Vorn - Andreas Bernard

  • Über den Autor
    Andreas Bernard ist Redakteur des »Magazins« der der Süddeutschen Zeitung.


    Kurzbeschreibung
    Aus dem Labor einer Generation


    Mitte der neunziger Jahre: Tobias Lehnert gelingt der Sprung in die Redaktion einer großen deutschen Zeitung. Hier glaubt er das eine, richtige Leben zu finden. Bis er erkennt, wie ihm seine Freundin Emily immer mehr entgleitet. "Andreas Bernard ist, eben weil er so nah an der Normalität entlang erzählt, eine grauenhaft schöne und wahre Liebesgeschichte gelungen." Moritz von Uslar


    Meine Rezension
    Tobias hat eigentlich noch kein Ziel im Leben. Seine Kommilitonen studieren weiter, arbeiten an ihrem Doktortitel, doch er hat keine Lust dazu. Noch ziellos und unentschlossen durch sein Leben treibend, bekommt er die Chance, als freier Mitarbeiter bei der „vorn“, der Jugendbeilage einer Tageszeitung, einzusteigen. Er nutzt diese Chance gut und bekommt nach einiger Zeit dort auch eine Festanstellung. Doch dieser Job beginnt langsam und schleichend, sein Leben und nicht zuletzt auch ihn selbst zu verändern. Zu seinem Vorteil? Lest selbst. :-)


    Tobias’ Jugendfreundin Emily dagegen steht schon seit längerer Zeit mit beiden Beinen im Leben ist selbständig, hat einen engagierten Job in einem Jugendzentrum und weiß, worauf es in ihrem Leben ankommt. Zusammen erscheinen die beiden zunächst als ein rundum tolles Team. Doch durch Tobias’ Job beginnen die beiden, peu à peu auseinanderzudriften.


    Der Autor erzählt uns hier die Geschichte einer Ära: es ist die Geschichte der ersten großen Liebe, es ist ein bisschen der Abschied der Jugend und der Einstieg ins „echte“ Erwachsenenleben, obwohl die beiden Protags auch zu Beginn der Geschichte schon erwachsen sind.


    Es ist aber sehr schön – und auch manchmal schmerzhaft – zu lesen, wie sich die Geschichte zwischen Jonas und Emily entwickelt und auch wieder auseinanderentwickelt.


    Ich fand es sehr interessant und subtil beschrieben, wie sich gerade Tobias durch den Umgang mit seinen Kollegen und jobbedingt immer mehr in einem schleichenden Prozeß ändert, anders spricht, sich anders kleidet und immer mehr zu einem Redaktionslemming wird, ohne dass ihm das selbst bewusst wird, während Emily einfach Emily bleibt. Emily sieht seine Wandlung durchaus kritisch und empfindet die Haltung der Zeitungsleute als selbstbezogen und glamourfixiert. Das ist eine Welt, mit der sie sich weder identifizieren kann noch will.


    So erleben wir als Leser mit, wie sehr sein Leben mit Emily sich von seinem Leben in der Redaktion unterscheidet. Und erscheint sie erst als der ruhende Pol in seinem Leben, kommt es ihm immer mehr vor, als wollte sie nicht mit ihm mitziehen. Auch sein Frauenbild ändert sich immer mehr während seiner Arbeit in der Redaktion: Hat ihn anfangs bei Emily ihre Selbständigkeit angezogen, legt er nun immer mehr Wert auf äußerliche Attribute.


    Eine interessante Geschichte, sehr unterhaltsam umgesetzt, lediglich gegen Ende hin gab es für mich ein paar Längen, die aber den Gesamteindruck für mich nicht schmälerten. Prima Buch, ich habe es sehr gerne (und vor allem auch recht fix :lache) gelesen – auch das Ende fand ich stimmig und zum Buch passend.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Hier meine Rezi:
    Andreas Bernard beschreibt in „Vorn" das Lebensgefühl der 90er Jahre, als man sich in lockerer Workaholic-Athmosphäre die Nächte in expandierenden Internet-Startups, blinkenden Werbeagenturen und hippen Redaktionsbüros um die Ohren geschlagen hat.
    Mittendrin bewegt sich Tobias, der völlig fasziniert von der bunten, scheinbar unbeschwerten Welt der trendigen Jungredakteure ist und sich kopfüber in dieses neue Leben stürzt, bis er selbst perfekt dazu gehört.


    Erst spät merkt er, dass es mehr geben muss als coole Locations, angesagte Klamotten und schmollmündige Redaktionsassistenzen - und wie sehr man sich verbiegt, wenn man stets nur auf jeder Welle ganz „vorn" mitreiten will.


    So bleibt vom Tobias Anfangseuphorismus am Ende die Erkenntnis, dass das Gleichgewicht zwischen dem eigenen Lebensentwurf und dem jeweils angesagten Gruppentamtam gar nicht so leicht zu finden ist. Bernhards „Vorn" ist ein locker und beschwingt geschriebener Roman über die moderne Arbeitswelt und die Suche nach Identität im ewigen Trendkarussell.