Kent Anderson - Night Dogs

  • Auf Wunsch der Moderatoren stelle ich "Night Dogs" hier noch mal in einem eigenen Thread ein, damit man den Titel auch im Verzeichnis findet. Empfehlenswert ist es, "Sympathy for the Devil" zuerst zu lesen.



    Portland, Oregon, Mitte der 1970er Jahre. Hanson hat den Krieg in Vietnam überlebt. Um auch nach dem Krieg zu "überleben" und nicht in Alkohol, Drogen und Gewalt abzurutschen, wie viele Vietnam-Veteranen, ist er Polizist geworden. Als Streifenpolizist hat er einen strukturierten Tagesablauf, mit seinem Partner Dana fährt er die Abendschicht in einem der schlechteren Viertel von Portland. Wenn Straftäter gelegentlich mit körperlichem Einsatz gefasst und überwältigt werden müssen, ergeben sich für einen Adrenalin-Junkie mehr Möglichkeiten aufgestaute Energie rauszulassen als bei einem Bürojob. Hanson mag seine Arbeit und macht sie gut, zum Tagesausklang trifft er sich meist mit anderen Polizisten in einer Bar und fährt oft betrunken nach Hause.


    Wie auch "Sympathy for the Devil" besteht "Night Dogs" aus einer Aneinanderreihung von episodenhaften Szenen, inklusive Rückblenden nach Vietnam, die Hansons Leben ausmachen, seinen Tagesablauf als Polizist und sein Privatleben.


    Die titelgebenden Night Dogs sind streunende wilde Hunde, teilweise aggressiv, einige haben Tollwut. Jedes Jahr im Juni ist für einige Wochen "Jagdsaison", die Polizeistreifen haben einen Wettbewerb daraus gemacht, wer die meisten "erlegt".


    Zu Beginn von "Night Dogs" finden Hanson und Dana einen in seiner Wohnung gestorbenen alleinstehenden Rentner. Er hatte einen kleinen Hund, Truman. Da auch dieser schon ziemlich alt und blind ist, nimmt Hanson ihn zu sich, statt ihn ins Tierheim zu geben. Für Hanson wird Truman zu einer Bezugsperson, jemand mit dem er reden kann, wenn er nachts betrunken nach Hause kommt, meist erzählt er ihm von Vietnam, manchmal holt er eine Schachtel mit Erinnerungsstücken, Fotos, Medaillen hervor. Als Truman ihm eines Nachts nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt, fragt Hanson: "Hey, hörst Du mir überhaupt zu, oder bist du nicht nur blind, sondern auch noch taub geworden?"


    Truman als Bezugsperson ist der Gegenpol zu den "wilden Hunden", den Night Dogs, aber die Night Dogs sieht Hanson auch als Metapher für sich und andere ehemalige Soldaten, bei einem vielleicht nur minimalen Auslöser aggressiv und gewalttätig, kaum lebensfähig unter der "normalen" Bevölkerung. Hanson ist sich dessen sehr bewusst, dass er nicht mehr "normal" ist, vielleicht auch nie mehr "normal" sein wird, nur wenige Jahre nach dem Krieg ist es zu früh, dies zu beurteilen, Gedanken an Selbstmord kommen immer wieder vor, noch hat er aber die Kraft zu leben.


    Im Dienst hat er oft mit Obdachlosen, Alkoholikern, Junkies - darunter auch Vietnam-Veteranen - zu tun, er hat normalerweise viel Geduld mit ihnen, denn das könnte unter anderen Umstanden ja auch er selber sein. Gleichzeitig fühlt er aber auch Verachtung gegenüber "berufsmäßigen Kriegsveteranen und Opfer-Typen". Wenn er sein Leben zusammenhalten und einen Job ausführen kann, warum können sie das nicht. Eines Nachts trifft er dienstlich einen Veteranen, weil sich die Nachbarn über diesen beschwert hatten, einige Wochen später trifft er ihn wieder, weil dieser suicide by cop begeht.


    Durch einige Situationen hervorgerufen, gerät aber auch Hansons Leben allmählich aus den Fugen.


    Dass die dargestellte Entfremdung nicht nur Thema eines Einzelnen, einer einzelnen Generation von Soldaten ist, zeigt sich daran, dass sich die gleichen Mechanismen mit Rückkehrern aus dem Irak, aus Afghanistan wiederholen, aber ebenso bereits aus den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts bekannt sind, nur nicht so dokumentiert und benannt wurden. Die gleichen Mechanismen gab es vielleicht durch alle Kriege, zurück bis in die Antike, im Anschluss an "Sympathy for the Devil" und "Night Dogs" habe ich Achill in Vietnam. Kampftrauma und Persönlichkeitsverlust von Jonathan Shay gelesen, auch sehr empfehlenswert.


    "Sympathy for the Devil" und "Night Dogs" habe ich direkt nacheinander an einem Wochenende gelesen.




    Der Autor


    Kent Anderson, geboren 1946, war Soldat in Vietnam, später Polizist in Portland und Kalifornien und danach Hochschullehrer für Literatur. "Sympathy for the Devil" war 1986 sein erster Roman, 1996 folgte "Night Dogs", außerdem hat er Kurzgeschichten und Drehbücher geschrieben.



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  • Links zum Thema


    [URL=http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,564996,00.html]Vom Helden zum Wrack[/URL]


    [URL=http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,446469,00.html]Die Zeitbombe[/URL]


    [URL=http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,605186,00.html]Zahl deutscher Soldaten mit Trauma steigt dramatisch[/URL]



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