Der Bauch des Ozeans - Fatou Diome

  • 273 Seiten
    OT: Le Ventre de l'Atlantique
    ISBN 13: 978-3257235210


    Kurzbeschreibung:


    Aufgestiegen in Frankreichs literarische "Champions League"


    Europa ist kein Paradies für Einwanderer, das musste die aus dem Senegal stammende Salie nach einer kurzen Ehe mit einem Weißen erfahren. Trotzdem will ihr kleiner Bruder Madické nach Frankreich, um als Fußballer reich und berühmt zu werden. Doch die Träume, die beide auf der kleinen Insel Niodior inmitten des Ozeans ersinnen, stoßen auf ein Hindernis: die Wirklichkeit.
    Wie Salie dennoch einen Weg zwischen Desillusionierung und Hoffnung findet, ist das kleine Wunder dieser Geschichte.


    Über die Autorin:


    Fatou Diome wurde 1968 auf der Insel Niodior vor der Küste Senegals als uneheliches Kind geboren. Sie wuchs unter widrigen Umständen auf, verließ mit 13 Jahren das Fischerdorf, um den Zwängen der islamischen Familiengesetze zu entkommen. Nach Abschluss der Schule in M’Bour studierte sie in Dakar Literatur, wo sie ihren Mann kennen lernte, einen französischen Entwicklungshelfer. Sie heiratete ihn, folgte ihm nach Frankreich. Dessen Familie lehnte sie ab, wegen ihrer Hautfarbe, die Ehe zerbrach. Fatou Diome saß zwischen allen Stühlen, zuhause nicht beheimatet, und in der Fremde nicht akzeptiert. Die Widersprüche und Zwiespälte der Emigration sind ihr Thema, über das sie bisher mehrere Erzählungen und zwei Romane schrieb. Unverblümt, mit beißendem Humor zeichnet sie ein realistisches Bild von den Integrationsschwierigkeiten, die Afrikaner in Frankreich, wie im übrigen Europa auch, erleben. Seit zehn Jahren lebt sie in Frankreich, promoviert in Sprach- und Literaturwissenschaft an der Universität Straßburg. Ihr Kindheitstraum, Fernsehmoderatorin zu werden, ist übrigens Wirklichkeit geworden – sie moderiert einmal im Monat eine Literatursendung auf "France 3"! Fatou Diome, die vor zehn Jahren nach Frankreich kam, schaffte es mit ihrem Debütroman „Der Bauch des Ozeans“ auf Anhieb in die französischen Bestsellerlisten. Schonungslos betrachtet die Literaturwissenschaftlerin, die als erste in ihrer Familie lesen und schreiben lernte, darin ihre Heimat in Afrika wie auch ihre neue Welt in Frankreich.


    Meine Meinung:


    Die Wahrheit will niemand hören, die Wahrheit will niemand lesen.


    Der latente Rassismus in Europa, die Gleichgültigkeit und die Herablassung der Europäer gegenüber den Afrikanern einerseits und deren von keiner Erfahrung trübbarer Weg der Hoffnung in und auf die Länder des unermesslichen Reichtums, wo man fürs Nichtarbeten Geld vom Staat bekommt ist Fatou Diomes Thema. Fußball ist die Hoffnung der Jungen aus ihrem Dorf um rauszukommen, um Ehre einzulegen, die Familie unterstützen zu können. Diese Hoffnung in Frankreich, der ehemaligen Kolonialmacht Senegals, der Heimat der Autorin, stellt sie die gelebte Realität der illegalen, aber auch der legalen Arbeiter in Frankreich gegenüber, solche Selbstverständlichkeiten, dass ein Senegalese für den Besuch in Frankreich ein Visum benötigt und auch mal eine Ewigkeit von der Polizei verhört wird, will er/sie schwarz ist, ein Franzose aber jederzeit nach Senegal einreisen kann und sich dort auch benehmen kann, als wäre er ein Halbgott. Solche Realitäten, wie die Ausbeutung der Illegalen und die Lebensumstände der Kinder der legalen Einwanderer...einfach unbequem, keine gute Nachtlektüre. Eins von den Büchern die Wahrheiten erzählen, die keiner wissen will, eins von den Büchern die nur erzählen was ist, aber eigentlich aufrütteln sollten etwas zu ändern, aber wer will das schon, solange er von der Situation profitiert und auf der Butterseite des Brotes lebt.

  • Salie hat geschafft, wovon ihr kleiner Bruder und seine Freunde noch träumen: sie lebt in Europa, in Frankreich. Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf im Senegal, in einer engen Dorfgemeinschaft unter der Obhut ihrer Großmutter. Das Leben dort ist hart, aber solange man sich der Gemeinschaft anpasst, ist man hier geborgen und abgesichert. Doch die Jungen wollen weg, ins Paradies nach Europa, am Besten, um in Frankreich Fußballstar zu werden. Doch nur Salie weiß, wie das Leben für arme Einwanderer wirklich ist und sie tut alles, ihren Bruder von diesem Plan abzubringen, ihn zu retten.
    Fußball ist dabei die formale Klammer des Romans: Salie in Straßburg und ihr kleiner Bruder im Senegal, verfolgen die Spiele, fachsimpeln am Telefon, philosophieren und vergleichen. Selbst Fußballmuffel wie ich erahnen, welche Bedeutung der für die Menschen, gerade in der dritten Welt, hat. Wie eine Welt zusammenbrechen kann, wenn die Falschen gewinnen, welches Glück einer empfinden kann, wenn es die Richtigen tun: dieses Buch lässt es erahnen.


