Miriam Pressler: Nathan und seine Kinder

  • Im Jahre 1192 haben die Christen Jerusalem an den arabischen Sultan Saladin verloren. Der jüdische Kaufmann Nathan lebt zu jener Zeit in der heiligen Stadt und wird noch im gleichen Jahr von arabischen Fanatikern ermordet.
    In dem Hörspiel „Nathan und seine Kinder“ erinnern sich die Menschen in seiner Umgebung an den Verstorbenen und zugleich an ihre eigene Vergangenheit. Da ist seine Tochter Recha, die von einem jungen Tempelritter aus einem brennenden Haus gerettet wird und sich heftig in ihn verliebt. Ihre Amme Daja erzählt von ihrer strapaziösen Reise aus dem fernen Deutschland ins gelobte Land. Die Schwester des herrschenden Sultans kommt ebenso zu Wort wie Nathans alter arabischer Freund Al-Hafi. Und jede Person hat einen anderen Blick auf Nathans Schicksal und seine Vergangenheit. So entsteht ganz ungezwungen ein lebendiges Bild vom Alltag und von der Geschichte der seit vielen Jahrtausende von drei Religionen beanspruchten „heiiligen Stadt“.


    Miriam Pressler erzählt den klassischen Stoff von Gotthold Ephraim Lessing auf eine wunderbar kluge und brillant unkonventionelle Art. Bekannte, Freunde und Familienangehörige berichten aus ihrem und aus Nathans Leben. Und stets geht es dabei um die Notwendigkeit von religiöser Toleranz und das das nicht immer leichte Miteinander der drei großen Religionen in einer Stadt. Es geht aber auch um Liebe, um Freundschaft, Hass und das ganz normale, alltägliche Leben vor mehr als 800 Jahren.


    Die Sprecher, u.a. Julia Nachtmann (alias Recha), Hans Löwe (der Tempelritter) und Barbara Nüsse (Daja), geben jeder Figur ihre Konturen und würzen die Story mit viel Intonation. Ein gelungenes Hörbuch über die Koexistenz der Religionen - klassischer Stoff, aktuell und brisant bis zum heutigen Tag!

  • “Nathan der Weise” von Lessing und seine Ringparabel – gehört hatte ich auf jeden Fall schon von diesem Drama, es aber selbst noch nicht gelesen. Nun bot sich mir mit “Nathan und seine Kinder” die Möglichkeit, eine etwas zeitgemäßere Version der Geschichte zu lesen.


    “Es gibt in jedem Volk gute und ehrliche Menschen, egal zu welchem Gott sie beten, so wie es überall auch böse und grausame Menschen gibt.” (S. 105)


    Die Koexistenz der Religionen, das Miteinander und Füreinander: All das sind hochaktuelle Themen. Wundervoll, dass sich Mirjam Pressler ihnen noch ein Mal gewidmet und versucht hat, sie moderner und durch die Form des Romans leichtlesiger zu verfassen. Leider muss ich sagen, dass mir persönlich der Zugang zur Geschichte sehr schwer fiel. Ich habe mehrere Wochen an dem Buch gelesen, es immer wieder beiseite gelegt und bin anfangs kaum über die ersten Seiten hinaus gekommen.


    “Ich habe einen Traum, dass eines Tages die Söhne von Juden, Muslimen und Christen miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können.” (S. 166)


    Das änderte sich aber irgendwann, als ich ein Gespür für die verschiedenen Figuren, den Handlungsstrang und das Ziel der Geschichte bekommen hatte. Es ist Mirjam Pressler gut gelungen, einzelnen Figuren – allen voran Nathan und dem Waisenjungen Geschem – ein Profil zu geben. Schnell konnte ich mit den Figuren fühlen, ihre Gedanken und Weisheit annehmen.


    Ich kann mir gut vorstellen, dass sich das Buch auch als Schullektüre eignet, würde allerdings empfehlen, den Einstieg durch unterstützende Materialien, Zusammenfassungen oder ähnliches zu erleichtern. Dann jedoch bietet das Buch eine hoffnungsvolle Weltansicht, viel Diskussionspotenzial, Worte und Einstellungen, die – wären sie verbreiteter – die Welt zu einem friedlicheren Ort machen würden:


    “‘Gott oder Allah sind nur verschieden Namen für den einen, der Himmel und Erde gemacht hat’, sagte ich. ‘Mein Vater sagt, es sind nur die Wege, ihm zu dienen, welche die Religionen unterscheiden, der Kern ist gleich: die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Menschen. Und die Dankbarkeit für das Leben.'” (S. 215/216)


    “Nathan und seine Kinder” soll die zeitgenössischere und leichtlesigere Version von “Nathan der Weise” sein. Ohne das Originalwerk zu kennen, kann ich nur sagen, dass mir die Umsetzung der Grundidee, die Kernaussage der Geschichte und die Aktualität des Themas sehr gut gefallen haben. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass die Geschichte, insbesondere am Anfang, vielen Jugendlichen schwer zugänglich sein wird. Ich vergebe insgesamt sehr gute 6 von 10 Sternen.