Swiss Paradise. Ein autobiografischer Bericht - Rolf Lyssy

  • Klappentext
    "Das Lächerlichste auf der Welt: Hörer abheben, Nummer wählen, warten, bis sich am anderen Ende der Leitung eine Stimme meldet. Es ging nicht. Es ging einfach nicht."


    Unvermittelt, an einem Tag wie jeder andere, muss Rolf Lyssy, der Generationen von Schweizern und Nichtschweizern mit seiner Komödie DIE SCHWEIZERMACHER zum Lachen gebracht hatte, erkennen, dass nichts mehr funktioniert in seinem Leben. Der Meister der hellen Ironie und der lächelnden Kritik beginnt eine Reise in sein Innerstes, auch eine erinnernde Erkundigung der familiären Vergangenheit, die ihn von der Emigration seiner jüdischen Grosseltern aus Osteuropa nach Frankfurt und schliesslich in die Schweiz führt. Aus Aufzeichnungen, die ihm die Mutter hinterlassen hat, erfährt er, dass seine schweizerische Geburt ihr Ueberleben bedeutete - während den Grosseltern und den anderen Verwandten der rettende Pass verwehrt blieb. Sie wurden deportiert und ermordet.


    "Ein berührendes und mutiges Buch..." (Urs Widmer)


    Der Autor
    Rolf Lyssy, 1936 in Zürich geboren und aufgewachsen. Erste Anerkennung als Regisseur und Autor fand er 1975 mit KONFRONTATION, der Geschichte des Attentates auf den NSDAP-Ortsgruppenleiter Wilhelm Gustloff in Davos.
    Nach DIE SCHWEIZERMACHER (1978), der zum grössten Publikumserfolg des Schweizer Kinoschaffens wurde, folgten u.a. TEDDY BÄR und LEO SONNYBOY. Lyssy hat neben seinen Filmen verschiedene Theaterstücke inszeniert und Dokumentarfilme gedreht.
    Lyssy hat einen Sohn und lebt in Zürich.


    Eigene Meinung
    Rolf Lyssy stand mit beiden Beinen mittendrin im Leben, hatte einige erfolgreiche Filme gedreht, war voller Ideen und Pläne für weitere Projekte, als ihn wie aus heiterem Himmel eine schwere Depression über Monate vollkommen lahmlegte. Er musste auch längere Zeit stationär im Bli (so nennen die Stadtzürcher beinahe liebevoll ihre psychiatrische Klinik, das Burghölzli) verbringen.
    Die Kranheit ging auch genauso zu Ende wie sie gekommen ist, praktisch von einem Tag auf den anderen.


    Jene schwere Zeit verarbeitet Lyssy in diesem Buch….zwischendurch blendet er immer wieder zurück in sein vergangenes Leben, grad so als wolle er sich auf die Suche machen nach Anhaltspunkten, welche diese Depression ausgelöst haben könnten.
    Er findet einiges, was sicher nicht optimal gelaufen ist, doch sind es solche Erlebnisse, die eigentlich jedem anderen Menschen auch in ganz ähnlicher Weise widerfahren können, nichts wirklich enorm Einschneidendes, zumindest nichts vordergündig Erkennbares.


    Bei diesen Rückblenden ist auch seine Mutter ein Thema, sein Verhältnis zu ihr war ein recht zwiespältiges. Sie war Jüdin, und konnte als junge Frau aus Deutschland fliehen, musste jedoch ihre Familie zurücklassen. Ihre Eltern, sowie die meisten ihrer Verwandten fanden unter der Naziherrschaft den Tod. Sie hat dann im fortgeschrittenen Alter auf Bitten ihrer Söhne hin, einiges aus ihrem Leben aufgeschrieben. Diese Aufzeichnungen sind im Buch abgedruckt.
    Und da findet sich was ganz Spannendes, was ich unbedingt auch noch loswerden muss. :-) Die Frau Lyssy hatte nebst ihrem Mann einen Geliebten Namens Fedja Gonzala-Heiman. Dieser Geliebte muss eine ziemlich geheimnissumwitterte Persönlichkeit gewesen sein, die sich u.a. auch schriftstellerisch betätigte, und er wurde der Vater ihres 2. Sohnes, dem Michael. Rolf, der Autor dieses Buches ist der Erstgeborene. Ihrem Mann hat sie über Jahrzehnte verschwiegen, dass Michael nicht sein Sohn ist.
    Den Michael hat sie erst im Alter von weit über 20 Jahren aufgeklärt, kurz bevor er nach Israel auswanderte. Sie erzählte ihm, sein Vater sei niemand geringerer als der berühmte Schriftsteller B. Traven. (DAS TOTENSCHIFF, DER SCHATZ DER SIERRA MADRE etc.) B. Traven, ein Schrifsteller, der seine wahre Identität nie preisgegeben hat, niemand wusste mit Sicherheit, wer er wirklich war. Heute weiss man vielleicht etwas mehr über ihn.
    Mit diesen schwerwiegenden Eröffnungen im Gepäck musste Michael seine Ausreise aus der Schweiz antreten. Nach 6 Jahren – in denen er als Fallschirmjäger im 6-Tage-Krieg im Einsatz war - kehrte er zurück in die Schweiz und fing an, nach seinem Vater zu forschen, ob er tatsächlich B. Travens Sohn sei. Von der Witwe des renommierten Verlegers Oprecht bekam er eine ganz ernüchternde Auskunft. Sein Vater, der Fedja Gonzala-Heiman sei ihrer Meinung nach nur ein grosser Hochstapler, ein geschwätziger Wichtigtuer und Frauenheld gewesen. B.Traven sei er nicht gewesen, habe er nicht sein können, zuviele Indizien würden dagegen sprechen….


