Little Brother - Cory Doctorow [14 - 17 Jahre]

  • Inhaltsbeschreibung von amazon.de:


    Hochbrisant und topaktuell: Cory Doctorows New-York-Times Bestsellerroman über die Kraft der jungen Medien gegen die Macht des Staates.Marcus, alias "w1n5t0n", ist 17 Jahre alt, smart, schnell und ein echter Internet-Crack. Als Terroristen die Oakland Bay Bridge in San Francisco bombardieren, stürzt auch seine Welt ein - denn Marcus und seine Freunde werden von einem übereifrigen Department of Homeland Security (DHS) verhaftet, tagelang auf einer geheimen Insel verhört und gedemütigt. Als Marcus frei kommt, hat sich San Francisco in einen Überwachungsstaat verwandelt, in dem jeder Bürger als potentieller Terrorist betrachtet wird. Zum Teil aus dem Wunsch nach Rache, zum Teil getrieben vom leidenschaftlichen Glauben an die Menschenrechte, schwört Marcus, die DHS aus seiner geliebten Stadt zu vertreiben. Mit Hilfe des Xnet und anderer neuer Medien beginnt er ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel, indem er die Überwachungsversuche der Regierung sabotiert und immer mehr junge Menschen für seine Guerilla-Bewegung gewinnt. Am Ende trägt er maßgeblich dazu bei, dass die Regierung stürzt.


    Meine Meinung:


    „Ich habe ein Recht auf meine Privatsphäre“ meint Marcus, 17 Jahre alt, ein begeisterter Gamer und Hacker. Und spricht mir damit aus der Seele. Wann ich wohin gehe und warum, geht nur mich etwas an. Doch in einem Staat, in dem Paranoia und ständige Angst vor Angriffen herrscht, sieht das schon ganz anders aus. Das muss auch Marcus auf schmerzhafte Weise lernen…


    Was wie ein ganz normaler Schultag anfängt, wird schon bald zu einem Albtraum. Ein Bombenanschlag zerstört die Bay Bridge in San Francisco, als Marcus und seine Freunde gerade ganz in der Nähe sind. In Panik fliehen sie zusammen mit den Menschenmassen, die sich in den nächstgelegenen U-Bahnschacht drängen. Kurz darauf werden sie von militärisch wirkenden Personen aufgelesen. Doch helfen wollen die ihnen nicht; stattdessen ziehen sie ihnen Säcke über den Kopf und fesseln ihre Hände. Irgendwo abseits vom Festland werden sie tagelang verhört; man verdächtigt sie, an den Anschlägen beteiligt gewesen zu sein. Marcus wird gezwungen, sämtliche Passwörter für sein Handy und den Laptop preiszugeben, er bekommt kein Essen und darf mit niemandem reden. Erst als man keine konkreten Anhaltspunkte für seine Beteiligung findet, lässt man ihn gehen, mit dem Verspechen, ihn genauestens zu beobachten.


    Zuhause angekommen, muss er feststellen, dass sich San Francisco in einen Überwachungsstaat verändert hat. Überall sind Kameras, von jedem Einwohner wird registriert, wann er wohin geht und wenn etwas daran ungewöhnlich wirkt, werden sie stundenlang verhört. Größere Menschenansammlungen werden mit Gewalt auseinandergetrieben. Jeder verwandelt sich in den Augen der Homeland Security in einen potentiellen Terroristen; die persönliche Freiheit ist zweitrangig bei dem Versuch, die Täter zu finden. Marcus und seine Freunde wollen sich damit aber nicht abfinden und beginnen, die staatliche Überwachung zu sabotieren…


    Doctorow thematisiert in seinem Buch ein wichtiges Thema: wie weit die Einschränkung der persönlichen Freiheit und dem Recht auf Privatsphäre im Angesicht potentieller Terrorgefahr gehen darf. Ein wichtiges Buch, das sprachlich sehr gut umgesetzt wurde. Über die Bombenanschläge erfährt man nichts Genaueres, dafür konzentriert sich der Autor sehr auf die technischen Raffinessen, mit denen Marcus die Überwachungstechniken unterwandert. Wer also ein bisschen Nachhilfe in Verschlüsselungstechniken braucht, ist hier gut bedient. Glücklicherweise überwiegen die technischen Beschreibungen aber nicht, so dass sich die Geschichte trotz dieser Einwürfe sehr spannend liest und nicht ins Stocken kommt. Ein super Buch!

