Wie die Madonna auf den Mond kam - Rolf Bauerdick

  • Wie die Madonna auf den Mond kam
    Rolf Bauerdick
    ISBN: 978-3-421-04446-4
    Deutsche Verlags-Anstalt, München
    516 Seiten, 22,95 Euro



    Über den Autor: Rolf Bauerdick, Jahrgang 1957, lebt im westfälischen Hiddingsel. Nach dem Studium der Literaturwissenschaft und Theologie hat er sich dem Journalismus zugewandt. Er hat Reportagereisen in rund sechzig Länder unternommen; seine Text- und Bildreportagen erscheinen in europäischen Tageszeitungen und Magazinen und sind vielfach ausgezeichnet. Wie die Madonna auf den Mond kam, ist sein erster Roman.


    Worum geht es? Wir schreiben den 06. November 1957 - Transmontanische Karpaten, Ort Baia Luna – Heute hat der Großvater von Pavel Botev Geburtstag. Ilja wird fünfundfünfzig und bekommt von seinem Freund Dimi einen nagelneuen Fernseher für seine „Schankbutike“ im Ort – da die Antenne fehlt, können die Dorfbewohner an diesem Abend leider nur hören, wie der Sputnik in All geschossen wird – Mit seinem Piepen beginnt die Geschichte um Pavel, Ilja, Dimitru und vielen anderen. An diesem Tag geschieht nämlich noch viel mehr: Als Pavel in der Schule das Bild des neuen Parteisekretärs Stefan Stephanescu aufhängt, gibt ihm die Lehrerin Angela Barbulescu den Auftrag, diesen Menschen zu vernichten. Angela verschwindet am selben Abend, kurze Zeit später werden der Dorf-Pfarrer und seine Haushälterin tot aufgefunden und auch die „Dorfheilige“ die Madonna vom Mondberg ist abhanden gekommen. Es beginnt eine Suche nach der Wahrheit und nach dem Sinn des Lebens…



    Meine Meinung: Es ist schwer, aus dem Klappentext einen Eindruck von diesem Buch zu bekommen, und es ist schwer, überhaupt etwas über dieses Buch zu schreiben und ihm nur halbwegs gerecht zu werden. Man könnte meinen, es klingt alles nach einem ganz normalen Krimi – eine verschwundene Lehrerin, eine vermisste Madonna, und zwei Tote - und der Autor habe sich nur einen ungewöhnlichen und fiktiven Handlungsort ausgesucht, doch genau das ist das Buch nicht. Es ist tragisch, komisch, irrwitzig und es lebt von den schrägen Protagonisten, die Rolf Bauerndick so perfekt schrullig und ein wenig überzogen darstellt. Da Pavel seinem Opa Ilja in der „Schankbutike“ aushilft, finden hier viele Gespräche statt, werden wahnwitzige Thesen aufgestellt und widerlegt, und mehr als einmal muss man ob der Absonderlichkeit der Dörfler lachen, deren Dorf selbst für die Partei so uninteressant ist, dass man es bei den Enteignungswellen, die über das Land gehen, schlichtweg vergisst. Großvater Ilja und sein Freund Dimitru, der Zigeuner, sind, seitdem ihre Madonna verschwunden ist, auf der Suche nach ihr und glauben anhand ihrer sehr eigensinnigen Bibelauslegungen genau zu wissen, wo sie sich befindet. Sie machen diese Suche zu ihrer Lebensaufgabe und haben nichts anderes mehr im Kopf, als ihr Ziel zu erreichen.
    Sehr beeindruckt hat mich, dass der Autor es geschafft hat, anhand dieses kleinen fiktiven Dörfchens den Lauf der Geschichte eines Landes aufzuzeigen. Er hat Geschichten und Geschichte perfekt miteinander verknüpft und ein Buch von solch einer Fülle geschaffen, die man kaum beschreiben kann.


    Fazit: Für mich ganz klar eine dicke Leseempfehlung und der Wunsch, es möge noch von sehr vielen Lesern entdeckt werden.

  • Vielen Dank Eskalina für deine schöne, ausführliche Rezi.
    Ich hatte das Buch bei meinem letzten Bücherbummel in der Hand, war mir aber ziemlich unsicher. Jetzt nicht mehr, jetzt kommts auf die WL :wave

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Ich habe dieses Buch heute ausgelesen und bin immer noch nicht sicher, wie ich es finden soll. Die Protagonisten sind schrullig und doch sehr liebenswert. Aber gerade diese extrem abgedrehten Thesen und Vermutungen die aufgestellt werden, waren es, die mich beim lesen störten und meinen Lesefluss einschränkten. Zwischendurch wollte ich es schon abbrechen, bin aber dann trotzdem drangeblieben. Die ca. letzten 100 Seiten habe ich dann aber in einem Rutsch durchgelesen und diese haben mir am besten gefallen.


