Ha, jetzt hab ich 100 Beiträge und darf auch mal eine Kleinigkeit von mir hochladen *freuzzz*.
Eine meiner seltenen Kurzgeschichten. Mit denen bin ich absolut unerfahren, über Kritik freue ich mich daher sehr.
In Schottland, Irland und Wales ragen sich dutzende Legenden um geheimnisvolle Mischwesen aus Mensch, Fisch, Monster und Pferd.
Diese Geschichte ist frei der Legende der Wasserpferde, der Each Uisge nachempfunden. Das Each Uisge ist dem Kelpie ähnlich, aber es ist nicht das gleiche. Kitschallergiker mögen Vorsicht walten lassen:
Powered by Fernweh, daher melancholisch und ein wenig arg … hach.
Hier noch ein Blick auf einen Teil von Loch Morar, an dem all das passiert sein könnte:
http://www.marklbeaumont.co.uk…ast-end-of-loch-morar.jpg
Ich empfehle aber, mal die Google-Bildersuche mit „Loch Morar“ zu füttern. Wun-der-schön.
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Leith Each - das Wasserpferd von Loch Morar
„… Und wenn Du an einen verzauberten Ort gehst, dann sollst Du um seine Legenden wissen. Sonst mag es Dir geschehen, dass Du verschlungen wirst von der Versuchung, die Dir überlegen ist.
… Oder selbst Legende wirst.“
Aus einem alten Reiseführer
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Sie sind glitschig, hässlich und stinken. Weitere Gedanken hatte Bianka nie an Fische verschwendet. Und doch beobachtete sie nun voller Faszination, wie sich ein Hecht immer wieder aus dem petrolgrünen Wasser des Lochs erhob, einen flachen Sprung vollführte und wieder in die Tiefen eintauchte. Mal platschte es laut und das Wasser spritzte glitzernd auf. Dann sprang er erneut, um lautlos und sanft zurück in sein Element zu gleiten. Man könnte meinen, er würde die spiegelnde Oberfläche nicht einmal verletzen, sondern eins mit ihr werden.
Zunächst hatte Bianka angenommen, er würde nach Insekten springen. Warum sollte er es auch sonst tun, wenn nicht der Nahrung wegen. Außer dem Überleben, der Fortpflanzung und der Nahrungsaufnahme hatte ein Fisch keine Interessen.
Oder irrte sie? Sah es nicht aus, als würde er spielen?
Bianka streckte die Beine aus, lehnte sich im feuchten Grass auf die Ellbogen zurück. Aus der Entfernung weniger Meter betrachtet, sah er beinahe schön aus. Er war riesig, sicherlich fast einen Meter siebzig lang. Sie hatte nicht gewusst, dass Hechte solche Größen erreichen konnten. Seine Schuppen schimmerten anthrazit, schiefergrau und silbern, und goldene Punkte beträufelten seinen ganzen Körper.
Es schien wirklich, als würde er mit den Strahlen der aufgehenden Sonne spielen. Mit ihnen tanzen. Als würde ihm dieser Sommermorgen Freude bereiten. Vielleicht genoss er es sogar, dass sie ihm zusah.
Er war wirklich schön.
Bianka lachte leise über ihre albernen Gedanken, schüttelte den Kopf und erhob sich. Die letzte Nacht - eine Nacht mit viel zu viel schottischem Whisky am Lagerfeuer - steckte ihr noch in den Knochen. Wahrscheinlich vernebelte der Restalkohol noch ihr Hirn. Fische, die spielten und gerne beobachtet wurden - wie absurd! Sie war doch sonst nicht so träumerisch.
„Mach’s gut, du toller Hecht“, murmelte sie dem Fisch zu, der sie einen Moment lang anzustarren schien, während sie das blonde Haar aus ihrem Pferdeschwanz befreite und offen über die Schultern fallen ließ. Sie stutze. Dieser Blick, er schien fast menschlich. Erneut kicherte sie über ihre schwimmenden Gedanken. „Pass auf die Angler auf, sonst endest du noch als Fischstäbchen.“
Sie schlenderte zurück zum Zelt, in dem ihre beiden Freundinnen Anja und Caroline wahrscheinlich noch immer ihren Rausch ausschliefen, und sinnierte darüber, wie viele Fischstäbchen man wohl aus einem solch gewaltigen Fisch machen konnte.
Es war die letzte Woche ihres gemeinsamen Urlaubs. Drei Freundinnen, alle zwischen fünfundzwanzig und sechsundzwanzig Jahren alt, die drei Wochen lang Großbritannien unsicher machten. Für diesen Urlaub hatten sie lange gespart, um es einmal so richtig krachen lassen zu können. Jede Frau hatte die Planung einer Woche übernommen.
In der ersten Woche hatte Anja sie von einem Londoner Nachtclub in den nächsten gezerrt. Bianka hatte in ihrem ganzen Leben wohl nicht so viele - und so teure - Cocktails getrunken, wie in diesen sieben Tagen. Aus den Vorsätzen, einen hübschen Engländer flachzulegen, war allerdings nichts geworden. Gemäß einem Robbie-Williams-Song schienen alle schönen Hetero-Briten die Insel verlassen zu haben. Zurückgeblieben waren nur die Unattraktiven und die Schwulen. Spaß hatte die Woche trotzdem gebracht.
Die zweite Woche war Carolines Wunsch entsprechend ganz auf Kunst und Kultur ausgelegt gewesen. Gab es in ganz England und Schottland noch eine Burg, ein Museum oder eine Sehenswürdigkeit, die sie in dieser Woche nicht besichtigt hatten? Bianka glaubte nicht daran.
