Hallo zusammen,
ich habe gestern mal überlegt, in was für einer Zeit und Gesellschaft wir eigentlich leben, und inwiefern dies unsere Literatur beeinflusst. Das Mittelalter war zum Beispiel keine Selbstbezeichnung. Die Menschen haben damals nicht geahnt, wie wir heute an den Universitäten von ihnen und ihrer Literatur sprechen würden. Für sie beinhalteten ihre religiös motivierten Schriften die Wahrheit, für uns hingegen sind sie nur noch die Spiegelbilder einer sehr gläubigen Gesellschaft, deren Weltbilder und Deutungsformen, wie zum Beispiel die Naturallegorese, längst überholt sind.
Manch einer ist ja der Meinung, die von vielen Eulen gelesenen Krimis, Thriller, Vampirromane und was es halt sonst noch so gibt, seien keine richtige Literatur. Aber schon die sogenannte Popular Novel aus dem Viktorianischen England hat Einzug in die Literaturgeschichte gefunden. Dadurch, dass die 1870 eingeführte Schulpflicht in England nur vier Jahre umfasste, konnten die meisten Menschen zwar lesen, aber das nicht wirklich gut. Deshalb kamen mit den Popular Novels Bücher auf den Markt, die einfach zu lesen waren und auch von den so genannten "quarter educated", die das Schulsystem hervorgebracht hat, verstanden werden konnten. Die Popular Novel wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der breiten englischen Bevölkerung gelesen und deshalb sollte sie auch in der Literaturgeschichte Beachtung finden. Drei ihrer berühmtesten Vertreter sind zum Beispiel Robert Louis Stevenson, Arthur Conan Doyle und Bram Stoker. Also kann es doch eigentlich nicht sein, dass von vielen Autoren unserer Zeit gesagt wird, dass sie nur Schundliteratur schreiben, die für die Literaturgeschichte nicht relevant sein wird.
Als ich gestern beim Reiten meine Gedanken schweifen ließ :grin, fiel mir außerdem auf, dass sich die Darstellung eigentlich alter Motive aus der Literatur stark verändert hat. Zum Beispiel Vampire: Früher konnten sie bei Tageslicht ihre Behausung nicht verlassen und schliefen in Särgen, während sie heute meistens gutaussehend und reich sind, unerkannt unter Menschen leben und Gedanken lesen können. Und dann habe ich kurz überlegt, ob es vielleicht die Angst vor immer stärker werdenden Überwachung durch andere sein könnte, die diese Darstellung beeinflusst hat?
In Krimis und Thrillern erhält das Schreckliche Einzug in das Leben ganz normaler Menschen. Das war bei der Gothic Novel im 19. Jahrhundert in England auch nicht anders. Der Unterschied ist vielleicht, dass in Krimis und Thrillern durch die Darstellung forensischer Verfahren und oft auch durch die Darlegungung der Motive des Täters am Ende, ein Erklärungsansatz geliefert wird.
Literatur ist ein Spiegel der Gesellschaft, die sie hervorgebracht hat. Sie kann die Ideale und Konventionen einer Gesellschaft aufgreifen und hochhalten, oder sie kritisieren. Ferner erfüllt Literatur Bedürfnisse verschiedener sozialer Gruppen. Und das wirft folgende Fragen auf:
Welche Bedürfnisse erfüllt die Literatur unserer Zeit? Welche Stömungen gibt es? Und welche Werke werden eurer Meinung nach Einzug in den Literaturkanon finden?
Ich würde mich freuen, eure Meinungen zu dem Thema zu lesen :wave.