    Eine Benotung kann ich im Moment noch nicht geben.

  • Gerade hab ich ein Interview mit Bauerdick im Radio gehört und wurde hier mal wieder fündig. Das ist also ein klarer Fall für die WL, danke, Eska!
    btw: könntest du den Autorennamen im Threadtitel korrigieren? Dann findet man die Rezi besser ;-) Ich finde Bauerndick zwar irgendwie auch einleuchtender, doch in echt fehlt das "n" im Namen :wave

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Ich habe dieses Buch gefressen und finde es äußerst liebenswert.
    Bauerdick sagt ja, dass die geographischen und geschichtlichen Ereignisse nicht so stimmen, trotzdem verfitzt er sehr geschickt Reales und Fiktion.
    Ich bin großer Rumänien-Freak und konnte feststellen, dass die Kleinstadt namens "Apoldasch" an der Tirnava in Wirklichkeit Apold an der Trnava ist (spricht man aber so ähnlich). Das als andere Stadt erwähnte Trappold ist einfach nur die deutsche Übersetzung. Ich fand das total spannend, da ich auf verschiedenen Rüstzeiten genau dort war und im Pfarrhaus von Apold Bekannte wohnen- ich bin beim Lesen fast aus den Latschen gekippt :grin.
    Auch die Zusammensetzung zwischen Zigeunern (die sich wirklich als solche bezeichnen, nix mit politisch korrektem Sinti-Roma-Gefasel), Ungarn und Sachsen ist schön dargestellt, obwohl ich nicht weiß, ob das vielleicht früher doch alles ganz anders war. Die Siebenbürger Sachsen gibts ja jetzt kaum noch, wir haben mal mit einem Uralten reden können, das war echt interessant. Die blieben alle glaube ich eher unter sich, was die Konversation und Kommunikation wesentlich schwieriger machte, als im Buch beschrieben, allein schon sprachtechnisch. Was die Freundschaft zum Zuika betrifft, ist das leider, volle Kanne Klischee, nicht ganz unrealistisch.
    Ansonsten schleicht Bauerdick sich geschickt um die politischen Ereignisse drumherum, ohne allzu genau zu sein- so erspart er sich Angriffsfläche und muss nicht jeden kleinen Mist recherchieren. Es ist aber sehr spannend zu sehen, wie die erdachten Personen die "reale" Geschichte beeinflussen, ein bisschen à la Forrest Gump :-)
    Wer schon mal in der Gegend war, kann sich das Dorf und die Wohnstuben super vorstellen, ich fühlte mich total in den Roman hineinversetzt.
    Auch sind die Personen ulkig und gut beschrieben, außerdem verliert das Buch nicht an Dramatik und Spannung- ist irgendwie alles drin.
    Die ganze "Maria-auf-dem-Mond"-Geschichte ist sehr wirr und kommt nicht zum Ergebnis, da muss man als Leser irgendwann feststellen, dass man sich umsonst Gedanken um den ganzen Kram gemacht hat. :gruebel
    aber im Endeffekt wäre der Plot unendlich öde und ein Standard-Thriller, wenn diese abgefahrene Geschichte mit der Muttergottes nicht wäre.
    Im Großen und Ganzen: gutes Buch!


    P.S.:Wer Apold mal sehen möchte, nähere Infos:
    http://rumaenien.projekt-one.de/2007/01/17/apold/

  • Mein Leseeindruck ist geteilt: "Wie die Madonna auf den Mond kam" beginnt furios, läßt im Mittelteil stark nach, um gegen Ende hin wieder Fahrt aufzunehmen. Größter Pluspunkt dieses 515 Seiten starken Romans sind die kauzigen, zärtlich überzeichneten Figuren und ihre Denk- und Handlungsweisen. Der eigentliche Plot ist nicht weiter bemerkenswert, sodaß die ganze Madonna-Mond-Geschichte schon eine ganz gute Ergänzung darstellt.
    Nebenbei wird auch noch einiges an Geschichtlichem mitgeliefert, eingebettet in die Handlung.
    Fazit: kein Lesehighlight, aber doch ein solides, ungewöhnliches Buch mit toller Figurenzeichnung und einem angenehmen Schreibstil.