  • Nach einem Terroranschlag auf San Francisco sind Marcus und seine Freunde zur falschen Zeit am falschen Ort und werden vom Department of Homeland Security (DHS) als potentiell Verdächtige aufgegriffen. Tagelang werden sie unter teilweise menschenunwürdigen Bedingungen an einem geheimen Ort festgehalten und immer wieder verhört. So gibt es zum Beispiel "Vergünstigungen" wie Nahrung und frische Luft nur gegen die Preisgabe persönlicher Daten, wie z.B. Passwörter. Auch letztendlich freigelassen werden die Unschuldigen nur, wenn sie Dokumente unterschreiben , in denen sie versichern, freiwillig anwesend gewesen zu sein. Und unter der Androhung, sie für den Rest ihres Lebens hinter Gitter zu bringen, wenn sie irgendwas erzählen. Natürlich schweigen Marcus und seine Freunde. Aber Marcus hat sich geschworen, es ihnen heimzuzahlen. Und Marcus ist ein ziemlicher Computer-Crack. Innerhalb kürzester Zeit hat er ein geheimes Netzwerk, das XNet, aufgebaut und eine Menge Mitstreiter gewonnen. Doch das DHS ist ihm auf der Spur... Wem kann Marcus noch vertrauen? Alles wird inzwischen überwacht: wer wann wohin mit der U-Bahn fährt, wird mithilfe elektronischer Fahrkarten verfolgt. Barzahlung ist so gut wie nirgends mehr möglich. Jeder Bürger ist per se erstmal verdächtig, Freiheit zählt nichts, Kontrolle ist alles. Lehrer mit einer eigenen Meinung werden durch solche ersetzt, die mit dem DHS konform gehen. Jeder bespitzelt jeden. Das öffentliche Leben kommt praktisch zum Erliegen, da man alle naslang angehalten und kontrolliert wird. Wird es Marcus gelingen, das DHS zu diskreditieren?


    Dieses Buch hat mir nicht nur sehr gut gefallen - ich finde, es ist auch ein unglaublich wichtiges Buch, gerade in der heutigen Zeit (ich sage nur "Nacktscanner"). Es öffnet einem die Augen, was in nicht allzu ferner Zukunft Wirklichkeit sein könnte. Welches Recht haben andere, sei es die Regierung oder sonst wer, alles zu überwachen? Und mit welchem Erfolg? Heiligt der Zweck immer die Mittel? Oder zählt die persönliche Freiheit nicht doch mehr? Kann die Verfassung ausser Kraft gesetzt werden, um Terror zu bekämpfen? Oder ist das auch schon Terror gegenüber den Bürgern? Wie gläsern muss jeder einzelne noch werden? Wie Marcus sagt, ist das "als würde man nackt in einem gläsernen WC mitten auf dem Marktplatz sch... müssen - und man müsste schon ziemlich pervers sein, um das gut zu finden!".


    "Little Brother" hat mich zum Nachdenken über solche Dinge gebracht und ganz nebenbei noch einige Dinge (Krypto / Web of Trust / Man-in-th-middle) einfach und für alle verständlich erklärt - und dafür liebe ich dieses Buch! Eines der besten, das ich seit langem gelesen habe!

    Liebe Grüße :wave


    Waldmeisterin


    Every day I give my family two choices for dinner: take it or leave it!


    Nulla unda tam profunda quam vis amoris furibunda

  • „...dieser M1k3y steckt in dir und mir…“
    (Andrew Huang, Nachwort „Little Brother“)


    M1k3y – oder: W1n5t0n aka Marcus – ist ein 17-jähriger Schüler in San Francisco. Er ist vielleicht nicht genau wie du und ich, denn er ist ein Hacker, ein Computerflüsterer, aber er ist uns verdammt ähnlich.
    Und als er und seine Freunde unschuldig verhaftet werden nachdem Terroristen die Oakland Bay Bridge in San Francisco in die Luft gesprengt haben, schwört er Rache. In illegalen Verhören wird er gedemütigt und eingeschüchtert - aber seinen Willen können sie nicht ganz brechen.
    Nachdem er wieder feigelassen wird, und San Francisco plötzlich zu einem Ort ohne Privatsphäre mit ständiger Überwachung geworden ist, beschließt er die Regierung und die DHS (Department of Homeland Security) mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen und sich seine Freiheit und Privatsphäre zurückzuholen.