Die letzte Woche schließlich hatte sie geplant. Besser gesagt … nicht geplant. Ihre Freundinnen hatten sie schockiert angesehen, als Bianka ein Zelt und einen Gaskocher in den Mietwagen lud.
„Diese Woche fahren wir einfach der Nase nach, machen Halt wo es uns gefällt und genießen Freiheit und die wilde Natur der Highlands.“
Ihre Erklärung war von den beiden anderen mit Äußerungen wie „Ach du Scheiße!“ und „Nicht dein Ernst!“ kommentiert worden. Mitgekommen waren Anja und Caro natürlich trotzdem und - reichlich Alk und ein wenig Dope sei Dank - hatten sie nun doch Spaß an dem Trip. Freiheit und Abenteuer lockten halt jeden, es kam nur auf die richtige Definition dieser Begriffe an.
Aktuell campierten sie am Loch Morar, der zwar nicht so berühmt war, wie sein großer Bruder Loch Ness, aber dafür angeblich unterirdisch mit diesem verbunden. Legenden gaukelten vor, das Ungeheuer Nessie hätte sich - nachdem sein Refugium von Touristen und Forschern versucht worden war - in diesen See zurückgezogen, der als tiefster ganz Großbritanniens galt.
Den Abend genossen die Freundinnen erneut am Lagerfeuer. Am Morgen wollten sie nach Inverness weiterfahren und für die verbleibenden Nächte ein Hotel nehmen. Die letzte Nacht unter freiem Himmel feierten die drei jungen Frauen noch einmal mit auf Stöcken gebratenen Würstchen, lauter Musik aus dem Autoradio und dem kleinen Rest Hasch, der noch übrig war. Während Anja und Caroline mit jedem Zug ausgelassener wurden, stieg in Bianka eine schwere Sehnsucht auf. In drei Tagen würden sie die Fähre zurück nach Hause nehmen. Ihr war, als wäre sie gezwungen, einen Teil von sich selbst in den schottischen Highlands zurücklassen zu müssen. Sie hatte sich selten so zufrieden gefühlt wie sie es hier tat. Vollständig, als gäbe ihr das Land etwas, was ein Loch in ihrem Inneren zu füllen vermochte. Als würde sie hierher gehören.
Das nennt man typisches Urlaubsendfeeling, dachte sie zynisch. Und wusste doch, dass dies nicht die Wahrheit war. Sie war schon in einigen Ländern gewesen, hatte viele Teile der Erde bestaunt. Aber keinen Ort hatte sie geliebt. Bis sie diesen gesehen hatte.
Langsam wurde es kühler. Im Westen zauberte die versinkende Sonne einen Heiligenschein auf die Kuppen der Berge und gab den schroffen Formationen damit etwas Sanftes. Der Duft von Fichten, Moos und blühender Heide schwängerte die Luft. Biankas Welt war perfekt.
„Wisst ihr, was uns hier definitiv fehlt?“, fragte Caroline kichernd und durchbrach damit die friedliche Ruhe, die vom Knistern des Feuers und den Gesängen der letzten Vögel unangetastet geblieben war. „Ein rattenscharfer Highlander!“
Anja grinste lüstern und wickelte eine Strähne ihrer roten Locken um einen Finger. „Oh. Ja.“ Die Farbe ihrer Haare biss sich mit dem dunkelroten Nagellack. Bianka hätte nie gedacht, dass sie solche Kleinigkeiten an ihrer besten Freundin je nerven könnten. Anja schnurrte. „Im Kilt. Und mit langem, dunklem Haar.“
„Unter’m Kilt?“ Caro hob skeptisch eine fein gezupfte und gepiercte Augenbraue.
„Nee. Da gehört was anderes hin. Was Mächtiges.“
„Mächtig? Etwa ein mächtiges Gemächt?“
Die beiden gackerten wie die Hühner und Bianka verdrehte die Augen. Meist war sie der Pausenclown im Trio, nicht selten schimpften die beiden anderen sie albern. Aber heute fühlte sie sich von den zotigen Scherzen gestört. Sie entweihten die Romantik dieses Abends. Leider war dieses Argument zu kitschig, um es auszusprechen.
Caro sprang auf und torkelte in Anjas Richtung. „Ich bin Murtagh MacMighty, vom Clan der MacMächtigen“, grölte sie. „Komm, rothaariges Fräulein und erlebe meine Macht.“
„Deine Macht?“ Anja rappelte sich auf und warf sich der Freundin theatralisch entgegen. „Deine Macht macht mich mächtig an. Mach mir den Macker, mein Highlander.“
Die beiden stürzten sich aufeinander und imitierten eine wilde Knutscherei. Bianka fasste sich an den Kopf und stöhnte. Manchmal waren ihre Freundinnen die blödesten Gänse, die die Welt zu bieten hatte. Als Caro Anja schließlich umdrehte und mit lauten „Ich mach’s dir mächtig von hinten!“-Schreien ihre Hüften gegen den Hintern der Freundin drosch, stand Bianka auf und trottete kopfschüttelnd den Hügel hinab.
Sie musste fast bis runter zum See gehen, bis sie Anjas spitze Schreie und Carolines Gestöhne nicht mehr hören konnte. Die beiden sollten zum Film gehen, dachte sie abfällig. Zu mehr als Pornodarstellerinnen würde es allerdings nicht reichen.