    Der Roman wirft so manche Frage auf: die Freiheit einerseits, die gleichzeitig auch Einsamkeit bedeutet; Der Schutz der Gemeinschaft, der aber auch Enge und Vorschriften mit sich bringt, die Rolle der Frau in einer patriachalischen Gesellschaft, der Einfluss des Islams auf den Alltag und, immer wieder, die Arroganz des Westens, besonders Frankreichs, dessen Verhältnis zu den Senegalesen noch immer von Kolonialherren-Allüren geprägt ist und das Elend der Illegalen in Europa.
    Das klingt nach einem Problemschmöker, und tatsächlich liest sich das Buch an einigen Stellen wie ein Pamphlet, „ich klage an!“ Größtenteils aber ist es ein wunderbarer Roman, der mit viel Humor und sehr poetisch das Leben in Afrika schildert, es nicht verklärt, aber dennoch deutlich macht, dass auch in Afrika ein gutes Leben möglich ist, nicht unbedingt in materieller Hinsicht, aber doch was Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Gemeinsinn angeht. Immer schwingt eine tiefe Liebe zu diesem Kontinent, auch wenn sie gleichzeitig Rückständigkeit und Verbohrtheit beklagt.


    So erklärt sich auch die Zerrissenheit der Autorin, die krank vor Heimweh und Einsamkeit im kalten Frankreich lebt, die aber für sich in Afrika keine Zukunft sieht. Und der Roman lässt auch ein kleines bisschen erahnen, warum Menschen ihr Familie, Freunde und Heimat verlassen um in einer Nussschale unter Lebensgefahr über das Meer fahren, wo sie doch in Europa überfüllte Internierungslager oder im besten Fall eine menschenunwürdiges Leben als Illegale erwartet.


    Auf jeden Fall ist das ein absolutlesenswertes Buch, das zwar an manchen Stellen noch nicht ganz rund ist, machmal ein wenig holpert, aber, hier mal ein großes Lob an die Übersetzerin, eine schwierige Geschichte toll erzählt. Und ich hab ein neues Wort in meinem Wortschatz: Palaverbaum :anbet

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Ich merke, du hast nach dem Lesen etwas Pause gemacht. Ich habe meiner Frustration nach dem Zuschlagen des Buchdeckels seinerzeit freien Raum gelassen. Dem Buch tut deine Leseempfehlung sicherlich gut und es hat sie sehr verdient.

  • Ja, wie hast du das gemerkt?


    Es kommt ja darauf an, mit welchen Augen man dieses Buch betrachtet, aber auch, in welcher Verfassung man dieses Buch liest.
    Da ist zum einen die unverhüllte Botschaft dieses Buches, die Anklage: Seht, wie ihr Europäer mit uns Afrikanern umgeht. Die ließe sich rein formal auch in einer WDR-Doku die story vermitteln, womöglich spektakulärer. Das trifft einen ziemlich heftig in den Bauch.


    Aber das hier ist ein Roman, sogar ein ziemlich guter, der noch mehr leistet, als beim Leser ein Gefühl der Betroffenheit zu hinterlassen oder Mitleid mit den armen Menschen auszulösen. Denn wie sie schreibt sind die Menschen nicht Objekte, Hühnchen in einer Tierschutzdoku oder zerstörte Landschaften in einer Naturschutzreportage, sondern tatsächlich in erster Linie Mitmenschen.
    Deren Sorgen unterscheiden sich oft nur ganz am Rande: Ob jetzt der Fernseher unterm Palaverbaum oder das Internet in der schicken Altbauwohnung nicht geht. Die Katastrophe ist das verpasste Halbfinale.


    Die Kunst in diesem Buch ist, dass Diome ihr Volk nicht auf die Ebene emporhebt, auf der die Europäer sich zu befinden glauben (das wird ja gerne von westlichen Autoren gemacht, etwa: seht her, die Indianer sind doch eigentlich die besseren Menschen), sondern eher die Europäer erdet: seht, es gibt überhaupt keinen Grund, euch für etwas Besseres zu halten.


    In der rückständigen Gemeinschaft des Dorfes haben es Fremde schwer, etwa der Lehrer aus der Hauptstadt, der nie das Bollwerk aus Traditionen durchdringen kann. Doch wer genauer hinguckt muss feststellen, dass die Fremden in Frankreich es noch viel schwerer haben. Überall herrscht im Prinzip das gleiche menschliche Glück und Elend.


    Ich glaube, ich bin gerade ein Fall für den Palaverbaum :wow

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)