    Diesen spannenden, dystopisch angehauchten Thriller konnte ich nur schwer aus der Hand legen. Marcus ist ein unglaublich glaubwürdiger Charakter: er ist nicht der geborene Held, aber ganz sicher steckt in ihm genug Mumm um etwas zu verändern. Mit Hilfe seiner Freunde gründet er eine ganze Bewegung von Jugendlichen, die auf ihre Grundrechte bestehen und nicht akzeptieren, dass die Regierung sie als potentielle Terroristen auf Schritt und tritt überwacht.
    Realistisch wird dabei beschrieben, welche Mittel zur Verfügung stehen um totale Überwachung zu garantieren – das hat mir das eine ums andere Male doch einen leichten Schrecken versetzt. Als Leser hat man nicht nur Spaß an der mitreißenden Geschichte, sondern fängt auch an sich zu fragen, wie weit das im Buch geschilderte Szenario eigentlich noch von der Realität entfernt ist. So viel soll verraten sein: nicht sehr weit. Gerade da das Thema staatliche Überwachung auch in Deutschland aktuell in den Medien ist, ist ein Buch wie „Little Brother“ wichtig. Es schärft das Bewusstsein für Dinge, über die man normalerweise nicht nachdenkt, über die man aber dringend nachdenken sollte.


    Insgesamt also ein wirklich spannender Thriller der garantiert nicht nur Jugendliche anspricht, sondern für jeden eine Botschaft enthält. Wie Bruce Schneier im Nachwort passend formuliert: „Nimm dir genug Zeit, dann wirst du erkennen, wie anders du plötzlich über die Welt denkst, wie du sie mit ganz anderen Augen wahrnimmst. Also los, […] mach dich auf den Weg. Die Welt steckt voller Sicherheitssysteme. Vielleicht kannst du ja eines knacken.“

  • Eigene Meinung
    Freiheit, dass ist das, wonach wir wohl alle streben. So auch der Junge Marcus.


    Das Buch beginnt mit einem ganz normalen Tag im Leben von Marcus und seiner Freunde. Marcus berichtet davon, wie in seiner Schule Kameras zur Schritterkennung installiert wurden, wie die Bibliotheksbücher mit Chips ausgestattet sind, die dabei helfen, die Bücher zu Orten (und damit auch die Schüler), wie sie SchoolBooks (Laptops) bekommen haben, durch die die Schule jeden noch so kleinen Klick des Schülers überwachen kann und, wie er, Marcus, all diese Hürden überwindet, um seine Privatsphäre zu wahren.
    An dem Tag, als die Bay Bride von Terroristen in die Luft gesprengt wird, versucht Marcus einen Wagen anzuhalten, da sein Freund Darryl niedergestochen wurde. Aus dem Auto steigen bewaffnete Leute, die ihn und seine Freunde festnehmen und auf eine Insel bringen. Dort werden sie tagelang verhört und manipuliert und unter Nahrungsentzug, Einsamkeit und ohne Möglichkeit, auf die Toilette zu gehen fängt einer nach dem anderen langsam an zu brechen. Der Heimatschutz fordert Passwörter zu allen Emailkonten und Handys, nimmt jedem von ihnen Stück für Stück die Privatsphäre.
    Als Marcus wieder freigelassen wird, wird ihm gesagt, dass er nun ein gezeichneter Mann sei, dass man ihn stets beobachten wird und das er niemandem erzählen darf, was in den letzten Tagen passiert war. Daheim angekommen stellt er fest, dass man seinen Laptop verwanzt hatte und so schließt er seine XBox an und installiert ParanoidXbox. Am nächsten Tag beginnt er damit, das Programm an all seine Freunde zu verteilen und diese wiederum verteilten es an ihre Freunde und so weiter.
    Die Lage in San Fransisco spitz sich von Tag zu Tag mehr zu. Jeder Bürger wird durch Chips überwacht und wenn einer einen ungewöhnlichen Schritt zu viel tut, wird er von der Polizei festgehalten und befragt. Während ein Großteil der Erwachsenen damit zufrieden ist, wie die Regierung vorgeht, um ihr Land zu schützen, fühlen sich die Jugendlichen ihrer Freiheit und ihrer Menschenrechte beraubt und so beschließen sie mit Hilfe des XNets (welches das einzige, unbewachte Medium ist), so viel Chaos zu verbreiten, dass der Staat unter all dem zusammen bricht. Und ihr Motto lautet: trau keinem über 25!


