Letzte Nacht in Twisted River - John Irving

  • Nach zwei Lesenächten habe ich nun auch "Letzte Nacht in Twisted River" beendet.


    Trotz einiger Längen und den altbekannten Wiederholungen beweist Irving mit diesem Roman doch wieder seine "phantasievolle" Erzählkunst.
    In Twisted River beginnt die Geschichte von Danny und seinem Vater Dominic und dort soll sie nach über 50 Jahren voller Liebe, Freundschaft, Leidenschaft und Angst auch enden.


    Insgesamt hat mich der neue Irving nicht fesseln können, aber gelangweilt war ich auch nicht.

  • Meinen Leseeindruck zu diesem Irving-Roman müßte ich eigentlich zweiteilen. Nachdem ich vor einigen Monaten etwa bei der Hälfte abgebrochen hatte, habe ich nun bis zum Ende "durchgehalten", wobei ich für die erste Hälfte 2 Wochen brauchte - und für die 2. Hälfte eine Nacht und einen halben Vormittag.


    Anfangs war mir vieles zu langatmig, zu detailliert, zu weitschweifig und redundant, ab der Mitte jedoch wurde es richtig fesselnd und typisch Irving, was viele kleinere und größere Stilmittel und Sequenzen betrifft.


    Tolle Figurenzeichnung, klasse ausformuliert, aber inhaltlich immer wieder etwas ermüdend, so ließe sich ein Fazit ziehen. Ich habe "Letzte Nacht in Twisted River" ganz gerne gelesen, bin aber überzeugt davon, daß bei einer gezielten Straffung und Kürzung ein weit besserer Roman herausgekommen wäre.
    7 Punkte

  • Als das Taschenbuch erschien, habe ich's dann doch bestellt, schließlich besitze ich alle bisher veröffentlichten Bücher von John Irving. "Letzte Nacht in Twisted River" stand bis vor drei Wochen in meinem RUB, und vermutlich war es der herbstlichen Melancholie geschuldet, dass ich danach griff, statt mit David Brins "Existenz" dieses ziemlich SF-lastige Lesejahr fortzusetzen.


    Ebenso lange habe ich gezögert, ob ich eine Rezension schreiben soll oder doch nicht. Ich habe mich letztlich dagegen entschieden, eine zu verfassen, sondern dafür, den Versuch zu unternehmen, mein ganz persönliches Lesegefühl wiederzugeben.


    "Früher" war ich ein Fan von John Irving. Ich liebte "Die wilde Geschichte vom Wassertrinker" und "Garp", ich mochte "Owen Meany", "Gottes Werk und Teufels Beitrag", "Das Hotel New Hampshire" ganz außerordentlich, sogar "Eine Mittelgewichts-Ehe" oder "Lasst die Bären los!". Irgendwann aber gab sich das - "Zirkuskind", "Die vierte Hand" und "Witwe für ein Jahr" ermüdeten mich, und "Bis ich dich finde" hat mich schlicht genervt. Das ging so weit, dass ich nicht mehr verstand, was ich früher an Irving gemocht hatte. Die neueren Bücher kamen mir unendlich langatmig, nachgerade zerdehnt vor, die Themen empfand ich als aufgesetzt, und auch Irvings Stil schien sich gegen ihn zu wenden. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge nahm ich vorläufig Abschied von diesem Autor - der mich, wie mir erst jetzt, bei der Lektüre von "Letzte Nacht in Twisted River", bewusst wurde, tatsächlich ganz enorm beeinflusst hat.


    Und das war schon ein komisches Gefühl.


