Die Tiere des Waldes leiden unter dem Sheriff. Er hat nämlich ein Gewehr und schießt auf alles, was ihm unter die Nase kommt. Bei einem seiner Pirschgänge aber gibt es einen Unfall. Unschuldiger Auslöser des Unfalls war Häschen. Nun ist der Sheriff tot und Häschen ein Held. Allerdings stellt sich bald heraus, daß der Sheriff gar nicht tot ist. In kürzester Zeit werden aus den Freudengesängen der Tiere klägliche Jammerlieder und aus dem Helden Häschen der Feind der bis dahin friedlichen Gemeinschaft. ‚Häschen muß weg’, sagen die Ängstlichen, ‚ehe der Sheriff uns alle abschlachtet.’
Häschen findet jedoch Unterstützer und in kürzester Zeit gibt es im Wald eine regelrechte Häschen-Partisanen-Gruppe. Der Konflikt reicht tief, Ausgestoßene kämpfen gegen Gruppenmitglieder, Freundschaften zerbrechen, sogar Familien. Am Ende löst sich das Problem mit dem Sheriff, der Bruch mitten durch der Gemeinschaft aber läßt sich nicht kitten.
Die Geschichte über Heldentum und Feigheit und wie eng diese beiden Vorstellungen miteinander verknüpft sind, hätte durchaus reizvoll sein können. Leider ist sie überhaupt nicht gelungen. Sie ist weder richtig durchdacht noch durchgearbeitet. Sie umfaßt gut 140 Seiten und enthält so ziemlich alles, was eine gute Geschichte nicht enthalten soll. Es treten viel zu viele Personen mit viel zu drolligen Namen auf, der Name ‚Häs-chen’ für den Helden ist Programm. Es werden mindestens vier Möglichkeiten angerissen, die Geschichte zu erzählen, ausgeführt wird nicht eine einzige. Dafür folgt die Autorin lustvoll jedem Nebenpfad, je weiter dieser von der eigentlichen Geschichte wegführt, desto größer scheint ihre Begeisterung. Personen, die eine eher geringe Rolle spielen, werden mit ausführlichen Lebensläufen ausgestattet, Inneneinrichtungen, Speisen, Spiele breit dargestellt, Hauptsache, es bringt die eigentliche Handlung nicht voran. Möglicherweise verbirgt sich dahinter die Vorstellung, auf diese Weise ältere Erzähltraditionen wiederzubeleben, mit sog. Abschweifungen zu schmücken, ohne zu beachten, daß die Abschweifung ein raffiniertes Stilmittel ist, das gekonnt eingesetzt werden muß. Von dem Spiel mit Leitmotiv und zu- bzw. untergeordneten Motiven, vom Ausnützen des Spannungsverhältnisses zwischen unterschiedlichen Gewichten ist dieser Text weit entfernt. Er ist unseligerweise vor allem eins: geschwätzig.
Am besten gelungen sind diejenigen Abschnitte, die dem Umkippen der Stimmung gelten. Die Beschreibungen, wie die ersten Ängste aufkommen, wie sich die, die den Helden gefeiert haben, auf einmal zurückziehen, und wie grausam ihre Reaktion für Häschen ist, fesseln die Aufmerksamkeit der Leserin tatsächlich. Für kurze Zeit aber nur, dann versinkt alles im nächsten Schwall von Worten.
Sprachlich-stilistisch wurde mit wenig Sorgfalt gearbeitet, auffällig sind neben Ausflügen in die gesprochene Sprache die unerwartete Verwendung hochsprachlicher bis altmodischer Ausdrücke und die im Verlauf der Erzählung häufiger werdenden Verniedlichungen. Das spiegelt die Uneinheitlichkeit des Konzepts nur zu deutlich wieder. Immer häufiger wird zudem der pädagogische Zeigefinger gehoben und zugleich die Kuscheldecke geboten.
Zusammengenommen ergibt das streckenweise einen geradezu herablassenden Ton, eine Erwachsene träufelt voller Bewußtsein ihrer erzieherischen Mission Neckisches in Kinderohren. Hier erweist es sich dann auch endgültig als Nachteil, daß die kindliche Zielgruppe nicht klar definiert wurde. Die Erzählstimme wendet sich an verspielte Vierjährige, während der eigentliche Konflikt jüngere Kinder überfordert oder sogar in Angst versetzen kann. Das Ende, das den Bruch nicht nur mit der alten Gruppe bringt, ist auf jeden Fall ungeeignet für jüngere Kinder. Ältere wiederum werden sich an dem freundlich-tantenhaften Plauderton stören, der das Ganze immer süßlicher durchtränkt und nicht selten stracks in den Kitsch segeln läßt.
Kitschfrei sind die Zeichnungen von Aljoscha Blau, sie wirken allerdings immer wieder seltsam unbestimmt, hin - und hergerissen zwischen einer eigenen, durchaus satirisch anzusehenden Welt und der handelsüblichen Niedlichkeit des herkömmlichen Kleinkinderbuchs.
Höchst fragwürdig ist das Ende, das die Autorin für diesen seltsamen Mischmasch gewählt hat. Die Mutigen lernen, daß sich mutig sein nicht lohnt, denn es wird mit schmerzlichem Verlust bestraft. Die Feigen lernen, daß man die, die man als Störenfriede ausgemacht hat, nur lange genug piesacken muß, damit man am Ende wieder seine Ruhe hat.
Was für eine zeitgemäße Botschaft in einem Kinderbuch zu Anfang des 21. Jahrhunderts.