    Cory Doctorow beschreibt eine Welt, in der wir alle uns Stück für Stück der Sicherheit wegen aufgeben müssen. Eine Welt, in der niemand von uns mehr frei ist, in der Privatsphäre ein Fremdwort ist.
    Sprachlich gut verständlich erklärt er uns, was überall um uns herum vor sich gehen könnte, bringt uns nahe, wie wir uns absichern können und redet uns ins Gewissen, dass es nichts wertvolleres gibt, als unsere Freiheit und das wir für diesen Luxus etwas tun müssen.
    Wenngleich viele technische Begriffe in dem Buch ihren Platz finden, hatte ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, überladen worden zu sein. Mit scheinbarer Engelsgeduld erklärt Marcus uns Lesern seine Welt -die Welt der Technik- und schafft mit seiner Ehrlichkeit eine Beziehung zum Leser, durch die wir seine Ängste nachempfinden können. Und am Ende ist es gar nicht mehr so unverständlich, paranoid zu sein.
    Neil Gaiman sagte, Little Brother sei ein wichtiges Buch und er hat recht. Jeder von uns sollte es, meiner Meinung nach, gelesen haben und jeder sollte sich seine eigenen Gedanken dazu machen.


    Volle Punktzahl von mir für ein Jugendbuch, dass ohne Zweifel auch für Erwachsene geeignet ist.

  • Weniger Freiheit erzeugt keine Sicherheit


    Marcus Yallow ist ein Siebzehnjähriger, der in San Francisco lebt, mit seinen Freunden "Harajuku Fun Madness" spielt, und über exzellente Computerkenntnisse verfügt. Seinen "SchoolBook", ein modifizierter Laptop, der eigentlich nur für die Nutzung der Schulsoftware vorgesehen ist, hat er längst gehackt. Marcus, der im Netz den Codenamen "W1n5st0n" (gesprochen: Winston) trägt, wird in der Anfangsszene zum Schulrektor gerufen, über den er mehr weiß, als diesem lieb sein kann, weil Marcus/W1n5t0n ein Kind jener Generation ist, die mit Computern groß geworden ist, die also mit spielerischer Selbstverständlichkeit Technik und ihre Hintergründe verinnerlicht hat. Er ist, davon abgesehen, in dieser Hinsicht ziemlich talentiert. Aber nicht alle Hacks, die ihm der Rektor vorzuwerfen versucht, hat Marcus auch tatsächlich veranstaltet. Beweisen kann er ihm keinen.


    Die Schule wird überwacht, aber da Gerichte die Gesichtserkennung gekippt haben, gibt es nunmehr "Gangerkennung": Die Software hinter den Videokameras versucht, die Gehweise der Schüler ihren Profilen zuzuordnen. An diesem vergleichsweise simplen Beispiel zeigt Doctorow gleich anfangs, wie sinnlos solche (genau genommen biometrische) Überwachung ist: Um trotz der "Gangerkennung" die Schule verlassen und gemeinsam mit drei Freunden einen "Harajuku Fun Madness"-Hotspot finden zu können, packt sich Marcus einfach ein paar Kieselsteine in die Schuhe. Minuten später stehen sie an der Bay Bridge, und dann ändert sich plötzlich alles: Was die Kids zunächst für ein Erdbeben halten, entpuppt sich als Terroranschlag - Bomben zerreißen die Brücke, es gibt viele tausend Tote. In Minutenschnelle sind die Army und das "Department for Homeland Security" (DHS) auf dem Plan. Marcus und seine Mitschüler werden festgenommen, verschleppt und anschließend tagelang verhört und gefoltert, weil sie zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Als sie in die Freiheit zurückkehren, hat sich die Bay Area in eine streng überwachte Zone verwandelt. Aber Daryll, Marcus' bester Freund, wird nicht wieder freigelassen. Und die Kids, die interniert waren, werden mit starken Drohungen davon abgehalten, über ihre Erlebnisse zu berichten. Auch Darylls Vater muss lange Zeit glauben, sein Sohn wäre beim Anschlag umgekommen.