    Über den Inhalt muss und werde ich hier nicht viel sagen - das Buch umfasst fünf Jahrzehnte, seine Hauptfiguren sind ein Witwer, dessen Sohn und ein Familienfreund, seines Zeichens Holzfäller. Der Roman beginnt in den Fünfzigern in einem Holzfällerlager und endet im neuen Jahrtausend. Einen zentralen Konflikt gibt es nicht, denn das, was die Figuren letztlich dazu trieb, zu tun, was sie später eben tun, war zwar eine folgenschwere, konfliktträchtige Situation, die auch erst gegen Ende aufgelöst wird, aber diese stellt nur den äußeren Anlass dar. Irvings Romane sind keine, über die sich ein simpler Spannungsbogen zerren lässt; es umgibt sie keine Klammer, innerhalb derer sich die Auflösung für etwas findet, das am Anfang postuliert wird. Er erzählt Familien- und Zeitgeschichte, detailreich und sogar -verliebt, und dass dabei so manches geschieht und/oder erzählt wird, das auch am Ende nicht so recht zum sich einfügenden Puzzleteil werden will, liegt in der Natur der Sache. Irving schreibt über Leute, und er macht das mit großer, akribischer Hingabe. Themen gibt es zweifelsohne auch, und natürlich die altbewährten Irving-Dreingaben: Bären. Das Ringen. New Hampshire. Eine Prise Iowa. Etwas Politik (sogar ziemlich viel). Lust. Liebe. Familie. Freundschaft. Loyalität. Einsamkeit. Schriftstellerei. Den abermaligen Versuch, das Wort "Patriotismus" zu definieren.


    Die Lektüre war ein bisschen wie Nachhausekommen. Großer Gott, da gibt es einen Autor, der schon seit Jahrzehnten noch mehr Kursive benutzt als ich - habe ich mir das möglicherweise damals bei Irving abgeguckt? Und die vielen Wiederholungen? Die zahlreichen Semikolons? Gut möglich.


    Jedenfalls fühlte ich mich plötzlich wieder wie jener knapp Fünfundzwanzigjährige, der "Die wilde Geschichte vom Wassertrinker" liest - und dabei den abgedrehten Wunsch verspürt, mit John Irving verwandt oder wenigstens befreundet zu sein. Ein Rezensent schrieb zum letzten Irving-Roman ("In einer Person") sinngemäß, dass es ein Irving-Universum gäbe, auf das man sich einlassen müsse, und dass diesem Universum der Autor, seine Leser und die Figuren der Romane angehören. Genau so ist es. Irving ist kein beeindruckender Stilist, vielleicht nicht einmal ein "großer" Erzähler, denn er bewegt sich auf ganz eigene Art abseits dieser Kategorien - John Irving spricht mit seinen Büchern Einladungen aus, denen man folgt oder auch nicht. Was dann während der Lektüre geschieht, hängt deshalb auch sehr davon ab, in welcher Stimmung man war, als man die Einladung angenommen hat. Das trifft es nicht im Kern, kommt dem aber schon sehr nahe. Was ich sagen will: Gut denkbar, dass mich die vorigen Romane vor allem deshalb genervt haben, weil ich die Einladung zum fraglichen Zeitpunkt besser abgelehnt hätte.


    "Letzte Nacht in Twisted River" hat zweifelsohne viele Schwächen, müht sich oft damit ab, originelle Elemente zu finden und, vor allem, zu begründen, die eben die Irving-Welt ausmachen - manch eine Nebenfigur, manch ein Handlungsstrang erlangt allerdings auch beim besten Willen bis zum Ende nicht die geringste nachvollziehbare Bedeutung. Anderen - etwa der zunächst nur in einer kurzen Episode auftauchenden (bzw. vom Himmel fallenden) "Lady Sky" - versucht Irving, um jeden Preis etwas Bedeutungsschwangeres anzudichten, ohne dass dies gelänge. Geschenkt. Es ist wie bei einer abenteuerlichen, langen Reise, nach der man feststellt, dass sie Spaß gemacht hat, aber auch zuweilen anstrengend war: Unterm Strich war's schön, auch wenn nicht jeder Flug pünktlich ging und nicht jedes Hotel seine Sternewertung verdient hatte.


    Und genau so ist das beim Irving-Lesen, was mich eben überaus gefreut hat. Der Mann hat es nicht nötig, seine Schreibe unserer Welt anzupassen. Er macht es einfach umgekehrt.

