Die Scherenfrau - Jorge Franco

  • OT: Rosario Tijeras


    Kurzbeschreibung:
    Rosario Tijeras will raus aus den Slums von Medellin. Sie ist schön, sie ist stark und sie ist eine Killerin im Dienst der Kartelle. Aber sie ist auch verletzlich. Und sie liebt zwei junge Männer aus reichem Haus - Emilio und Antonio. Mit Emilio hat sie Sex, mit Antonio kann sie reden. Antonio durchwacht die Nacht, in der Rosario schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht wird. Er versucht sich darüber klar zu werden, wer diese gefährliche Venus von Medellin wirklich ist.


    Über den Autor:
    Jorge Franco, geboren 1962 in Medellin, studierte unter anderem an der London International Film School und lebt in Bogota. Seine ersten beiden Bücher, ein Erzählband und ein Roman, wurden stark beachtet und mit mehreren Preisen ausgezeichnet. "Die Scherenfrau" war sein großer internationaler Durchbruch und wurde 2000 in Spanien mit dem renommierten Hammett-Krimipreis ausgezeichnet.


    Meine Rezension:
    Rosario Tijeras (dt.: Schere) kämpft seit ihrer Kindheit um ihr Leben, schon bald merkt sie, dass sie sich gegen die sie umgebende Brutalität nur mit Gewalt durchsetzen kann. Ihr sanftes Inneres verhärtet sich immer mehr und macht sie zur eiskalten Killerin. Ihre Beziehung zu Emilio, dem Sohn aus gutem Hause, wird vor allem von Sex bestimmt, mit ihrem "Kumpel" Antonio kann sie ganze Nächte durchreden. Er ist es, der ihre Geschichte erzählt - rückblickend von dem Moment an, wo er sie mit einer Schussverletzung ins Krankenhaus bringt und dort voller Sorge auf die Nachricht der Ärzte wartet. In flashback-artigen Erinnerungen wird das Bild von der geheimnisvollen Rosario lebendig, das Mosaik ihres Lebens wird mit jeder erinnerten Episode vollständiger, doch sie selbst, ihre Person, ihre ureigensten Gedanken und Gefühle bleiben im Dunkeln, können nur erahnt werden. Dieser Krimi kann auch als Liebesgeschichte verstanden werden, als Geschichte einer unerfüllten, tragischen Liebe, die nie eine Chance hatte und die vielleicht die Rettung gewesen wäre in ein besseres Leben ohne Drogen, Gewalt und Mord.


    Jorge Franco hat eine originelle Weise gewählt, Rosarios Geschichte zu erzählen. Auch wenn er sich kaum explizit über die gesellschaftliche und politische Situation Kolumbiens äußert, so schafft er doch vor dem inneren Auge des Lesers ein sehr genaues Bild von den Rahmenbedingungen, in denen die Geschichte spielt. Und er verdeutlicht, dass Rosarios Schicksal - so bedeutend sie selbst für andere auch sein mag - nur symbolisch zu verstehen ist. Die spröde Distanz, die von der Figur Rosario ausgeht, steht im krassen Gegensatz zu der tiefen Liebe des Erzählers Antonio. Das mag einen besonderen Reiz haben, gleichzeitig aber zu einem etwas holprigen Lese-Erlebnis führen. Mir selbst hat die Geschichte mit einigen Abstrichen gefallen, holperte aber ebenfalls ein wenig bei den vielen abrupten Szenenwechseln.


    Von mir 7 Punkte.

  • Handlungsort ist Medellín, einer der angeblich gewalttätigsten Orte der Welt, gelegen in Kolumbien.


    Protagonistin ist Rosario Tijeras, eine junge Frau, die aus den schlechten, armen Vierteln stammt. Zunächst ist sie das klassische Opfer, wird bereits mit acht Jahren vergewaltigt, scheint keine Chancen zu haben. Irgendwann jedoch merkt sie, dass sie sich wehren kann - mit Gewalt. Die Spirale, in die sie gerät, führt sie auf direktem Weg zur "Karriere" einer Killerin. Für die Drogenbosse übernimmt sie immer wieder Aufträge.


    Erzählt wird ihre Geschichte rückblickend, von Antonio, ihrem "Kumpel". Er bringt sie schwer verletzt in ein Krankenhaus und wartet auf das Ende der Operation. Sie wurde angeschossen. Antonio erzählt von Rosario und seiner hoffnungslosen Liebe zu ihr. Zusammen ist Rosario nämlich mit seinem besten Freund Emilio. Diese seltsame Dreierkonstellation steht im Mittelpunkt der Geschichte. Emilio und Antonio sind junge Männer aus "besserem Haus" und beide sind dem ungesunden Einfluss dieser jungen Frau verfallen.


    Das sehnsuchtsvolle Schmachten von Antonio erinnert irgendwie an "Die Leiden des jungen Werther", kombiniert mit dem haarsträubenden Lebenslauf einer psychisch zerstörten Frau.


    Ob Rosario die OP überlebt oder nicht, erfährt man erst zum Schluss.


    Die rückwirkende Erzählperspektive nimmt etwas von der Ungeheuerlichkeit, weil man weiß, alles ist schon längst passiert. Es hält den Leser aber auch auf Abstand. Die Nähe zu den Figuren wird dadurch nicht aufgebaut. Man wird als Leser nicht ins Geschehen mit hineingenommen, sondern erhält den Status eines aussenstehenden Zuhörers.


    Auf dem Umschlag wird der Roman als Kriminalroman angepriesen. Das ist er nicht. Die Morde, die Rosario begeht, stehen nicht im Mittelpunkt, sie sind nur ein Aspekt ihrer Lebensgeschichte und werden auch nicht näher erwähnt. Einzelheiten erfährt man nicht.


    "Schön" fand ich den Roman nicht, aber ungeheuer eindringlich.


    8 von 10 Eulenpunkten