    Marcus aber will beides nicht hinnehmen, weder die Tatsache, dass Daryll verschollen bleibt, noch die Sippenhaft einer ganzen Stadt, in der plötzlich jeder zum Terrorverdächtigen geworden ist. Er ruft das "Xnet" ins Leben, ein für Überwachung unzugängliches Parallel-Internet, und organisiert den Widerstand, indem er, zum Beispiel, Leute dazu bringt, RFID-Tags zu "jammen": Die Transponderchips, die fast alle Autofahrer hinter der Scheibe haben, um die Brückenmaut unbar zahlen zu können, werden im Vorbeigehen verfälscht, wodurch plötzlich alle Bewegungsmuster "auffällig" werden. Schritt für Schritt hebelt er jene Mechanismen aus, die scheinbar auf die Spur der Terroristen führen sollen, aber eigentlich selbst nur eine Form von Terror darstellen.


    "Little Brother" ist einerseits ein klassischer Heldenroman, die Geschichte eines Underdogs, der eher unfreiwillig zum Anführer wird, der die Werte, die für die Gesellschaft eigentlich essentiell und, vor allem, unveräußerlich sein sollten, auch in der vermeintlichen Ausnahmesituation gegen Regierung und insbesondere das DHS aufrechtzuerhalten versucht. Andererseits und in der Hauptsache aber zeigt das Buch den Widersinn des Kampfes oder gar "Krieges" gegen den Terror, der so, wie er organisiert ist, ein Hase-und-Igel-Rennen ohne nennenswertes (Fahndungs-)Ergebnis darstellt - vor allem ohne eines, das auch noch irgendwie im Verhältnis zum Aufwand steht. Alle Überwachungs- und Sicherheitsmaßnahmen, mit denen wir real - also außerhalb der fiktiven Romanwelt - konfrontiert werden, sind bestenfalls Makulatur, organisiert und durchgeführt von Leuten, die Sicherheit - die ohnehin niemals gewährleistet werden kann - nur suggerieren und dabei aktiv Grundrechte demontieren. Anhand von vielen Beispielen zeigt Doctorow, warum technische Strategien, die beiden Seiten bekannt sind, nur "Verdächtige" entlarven, aber so gut niemals Täter.


    Er wählt als Anschlagsziel - der Anschlag selbst und seine Initiatoren spielen im Buch kaum eine Rolle - absichtlich ein "weiches" Ziel, um zunächst zu zeigen, dass die umfassende und auch von Laien leicht zu umgehende Überwachung z.B. des gesamten Flugverkehrs komplett widersinnig ist; die hiermit angeblich erkaufte Sicherheit gibt es nicht: In jüngster Zeit haben, am Rande bemerkt, viele Experten demonstriert, dass auch die inzwischen an einigen Flughäfen installierten "Nacktscanner" nur ein lächerliches Hindernis für Leute darstellen würden, die tatsächlich die Absicht haben, Anschläge zu verüben. Aber, und das ist wesentlich: Von diesen Leuten gibt es weit weniger, als uns glauben zu machen versucht wird. Eine Terrorfahndung, die, wie der Autor vorrechnet, mit einer "Sicherheit" von 99 Prozent Täter ermittelt, generiert aus "nur" einer Million Menschen zehntausend (!) potentielle Täter, aber tatsächlich ist vielleicht einer von diesen zehntausend auch wirklich ein Terrorist - und nicht einmal das ist wahrscheinlich. Die Systematik, die uns so verkauft wird, arbeitet also tatsächlich mit einer Fehlerquote von mehr als 99,99 Prozent. Auf ähnliche Weise sind fast alle Fahndungsmethoden strukturiert. Der Generalverdacht, unter dem wir allesamt seit 9/11 stehen, und der weltweit dazu geführt hat, dass Menschen in ihren Grundrechten, in ihrer Freiheit beschnitten wurden, ist die falsche Strategie. Davon abgesehen hat er die Terroristen zu Siegern gemacht, weil sie indirekt erreicht haben, dass wir aus Angst auf etwas verzichten, das wir eigentlich für unverzichtbar hielten, nämlich unsere Freiheit. Vor dem Hintergrund der Tatsache (und es ist eine Tatsache!), dass Terroranschläge faktisch eine nur äußerst geringe Bedrohung für den einzelnen darstellen, steht das Opfer, das wir hier erbringen, in keinem Verhältnis zum Nutzen - der eben sowieso sehr fragwürdig ist. Denn gerade "weiche" Ziele kann man niemals auch nur annähernd absichern. Selbst mit einer flächendeckenden Rund-um-die-Uhr-Überwachung nicht.


