Martin von Arndt: Der Tod ist ein Postmann mit Hut

  • Das Brot ist ein Forstamt mit Nut


    Seine Beziehung zur geliebten Ines, für die er nach Österreich auswanderte, ist versandet; Ines hat die gemeinsame Wohnung längst wieder verlassen und lebt mit einem Juwelier zusammen. Statt an seiner musikalischen Karriere zu arbeiten, arrangiert der Gitarrist Julio (wie Juli) Popsongs um, woraus der Produzent Paintner dann CDs gestaltet, die in chinesischen Imbissen im Hintergrund laufen. Sonst geschieht nicht viel im stagnativen Leben des Exildeutschen, zumal das höhepunktarme Innsbruck eben auch nur wenig zu bieten hat. Bis um seinen vierzigsten Geburtstag herum plötzlich Einschreibebriefe ankommen, geliefert von einem Postmann, der einen Hut trägt: Leere Blätter in neutralen Umschlägen. Monatlich bekommt er ein solches Schreiben, der Empfang wird zum Ritual, begleitet von Wacholderschnaps.


    Mahnung? Drohung? Ankündigung? Rache? Julio arbeitet zunächst die kurze Liste mit jenen Leuten ab, denen er - auch versehentlich - Schaden zugefügt hat, findet hier aber keine Antwort. Schließlich sucht er Kontakt zum eigenbrötlerischen Nachbarn, einem muffeligen, hünenhaften Ex-Kriminalbeamten namens Koloman, den er "Grantler" nennt, weil Koloman meistens grantig dabei ist. Statt der Lösung näher zu kommen, entwickelt sich eine Freundschaft. Während der eine auf sein Leben zurückblickt, weiß der andere nicht so recht, worauf er seine Erwartungen konzentrieren soll, aber beides ist in der Schwebe. Für den Polizisten ist es ein letzter Fall, den er nie zum Abschluss bringen konnte, dem Gitarristen hingegen fehlt jede Perspektive. Aus der Freundschaft wird eine Symbiose; Julio bringt den Grantler dazu, die Posaune wieder auszugraben und gemeinsam mit ihm zu proben, und Koloman nötigt Julio, das eigene Leben zu überdenken.


    Diese seltsame, im Wortsinn eigenartige Geschichte fläzt sich wie ein ungebetener Gast ins Leserhirn und fuchtelt mit seinen Tentakeln darin herum. Nicht immer wird erkennbar, wonach dieser Besucher forscht, denn die naheliegende Erklärung scheint oft die falsche zu sein. So blieb für mich der Zweck des eingeflochtenen Protokolls um Kolomans letzten Fall ein Mysterium, wenn auch hier und da Parallelen zur Geschichte des Protagonisten zu finden waren. Die gesamte Erzählung gibt sich einerseits rätselhaft, lässt aber andererseits an vielen Stellen sehr mittelbar erkennen, wo der Bedeutungskontext zu suchen ist - ohne allerdings Hilfestellung für die Verifikation zu bieten. Ich empfinde derart verweisschwangere Lektüre grundsätzlich als suboptimal, nämlich als Hänselei des vermeintlich kenntnisarmen Buchkonsumenten. Der Autor bietet folgerichtig auf seiner Website einen "Frequently Asked Questions"-Bereich für Leser an, die zum Beispiel nicht wissen, dass der Name von Kolomans Hund - Tadizio - auf den jungen Helden aus Thomas Manns Novelle "Der Tod in Venedig" verweist (die natürlich jedermann auswendig kennen sollte). Auch die auf Albert Camus verweisende Struktur des Buches dürfte sich dem Durchschnittsleser nicht sofort offenbaren.


    Diesen Umstand gleicht von Arndt allerdings mit seiner feinhumorigen, originellen und präzisen Erzählsprache aus; es ist einfach ein Vergnügen, dieses Buch zu lesen, bei dem kein einziger Satz überflüssig wirkt, die Dialoge einen natürlichen Klang haben und Beobachtungen fast schon fotografische Qualität. Dass sich mir nicht ganz erschlossen hat, was der Autor mit all dem zu sagen versucht, mag an mir liegen, aber auch als Authentizität durchgehen, denn das Leben ist schließlich kein Romanplot.

  • Danke für die Rezi, Tom.
    Gut dass ich das Buch schon auf dem SuB liegen habe, so muss es nicht auf die Wunschliste :lache

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire