Lawrence Goldstone: The anatomy of deception / Anatomie der Täuschung

  • Kurzbeschreibung von amazon zur englischen Originalausgabe


    It is Philadelphia, 1889. In the morgue of the city hospital,
    physicians uncover the corpse of a beautiful young woman. What they see
    takes their breath away. Within days, one of the surgeons, Ephraim
    Carroll, strongly suspects that he knows the woman's identity. His
    investigations take him from the bloody and brutal medical world in
    which he practices and into the drawing rooms of Philadelphia's high
    society where he soon learns that nothing - and no one - is what they
    seem. Plunged into a maze of deception and deadly secrets, Carroll is
    forced to choose between exposing a killer, undoing a terrible wrong,
    and, quite possibly, protecting the future of medicine itself. Set in a
    world in which aspirin had not been invented, abortion was illegal, and
    pregnancy could result in agonising death, "The Anatomy of Deception"
    is an intriguing and richly atmospheric blend of history, early
    forensic science and knife-edge suspense.


    ...und zur deutschen Übersetzung


    Philadelphia 1889: Im Seziersaal der Universitätsklinik obduziert eine
    Gruppe von Ärzten unter Leitung des weltberühmten Chirurgen William
    Osler die eingelieferten Toten. Unter ihnen befindet sich die Leiche
    einer bildhübschen jungen Frau, die kaum äußere Verletzungen aufweist.
    Als er Professor bei ihrem Anblick die Obduktion überhastet abbricht,
    fragt sich der junge Dr. Ephraim Carroll, was diese ungewöhnliche
    Reaktion ausgelöst haben könnte. Bei seinen Nachforschungen stellt sich
    heraus, dass die Tote aus einer der vornehmsten Familien der Stadt
    stammt. Als ein Kollege vergiftet wird, ahnt Ephraim, dass er einem
    lebensgefährlichen Geheimnis auf der Spur ist ...


    Autoreninfo (amazon)


    Lawrence Goldstone, geboren 1947, ist freier Journalist und arbeitet
    für bedeutende US-Tageszeitungen. Zusammen mit seiner Frau Nancy hat er
    bereits zwei preisgekrönte Sachbücher veröffentlicht. "Anatomie der
    Täuschung" ist sein erster Kriminalroman.


    Meine Meinung


    Obwohl dieser Roman als Krimi, bzw Thriller bezeichnet wird und auch Elemente der Kriminalliteratur eine wichtige Rolle spielen, sehe ich ihn hauptsächlich als (medizin)historischen Roman.
    Wie aus den beiden Inhaltsangaben zu entnehmen, betätigt sich der junge Arzt Ephraim Carroll, der als Ich-Erzähler auftritt, im Philadelphia des Jahres 1889 als Detektiv, als zunächst eine für die Sektion vorgesehene Frauenleiche unerklärlicherweise beiseitegeschafft wird und kurz darauf ein recht dubioser Kollege vergiftet wird. Der Leser begleitet den Protagonisten sowohl in die Kreise der vornehmsten Familien Philadelphias als auch ins Künstler - und Rotlichtmilieu. Mehr als einmal gerät Carroll in brenzlige Situationen, so dass durchaus Spannung aufkommt. Trotzdem liegt meinem persönlichen Empfinden nach das Hauptaugenmerk des Autors auf der Darstellung einer Epoche, in der die Medizin an der Schwelle zu entscheidenden Durchbrüchen auf verschiedensten Gebieten stand. Die Geschichte der fiktiven Figuren ist eng verwoben mit den Biographien der historischen Gestalten, besonders Dr William Osler (1849 - 1919) und Dr William Halstedt (1852 - 1922).
    Die Handlung des Romans hält sich weitgehend an die historischen Fakten, über dichterische Freiheiten informiert der Autor in einem Nachwort.
    Sprachlich ist dieses Buch ein Meisterwerk: das gepflegte Englisch des Ich-Erzählers wirkt äußerst authentisch, man glaubt sich wirklich Ende des 19.Jahrhunderts wiederzufinden. Auch was die medizinische Fachsprache betrifft, so hat der Autor offenbar bestens recherchiert, seine Beschreibungen von Sektionen, Operationen und Exhumierung machen einen sehr professionellen Eindruck. Inwieweit der Sprachstil in der deutschen Übersetzung gewahrt bleibt, kann ich nicht beurteilen.


    Neben der spannenden Unterhaltung, die "The anatomy of deception" den an Medizingeschichte interessierten Lesern bietet, wirft das Buch auch eine ethische Frage nach dem "greater good" auf : ist es moralisch vertretbar, im Interesse des Fortschritts und zum Wohl vieler Menschen das Leben Einzelner zu opfern?


    Für mich als begeisterten Leser medizingeschichtlicher Bücher gehört dieses Buch zu den Lesehighlights des Jahres.

  • Zitat

    wegen der eher schlechten Rezis


    Schlechte Rezis kann ich mir nur von Leuten vorstellen, die


    1. einen blutigen Thriller erwartet haben. Das ist dieses Buch sicherlich nicht.
    2. kein Interesse an Medizingeschichte mitbringen.
    3. zu früh aufgegeben haben: Man muss sich erstmal einlesen, da die ersten ca 20 Seiten, auf denen Carrolls Kollegen vorgestellt werden, ein bisschen zäh sind.

  • Bei mir ist das Buch aus mehreren Gründen auf fruchtbaren Boden gefallen.


    Zum einen lese ich gerne wissenschaftshistorische Romane- insbesondere Medizingeschichte. Da ich im Erstberuf Kinderkrankenschwester bin, hatte ich auch mit den eingestreuten medizinischen Fachbegriffen kein Problem (wobei sich diese nach der Autopsie-Szene ganz am Anfang in Grenzen halten- davon sollte man sich also nicht abschrecken lassen).
    Zum anderen bevorzuge ich Bücher mit einem etwas langsameren Erzähltempo.


    Insofern wurde ich bestens bedient. Zumal auch die Atmosphäre eigentlich sehr stimmig war.


    Was mich allerdings gestört hat (aber das mag an der Übersetzung liegen), waren bestimmt Wörter, die nicht in die Zeit passen wollten, z.B. "nö" oder auch "Peanuts" als Ausdruck für einen Geldbetrag.


    Insgesamt hat mir das Buch allerdings gefallen.

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Ich hab das Buch bei den Taschenbuchtagen entdeckt und dachte, nehms mal mit. Ich mag Medizingeschichte und Medizin im allgemeinen und natürlich gute Krimis. Das ist also die perfekte Mischung. Und ich muss sagen, lehrreich war es auch noch.


    Die ersten 200 Seiten dachte ich ja noch, der Ephraim streift da ziellos durch die Gegend und jagt einem Hingespinst hinterher, dazu die ganzen medzinischen Erklärungen, wo bleibt der Krimi? Der stand in der Tat nicht im Vordergrund, wie ich fand, aber im Endeffekt hat es dem Lesevergnügen keinen Abbruch getan.


    Viel spannender waren die Beschreibungen von Operationen, Obduktionen und Medikation. Wenn man bedenkt, dass das alles nur 120 Jahre her ist und was damals alles an Fortschritt passiert ist und wo wir uns heute befinden, wahnsinn. Diese Leute haben den Grundstein gelegt und wurden dennoch belächelt.


    Interessant fand ich die Beschreibung von Halsteds Abhängigkeit, aber auch dasd da scheinbar noch jeder im OP machen konnte was er wollte. Burleigh z.B. oder der Typ der im Op raucht. Auch interessant ist, wie viele für uns heute undenkbare Abläufe, wie das Händewaschen und tragen von Handschuhehn und OP-Kittel durch Zufall erfunden wurde und man sich damals dafür rechtfertigen musste, wenn man sich die Hände gewaschen hat, bevor man wieder einen neuen Patienten berührt hat. Krass fand ich, wie der Profess mit der blossen Hand in den Toten rumwühlt.


    Zwar wußte ich das Meiste davon, einfach weil ich das mal lernen musste, aber das jetzt so lebendig zu erleben, ist schon was anderes.


    Auch das Bild der Frauen fand ich interessant gezeichnet. Auf der einen Seite haben die Mädchen gemacht was sie wollten, auf der anderen Seite wurden bestimmte Erwartungen an sie geknüpft. Unglaublich, dass man vor nicht allzu langer eit noch dafür kämpfen musste auf die Uni gehen zu dürfen. Gut dass diese Leute den Mut hatten, für ihre Ziele zu kämpfen, wer weiß wo wir sonst heute wären.


    Von mir jedenfalls 8 Punkte.