    Der zwar etwas geradlinige, aber sehr mitreißende Roman vermittelt quasi nebenbei viele Hintergrundinformationen zur Struktur des Internets, zur Kryptographie (die, wie viele schon wieder vergessen haben, in den Neunzigern von der US-Regierung als "Waffe" verboten war), zu Mustererkennung und Rasterfahndung. Im Ergebnis zeigt er, dass das Gießkannenprinzip, nach dem die Fahnder vorgehen, viel zu grob und zu simpel ist, um jemanden, der eine entsprechende Absicht hat, auch im Vorfeld zu ertappen. Er beweist, dass Überwachung als Prävention sinnlos ist und nicht einmal der Aufklärung dient. Vor allem aber klagt er an, dass unsere Regierungen und damit auch wir alle hinnehmen, eine trügerische Sicherheit bei gleichzeitigem Verzicht auf verfassungsmäßige Rechte zu erkaufen. Der Kampf oder sogar Krieg gegen den Terror ist ein Krieg gegen das eigene Volk.


    "Little Brother" ist sicher kein literarisches Meisterwerk, aber ein wichtiges und erhellendes, davon abgesehen sehr spannendes Buch zu einem Thema, das keinen kalt lassen sollte. Es ist eine Warnung und eine Anklage, ein Manifest gegen Überwachungs- und Sicherheitswahn, und es sollte als Denkanstoß vor allem von all jenen gelesen werden, die unsinnige Floskeln wie "Wer nichts zu verbergen hat, muss auch nichts befürchten" auf den Lippen führen und damit das Fundament für eine Welt legen, in der Freiheit nichts mehr bedeutet.



    Anmerkung: Das Buch gibt es - auch in der deutschen Übersetzung - nach dem Willen des Verfassers als "Freeware":
    http://cwoehrl.de/files/lbdt_v1.pdf


    Edit: "Little Brother" ist zwar strukturell ein Jugendbuch, aber auch und gerade jedem Erwachsenen dringend zu empfehlen!

  • Das Buch war wirklich gut und sehr erschreckend, wie nah der Verlust der Freiheit und die Dauer-Kontrolle ist.
    Gestört hat mich etwas das man nicht weiß in welchem Jahr die Geschichte spielen soll. Ist nur der Überwachungsstaat nach den Anschlägen in der Zukunft, oder auch schon die Ausgangssituation vorher (ich vermute mal JA - denn mir hat noch keine Sau mal eben so ne XBOX für umsonst geschenkt *lach*)?
    Trotzdem ich das Buch doch sehr technisch fand, hat es mir gut gefallen und es hat die Spannung nicht gestört.

    "We are ka-tet...We are one from many. We have shared our water as we have shared our lives and our quest. If one should fall, that one will not be lost, for we are one and will not forget, even in death."Roland Deschain of Gilead (DT-Saga/King)

  • Meine Meinung


    Marcus, der Ich-Erzähler dieses Romans, ist 17 und ein Technikfreak. Er und seine Freunde nehmen an einem Reality-Game mit, was Spaß machen soll. Doch als ein Anschlag auf San Francisco verübt wird, sind sie am falschen Ort und werden zu Verdächtigen. Schnell wird klar, wie wenig Freiheit und Selbstbestimmung in dieser Situation wert sind.


    Der Roman war mir nicht zu technisch geschrieben und war fast durchgehend spannend. Ein kleiner Spannungsabfall ist jedoch nach den Ereignissen im Gefängnis zu verzeichnen, was ich jedoch nicht als dramatisch empfand. Marcus hat mir als Hauptfigur sehr gut gefallen und ist glaubwürdig. Ich bin zwar über 10 Jahre älter als er, konnte aber seine Gefühle und Handlungen nachvollziehen. Da man nur seine Perspektive hat, weiß man nicht mehr als er, was mir sehr gut gefallen hat.


    Das Buch hat fast drei Jahre darauf gewartet, von mir gelesen zu werden. Nur durch das Lieblingsbuch-Event musste es nicht noch länger warten. Da ich schon zwei andere Bücher von Cory Doctorow gelesen, welche beide mich nicht überzeugt hatten. Doch „Little Brother“ hat mich überzeugt und es ist eine wirklich gute Empfehlung. Die Thematik ist hoch aktuell und immens wichtig, obwohl ich immer noch hoffe, dass es nie soweit kommt.
    Den Nachfolger „Homeland“ habe ich mir schnell auf den eBook-Reader geladen und auch bald gelesen.