  • Titel: Letzte Nacht in Twisted River
    OT: Last Night In Twisted River
    Autor: John Irving
    Übersetzt aus dem Amerikanischen von: Hans M. Herzog
    Verlag: Diogenes
    Erschienen als TB: Februar 2012
    Seitenzahl: 736
    ISBN-10: 3257240996
    ISBN-13: 978-3257240993
    Preis: 13.90 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    1954 in einem Flößer- und Holzfällercamp in den Wäldern von New Hampshire: Der 12-jährige Danny verwechselt im Dunkeln die Geliebte des Dorfpolizisten mit einem Bären, mit tödlichen Folgen. Der Junge muss mit seinem Vater Dominic, dem Koch des Camps, fliehen zuerst nach Boston und von dort weiter nach Vermont und Iowa und schließlich nach Kanada, verfolgt von einem Rächer, der auch nach Jahrzehnten nicht vergisst.


    Der Autor:
    John (Winslow) Irving, geboren am 2. März 1942 in Exeter, im Staat New Hampshire, als ältestes von vier Kindern. John Irvings Vater war Lehrer und Spezialist für russische Geschichte und Literatur. Seine Kindheit verbrachte Irving in Neuengland. 1957 begann er mit dem Ringen; 19jährig wusste Irving, was er werden wollte: Ringer und Romancier. Studium der englischen Literatur an den Universitäten von New Hampshire und Iowa, wo er später Gastdozent des Schriftsteller-Workshops war. Deutschkurs in Harvard. 1963-1964 Aufenthalt in Wien. 1964 Rückkehr in die Vereinigten Staaten. Arbeit als Lehrer an Schule und Universität bis 1979. Lebt heute in Toronto und im südlichen Vermont.


    Meine Meinung:
    John Irving ist in meinen Augen ein genialer Erzähler. Das stellt er auch mit diesem Roman wieder eindrucksvoll unter Beweis. Man kann einfach nur über diese unglaubliche Ideenvielfalt staunen. Kaum ein anderer Schriftsteller beweist diesen Facettenreichtum, diesen Reichtum an unglaublichen erzählerischen Einfällen.


    Und auch das vorliegende Buch ist wieder ein Meisterwerk aus der Feder von John Irving. Die Geschichte die er erzählt, ist beeindruckend, sie ist unglaublich vielschichtig und seine handelnden Personen sind manchmal skurril, wirken dabei aber nicht lächerlich oder komisch, sondern zutiefst menschlich.


    Der Leser trifft in den Büchern von John Irving keine Super- oder Übermenschen. Er (der Leser – womit natürlich und selbstredend auch die verehrte Leserin gemeint ist) trifft Menschen die alle eine Last zu tragen, mal schwer, mal nicht so schwer, Menschen die mit Missverständnissen leben, man trifft Menschen die eine Schuld auf sich geladen haben und nun mit dieser Schuld zurechtkommen müssen, Menschen die ohne Wenn und Aber lieben und die oftmals diese Liebe durch eigene Schuld zerstören oder erfahren müssen, dass es für diese Liebe keine Zukunft gibt.


    Und es sind Geschichten vom Abschiednehmen. Irgendwie – und das macht John Irving sehr deutlich, nimmt man auf die eine oder andere Art immer von irgendjemand oder von irgendetwas Abschied. Und oftmals bleibt nur der traurige und sehnsuchtsvolle Blick zurück, denn die Zukunft ist nur sehr selten strahlend und auch nur sehr selten ein erstrebenswertes Versprechen.


    So vielschichtig wie die Geschichten – so vielschichtig sind auch die handelnden Personen in den Romanen John Irving – und einige dieser Menschen treffen wir eben auch in „Letzte Nacht in Twisted River“.
    Es ist ein melancholisches Buch, es ist kein optimistisches Buch – es ist ein Buch, das den Beweis liefert, dass die nicht so schönen und „gleichgültigen“ Momente im Leben wohl überwiegen.


    Ein wunderbares - ich möchte sogar sagen ein geniales Buch – unbedingt lesenswert. 10 Eulenpunkte.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.