und verbietet jegliche Form von Versammlungen. Die künstlerische Freiheit wird massiv eingeschränkt, doch Lin Ying entdeckt eine neue Form der Freiheit für sich: Sie erkennt den Wert der Selbstbestimmung als Frau, löst sich von geschlechtsbedingten Abhängigkeiten und genießt die Möglichkeit zu tun, wonach ihr der Sinn steht.
    Eine Zeitlang geht alles gut, bis zu dem Tag, als Lin Ying von der Polizei verhaftet wird…


    Zur Umsetzung


    „Der chinesische Sommer“ thematisiert nicht nur das Tian’anmen-Massaker von 1989 in China, sondern vor allen Dingen auch Lin Yings persönlichen Befreiungsschlag.
    Die Autorin spielt dabei mit Rückblicken, in denen der Leser die Vergangenheit der jungen Dichterin kennen lernt. Auf diese Art wird der Wandel ihrer Einstellung sehr deutlich: In jungen Jahren gab sie sich bedingungslos der Liebe zu Männern hin und machte sich von ihrer Zuneigung abhängig. Heute erkennt sie den Unterschied zwischen Liebe und Sex und lebt ihre Wünsche offen aus, ohne sich dabei an das andere Geschlecht zu ketten.


    Lin Yings Gefühle drücken sich in Form ihrer Gedichte aus, die immer mal wieder in den Erzählfluss eingewebt werden. Und die Verarbeitung ihrer Erfahrungen spiegelt sich in nächtlichen Träumen wieder.
    Manchmal können diese Wechsel etwas verwirren, da die Übergänge fließend sind, doch im Ganzen liest sich das Buch sehr leicht und schnell. Die Sätze sind einfach gebaut und flüssig aneinander gereiht. Die Sprache ist – besonders auch in sexueller Hinsicht – klar und unverblümt, jedoch keineswegs geschmacklos.
    Anders als bei den Büchern chinesischer Autoren, die ich kenne, wirkt die Schreibweise eher westlich, sodass sich der kulturelle Unterschied zwar bemerkbar macht, jedoch nicht überpräsent ist.


    Inhaltlich muss man sich vor allen bei den Gedichten etwas Zeit zum Verstehen nehmen und es ist sicherlich sinnvoll, sich über die geschichtlichen Ereignisse im Vorfeld zu informieren. Trotzdem lassen sich die Situation und die Vorgänge dahinter weitgehend durch das Geschriebene erschließen.
    Lin Yings Wandlung liegt offen da und bettet sich stimmig in das politische Geschehen ein. Lediglich das Ende bleibt offen und ich hätte gerne noch erfahren, wie es mit Lin Ying weitergeht.


    Fazit


    Alles in allem handelt es sich bei „Der chinesische Sommer“ um einen gut zu lesenden Roman, der den Blick auf das politische Geschehen von 1989 in China richtet und ein persönliches Schicksal gelungen darin einbettet.