Cafe Lehmitz - Anders Petersen

  • Kurzbeschreibung
    Cafe Lehmitz, eine Stehbierhalle am Ende der Reeperbahn, war ein Treffpunkt und oft auch die Endstation für viele, die in Hamburgs berühmt-berüchtigtem Rotlichtviertel arbeiten: Prostituierte, Zuhälter, Transvestiten, Handlanger und gewöhnliche Kleinkriminelle. Anders Petersen, geb. 1944, war achtzehn Jahre alt, als er aus Schweden nach Hamburg zu Besuch kam, eher zufällig im Lehmitz landete und hier Freundschaften schloß, die seinen weiteren Lebensweg prägen sollten. Seine Aufnahmen, die wir 1978 in Buchform veröffentlichten und die inzwischen zu Klassikern ihres Genres geworden sind, berühren noch immer durch ihre Offenheit und ihre unverfälschte Athentizität. Es ist der solidarische, an Brassai erinnernde Blick des Fotografen, der weder Voyeurismus noch falsches Mitleid aufkommen läßt angesichts dieser Bilder aus einem Milieu, das gemeinhin als asozial bezeichnet wird. Die andere Welt des Cafe Lehmitz, die heute so nicht mehr existiert, wird sichtbar als lebendiges soziales Gefüge mit eigenem Selbstverständnis und in der ihr eigenen Würde.



    Mein freundlicher Nachbar hat mir dieses Bch in die Hand gedrückt, wohlwissend, dass ich eine Schwäche für Schwarzweißfotos habe. Nun frag ich mich, wie dieser Fotograf so lange an mir vorüber gehen konnte, hat es doch eines seiner Fotos sogar auf das Cover von Tom Waits' Platte "Rain Dogs" geschafft.
    Die Fotos enstanden Anfang der siebziger Jahre in einer Kaschemme, die "verruchte Millieus" in zeitgenössischen "Der Kommissar"-Folgen wie Speisezimmer in anthroposophischen Kindergärten wirken lässt, dem Café Lehmann. Café ist freilich ein Euphemismus, wird hier doch in erster Linie Bier und Korn konsumiert und dazu, heutzutage ein fast schon fremder Anblick, ununterbrochen geraucht.
    In diesem Milieu hat Anders Petersen Menschen fotografiert, die am äußersten Rand der Gesellschaft, weit außerhalb des Blickfeldes des durchschnittlichen Normalbürgers, existierten. Zusammengesackte Säuferinnen, alternde Nutten, die mit frivol-schüchternem Blick ihre schmuddeligen Strapse zeigen und feucht-fröhliche Männergruppen, die mit ihren handgemachten Tätowierungen posen.
    Diese Bilder sind aber keine Freakshow, denn, obwohl sie teilweise nahezu grobkörnig und verschwommen sind, zeigen sie eines doch deutlich: da gibt es einen Draht zwischen Fotograf und "Model", und wenn auch viele Bilder verstörend, wenn nicht sogar abstoßend sind, zeigen sie doch auch immer wieder Momente der Lebensfreude, die diese Menschen ihrem auf den ersten Blick ausgestoßenen Leben abtrotzen.


    Gerade darin liegt der ein weiteres Reiz dieses Buches: die Siebziger waren nicht nur eine Zeit der großgemusterten Tapeten und futuritischen Plastikmöbel, sondern auch ein moralisch verbohrtes Zeitalter, in dem sich "andersartige" Menschen weit außerhalb der Gesellschaft ihre Nische suchen mussten und diese auch fanden.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)