Unter Mördern, Jörg Isringhaus, Rütten & Loening, Aufbau-Verlag, Berlin, 2010, ISBN 978-3-352-0780-4
Zum Autor: (lt. Klappentext)
Der Historiker und Germanist Jörg Isringhaus, geboren 1960 in Wuppertal, arbeitet als Redakteur für das Ressort Reportage bei der „Rheinischen Post“ in Düsseldorf. „Unter Mödern“ ist sein erster Roman.
Meine Meinung:
Wenn ein Autor historische Personen in einem Roman auftreten lässt und sogar zu zentralen Figuren der Handlung macht, dann ist dies mutig und riskant, da er sich der Kritik kundiger Leser und Kritiker aussetzt. Umso mehr, wenn es Personen sind über die es sogar filmische Zeitzeugnisse gibt, die im Fernsehen häufig gezeigt werden. Genau diesen Weg ist Jörg Isringhaus mit seinem historischen Thriller „Unter Mördern“ gegangen, in dem er die historische Entwicklung in den letzten Tagen vor dem Zweiten Weltkrieg mit einer fiktiven Agentengeschichte verknüpft. Das Resultat ist ein historisch fundierter, spannungsgeladener Agententhriller, der sowohl in seinen historischen als auch in den fiktiven Passagen überzeugt.
Berlin, August 1939: Birger Dahlerus, ein schwedischer Unternehmer, versucht mit allen Mitteln, den drohenden Krieg zu verhindern. Er nutzt persönliche Kontakte zu Hermann Göring, um zwischen Großbritannien und Deutschland zu vermitteln. Als sich die Ereignisse immer mehr zuspitzen, wird Dahlerus mit seinen diplomatischen Bemühungen vom Treiber zum Getriebenen...
Der Geheimagent Richard Krauss, ehemaliges Mitglied der „Söhne Odins“ einer geheimen Gestapo-Sondereinheit, versucht in diesen Tagen seinen persönlichen Rachefeldzug gegen die „Söhne Odins“ mit dem Schutz eines mysteriösen Jungen und einem Auftrag der britischen Regierung zu verbinden – er soll Adolf Hitler töten. Krauss Vorhaben droht schnell zu seinem persönlichen Himmelfahrtskommando zu werden, bis er Unterstützung von Oda, einer Nichte Hermann Görings, und von Birger Dahlerus erhält. Sie geraten in eine mörderische Intrige und sehen sich vor die wichtigste Entscheidung ihres Lebens gestellt, um dieser zu entkommen...
Der Industrielle Birger Dahlerus hat wirklich gelebt und in den Wochen vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zwischen der deutschen und der englischen Regierung vermittelt. Jörg Isringhaus erhebt aber keinen Anspruch darauf, ein biographisches Bild der Person Birger Dahlerus zu zeichnen, auch wenn er Dahlerus Aufzeichnungen nutzen konnte. Hermann Göring und Adolf Hitler werden von Jörg Isringhaus in Dialogen und Handlungsweisen so nachgezeichnet, wie sie auch über filmische Zeitzeugnisse erlebbar werden. Damit bewirkt der Autor die Glaubwürdigkeit des historischen Strangs der beiden miteinander verwobenen Geschichten. Der Geheimagent Richard Krauss ist eine fiktive Figur, ebenso ist die Gestapo-Eliteeinheit „Söhne Odins“ erfunden, die in ihrer Ausgestaltung aber durchaus denkbar erscheint.
Jörg Isringhaus wechselt in seinem Roman immer wieder zwischen historischem und fiktivem Erzählstrang und erreicht über den sich parallel entwickelnden Spannungsaufbau, dass auch die diplomatischen Bemühungen Dahlerus sich spannend, regelrecht packend lesen, obwohl der Leser deren Ausgang kennt. Der Autor versteht es seinen Hauptfiguren Tiefe zu verleihen, obwohl sein Erzählstil eher handlungsorientiert ist und vor Grausamkeiten und Brutalität keinen Halt macht, die aber nie zum Selbstzweck werden. Einzig Überfrau Oda konnte mich in ihrer Perfektion nicht überzeugen, was aber den hervorragenden Gesamteindruck des Romans nicht schmälert. Besonders beeindruckend ist die Schilderung Hermann Görings, den Jörg Isringhaus wohl als den Menschen zeichnet, der er wirklich war. Jörg Isringhaus erzählt von verlorenen, gequälten Seelen, von Menschen, die ihr Schicksal und ihre Vergangenheit zu dem gemacht hat, was sie sind, und deren Handlungen niemals frei von ihrer Vergangenheit sein werden, er erzählt von Menschen, die von anderen, in die sie ihre Hoffnungen gesetzt haben enttäuscht werden und ihre eigene Ohnmacht erleben müssen.
Jörg Isringhaus Debütroman „Unter Mördern“ ist ein historischer Agententhriller wie ich ihn mir vorstelle: authentisch, packend und mit Inhalten, die über die Erzählebene hinausgehen. Zudem hat mir der Autor bewiesen, dass ein anspruchsvoller Thriller vor dem Hintergrund des Dritten Reichs sehr wohl möglich ist. Bei einem weiteren Roman von Jörg Isringhaus werde ich sicher wieder zugreifen!
8 von 10 Punkten