Über den Autor
Aylin Korkmaz, 1972 in Adana in der Türkei geboren, wurde mit 17 Jahren von ihrer Familie in eine frühe Ehe mit einem Kurden gedrängt. Nach der Hochzeit kam sie zusammen mit dem Ehemann nach Deutschland und bekam drei Kinder. 2003 ließ sie sich von ihrem Mann scheiden. 2007 ging ihr Exmann mit einem Messer auf sie los und entstellte ihr Gesicht und ihren Oberkörper. Sie überlebte den Mordanschlag nur knapp und ging im Anschluss mit ihrem Schicksal offensiv an die Öffentlichkeit. Ihr Exmann ist im August 2008 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu einer Haftstrafe von 13 Jahren verurteilt worden.
Kurzbeschreibung
Von denjenigen Ehrenmordfällen, die sich bisher in Deutschland zugetragen haben, zählt dieser zu den spektakulärsten weil das Opfer überlebte, wenn auch nur knapp: Die Türkin Aylin Korkmaz, Anfang 30, Mutter dreier Kinder, wird an ihrer Arbeitsstelle nahe Baden-Baden von ihrem Exmann mit 26 Messerstichen in Gesicht und Körper niedergestreckt. Sie verliert so viel Blut, dass die Ärzte es für ein Wunder halten, als sie aus dem Koma erwacht. Allein ihr Gesicht muss mit 250 Stichen genäht werden. Physisch wie psychisch für immer gezeichnet, gibt Aylin Korkmaz trotzdem nicht auf: Couragiert und unterstützt von »Terres des Femmes« wendet sie sich offensiv an die Öffentlichkeit. Aylin Korkmaz will den Opfern, die nicht mehr sprechen können, eine Stimme geben und zwangsverheiratete Frauen ermutigen, einen Ausweg aus ihrer Situation zu finden. Dieses Buch gibt erschreckende Einblicke in eine Parallelwelt mitten in unserer Gesellschaft.
Meine Rezension
Das Buch erzählt Aylins Geschichte: in den 70er Jahren wächst sie behütet in Adana auf. Doch als ihr Vater bei einem Unfall stirbt, muß die Familie zu den Großeltern ziehen, da eine alleinstehende Mutter ehrlos wäre.
Eine zweite, arrangierte Ehe gibt der Mutter ein halbwegs eigenes Leben zurück, doch als ihr Mann eine zweite Frau ehelichen will, lässt sie sich scheiden. Nun ruht auf Aylin die Last der Verantwortung und der Familienehre. Sie wird kurz gehalten und soll möglichst bald verheiratet werden, doch sie wehrt sich gegen die gutgemeinten Verkupplungsversuche ihrer Familie, so lange sie nur kann, ist es doch ihr Wunsch, Jura zu studieren.
Doch letztlich wird sie doch in eine Ehe mit Mehmet gedrängt, der in Deutschland lebt, einen dicken Mercedes fährt und den Brautpreis (Schmuck und Kleidung) für sie bezahlt, ohne mit der Wimper zu zucken. Daß alles nur geliehen ist und Mehmet weder Auto noch Job oder Wohnung hat, merkt Aylin erst nach ihrer Ankunft in Deutschland. Sie erfährt auch erst nach ihrer Hochzeit von seiner ersten Ehe mit einer Deutschen und der Tochter, die er aus dieser Beziehung bereits hat.
Überhaupt ist die Beziehung zwischen Aylin und Mehmet von Anfang an problembehaftet: Mehmet scheint ein schwieriger Mensch zu sein, der über seine Verhältnisse lebt, um nach außen hin als einer, der es geschafft hat, dazustehen. Trotz all der Jahre, die er nun schon in Deutschland lebt, beherrscht er die Sprache kaum. Immer wieder prägt Gewalt die Beziehung und war er am Anfang noch „locker“, wird er immer eifersüchtiger, was Aylins Freiheiten angeht. Und Aylin gibt nach, viel zu oft und immer wieder verzeiht sie ihm auch seine Schläge. Dazu muß man erklären, dass Aylin in einem Umfeld aufgewachsen ist, in dem die Familienehre über alles geht. So gilt es z.B. bereits auch als ehrlos, seine familiären Probleme nach außen zu tragen.
Letztlich kommt es zu Vorkommnissen, die dazu führen, dass Aylin sich endlich zur Wehr setzt und von ihrem Mann scheiden lässt – doch damit ist leider das letzte Wort noch lange nicht gesprochen…
Dieses Buch hat mich sehr beeindruckt. Aylin Korkmaz stammt aus einem anderen Kulturkreis. Auch wenn ihre eigene Familie relativ modern ist, haben die Familie und vor allem die Familienehre einen ganz anderen Stellenwert, wie es dies im westlichen Europa der Fall ist. Auch das, was als Verletzung der Familienehre gilt ist ganz anders definiert und vor allem Frauen müssen sehr darauf achten, wie sie sich geben, um die Familienehre nicht zu gefährden. Oft scheint es auch so, dass in Deutschland lebende Türken viel strenger sind als ihre Verwandten in der Türkei.
Ich fand es sehr interessant und bewegend, Aylins Lebensweg von der Kindheit über ihre düstersten Stunden bis heute zu verfolgen. Lange hat sie geschwiegen. Doch sie hat den Mordversuch durch ihren Exmann mit knapper Not überlebt und möchte nun denen eine Stimme verleihen, die weniger Glück als sie hatten und die nun keine Stimme mehr haben.
Ein beeindruckendes Zeugnis einer Frau die stärker ist, als sie selbst es lange Zeit dachte und die nur mit viel, viel Glück den Mordversuch ihres Exmannes überlebte. Ich kannte die Geschichte Aylin Korkmaz’ ansatzweise aus der Presse. Ein wenig hatte ich befürchtet, dieses Buch könnte mir zu sehr „betroffen“ und subjektiv sein, doch erstaunlicherweise fand ich es recht objektiv geschrieben. Ich hatte zumindest den Eindruck, die Autorin bemüht sich um Fakten und Tatsachen und vermeidet hasserfüllte Tiraden auf ihren Exmann (auch wenn sie allen Grund dazu hätte). Wen es interessiert, einfach bei google den Namen eingeben und man findet eine große Anzahl teils sehr interessanter Berichte.
Ein schockierendes und berührendes Buch - sehr lesenswert.