    Dieses Buch von Rolf Lyssy hat mich ganz gehörig überrascht, positiv überrascht. Normalerweise stehe ich solchen Aufarbeitungen von Lebenskrisen und Krankheiten, besonders von depressiven Erkrankungen, recht skeptisch gegenüber. Ich habe noch selten eine wirklich überzeugende Schilderung von Depressionen gelesen, meiner Ansicht nach eine der schwierigsten schriftstellerischen Herausforderungen überhaupt.


    Lyssy meistert diese Herausforderung wirklich erstaunlich gut. Sein Bericht ist packend von A – Z, und das Geschriebene zieht den Leser nicht runter, man wird nicht selber auch noch trübsinnig. Mag sein, dass Lyssy auf dieser heiklen Gratwanderung das eine und andere Mal bisschen in einen etwas zu leichten Plauderton verfällt, möglicherweise macht er das auch ganz bewusst, um auch ja nicht ins Larmoyante zu geraten.


    Es finden sich auch keine Schuldzuweisungen, und obwohl er schonungslos ehrlich ist mit sich selber, läuft er nie Gefahr, seine Würde aufs Spiel zu setzen.
    Ich würde Euch so gerne einen Ausschnitt aus seinen Erzählungen zitieren, der mich selber so sehr fasziniert hat, dass ich ihn wohl zeit meines Lebens nicht mehr vergessen werde. Aber er ist einfach zu lange, dass ich ihn mit gutem Gewissen abschreiben könnte, ohne irgendwelche Copyrights zu verletzen.
    Er führt uns in diesem Abschnitt ganz eindrücklich vor Augen, wie entsetzlich hilflos ein depressiver Mensch alleine schon dem totalen Verlust der Entscheidungsfähigkeit gegenübersteht, selbst die einfachsten Dinge des Alltags werden zu unüberbrückbaren Hindernissen….Jeden Morgen ist Lyssy derselben Qual ausgeliefert, der Frage, was er anziehen soll. Er steht vor dem schmalen Kleiderschrank in der Klinik, da sind nur gerade 3 Hosen und paar Hemden drin. Er kann sich nicht entscheiden. Er steht jedesmal über eine Stunde vor diesem Schrank, und er beschreibt, was ihm dabei alles durch den Kopf geht. Irgendwann während seines konfusen Gedankenkarussells, dem immer stärker werdenen inneren Druck, möchte er nach einem Pfleger rufen, der ihm behilflich sein könnte. Aber das kann er auch nicht, denn sonst könnten sie ja denken, er sei verrückt….


    Ein Buch, dass ich wirklich empfehlen kann, insbesondere all jenen, die sich schon immer mal darüber informieren wollten, was es denn heisst, depressiv zu sein, was diese Krankheit alles beinhalten kann. Die Krankheit selber bleibt unfassbar, jedoch kann dieser Erfahrungsbericht zu einem besseren Verständnis für psychischkranke Menschen verhelfen. Jener Satz, den man so gerne für diese Kranken parat hat: „Man muss halt nur wollen, dann geht das schon wieder!“, der wird einem nach diesem Buch im Halse stecken bleiben….

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

    Dieser Beitrag wurde bereits 3 Mal editiert, zuletzt von Joan ()

  • Guten Morgen Faraday :wave


    Danke für Dein Kompliment. Bisschen zu ausführlich ist sie mir wieder geraten, diese Rezi. :rolleyes Ich schreib halt einfach meine stärksten Eindrücke auf, und dann kommt am Ende so ein langes Ding raus. Schön, dass Du durchgehalten hast.


    Dass der Lyssy eine schwere Depression durchmachen musste, das ist mir auch nur durch einen Zufall zu Ohren gekommen, er hat darüber vor paar Jahren in einem TV-Intervieuw erzählt, und auch davon, dass er darüber ein Buch geschrieben hat.
    Das Buch habe ich dann wieder vergessen, bis es mir vor ca. 2 Wochen in einem Antiquariat in die Hände fiel.

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