"Elena weiß Bescheid" von Claudia Pineiro

  • Kurzbeschreibung:
    Jede glaubt, sie habe sich für die andere geopfert. Nun kommt die Stunde der Wahrheit. Die Tochter wird tot aufgefunden, erhängt im Glockenturm der Kirche. Doch Elena, die Mutter, kann oder will nicht glauben, dass Rita sich das Leben genommen hat. Für die alte Dame gibt es nur eine Möglichkeit, hinter das Geheimnis um Ritas Tod zu kommen: Sie muss mit einer Frau sprechen, der sie und ihre Tochter vor zwanzig Jahren geholfen haben. Dafür muss Elena ins Stadtzentrum fahren – ein schwieriges und riskantes Unterfangen für jemanden, der an Parkinson in fortgeschrittenem Stadium leidet. Wenn die Wirkung ihres Medikaments endet, wird sie wieder in bewegungsloser Starre versinken. Am Ende muss Elena eine Wahrheit erfahren, mit der sie nicht gerechnet hat.


    Über die Autorin:
    Claudia Piñeiro, Shootingstar der argentinischen Literatur, wurde 1960 in Buenos Aires geboren. Nach dem Wirtschaftsstudium wandte sie sich dem Schreiben zu, arbeitete als Journalistin, schrieb Theaterstücke, Kinder- und Jugendbücher und führte Regie fürs Fernsehen. Ihr Debütroman »Ganz die Deine« kam 2003 in die Endauswahl für den Premio Planeta, und für ihren zweiten Roman »Las viudas de los jueves« erhielt sie 2005 den Premio Clarín. Ihre Romane sind auf den Bestsellerlisten zu finden und werden in mehrere Sprachen übersetzt und verfilmt.
    Sie repräsentiert auch den Ehrengast der Buchmesse 2010: Argentinien.


    Auszug aus einem Interview mit der Autorin, das ich sehr interessant fand:
    http://www.unionsverlag.com/info/link.asp?title_id=2511&link_id=8046


    Meine Meinung:


    Also los, den rechten Fuß heben, nur ein paar Zentimeter, nach vorne bewegen, ein kleines oder großes Stück weit, gerade so, dass er sich am linken vorbeischiebt, und dann wieder aufsetzen. Das ist alles, denkt Elena. Aber sie denkt, und ihr Gehirn befiehlt: Bewegen!, und trotzdem tut sich nichts. Der rechte Fuß rührt sich nicht.


    Elena hat Parkinson. Nur wenn das Levodopa in ihrem Blut kreist, kann sie sich langsam rühren, kann sie langsam die Straße entlang schlurfen. Jede Bewegung – einen Arm in den Jackenärmel schieben - jeder Schritt bedeutet für sie einen immensen Kraftakt. Sie sabbert und von der Welt sieht sie schon lange nur noch den Boden, denn die Krankheit hat ihren Halsmuskel befallen und lässt nicht zu, dass sie den Kopf heben und den Leuten ins Gesicht blicken kann. Doch Elena ist eine Kämpferin und so stoisch wie sie mit den Grenzen umgeht, die ihre Krankheit ihr aufzwingt, so eisern hält sie daran fest, dass der Selbstmord ihrer Tochter Rita in Wahrheit ein Mord gewesen ist.


    Sie hat nicht viel, was diesen Verdacht stützt: Das Wissen einer Mutter, deren Tochter bei Regen niemals in die Kirche gegangen wäre, da sie seit Kindheit eine Todesangst vor Gewittern hatte und Kirchen für Blitzableiter hielt. Der Kommissar empfängt Elena geduldig einmal die Woche, er wurde extra dazu angewiesen, nett zu ihr zu sein, aber helfen kann er ihr nicht. Und Elena durchschaut das Theater schnell. Sie weiß: Wenn sie Ritas Mörder finden will, braucht sie einen Körper. Einen gesunden Körper, der für sie umherlaufen und Erkundigungen einholen kann. Und sie weiß auch, wenn sie fragen muss: Isabell, die Rita vor 20 Jahren vor einem großen Fehler bewahrt hat. Und so macht sich Elena grimmig entschlossen auf den langen Weg ans andere Ende der Stadt.


    Claudia Pineiro hat ein dichtes, zupackendes Buch geschrieben, das mich von der ersten Seite an eingefangen hat. Elenas galliger Humor, ihre grimmige Entschlossenheit und ihr stoischer Umgang mit der Krankheit haben mich sofort für sie eingenommen - und meine Aufmerksamkeit auch mal wieder auf die kleinen Bewegungen gelenkt, die mein Körper tagtäglich unbeachtet ausführt.


    Auf den ersten Blick scheinen sich Elena und Rita nicht nahe zu stehen. Sie teilen sich eine Wohnung, die 40-jährige Rita pflegt ihre Mutter und hat einen „Looser-Freund“, den Elena offen ablehnt und über den sie sich abfällig äußert, die beiden streiten oft, gehen sich auf die Nerven, verletzen sich mit großem Ingrimm – und doch erzählt „Elena weiß Bescheid“ für mich auch die Geschichte einer Liebe zwischen Mutter und Tochter, die sich vor allem in den kleinen Gesten offenbart. Darin wie verbissen Rita für ihre kranke Mutter kämpft, wie sie ihren körperlichen Zerfall nicht erträgt– und darin, dass sie vor der Zukunft dieser Krankheit kapituliert.


    "Elena weiß Bescheid" von Claudia Pineiro ist ein dünnes, aber wuchtiges Buch, das noch eine Weile nachhallt. Ich freu mich schon auf die anderen Bücher der Autorin!


    Liebe Grüße
    Lille

  • Elena weiß Bescheid ist ein dünnes, aber dichtes Buch, und es endet anders, als man lange Zeit erwartet. Elena, die mit einer schrecklicklichen Krankheit kämpft, tut einem nicht unbedingt leid, obwohl man mit ihr fühlt, sie ist keine überaus sympathische und auch keine herzliche Frau und scheint ihrer Tochter Rita nicht sonderlich nahe gestanden zu haben. Und doch versteht es die Autorin, dem Leser die Qual, die Elena sich aussetzt, nachvollziehbar zu machen. Man geht den Weg mit Elena, man wird gepackt und möchte wissen, ob sie ihr Ziel erreicht. Und was sie am Ziel vorfinden wird.
    Mich hat besonders beeindruckt, wie genau die Autorin die Krankheit beschreibt.

  • Eigentlich liegt dieses Buch außerhalb meines Beuteschemas, da es mir aber auf Arbeit spontan in die Hände fiel, mir sowohl Rückentext als auch Cover sehr zusagten, habe ich es doch mitgenommen. Rückblickend war dies eine sehr gute Entscheidung gewesen.


    Zusammen mit Elena begibt man sich auf den Weg durch die Stadt zu der Frau, von der sie sich die nötige Hilfe verspricht. Denn bei dem Tod ihrer Tochter Rita kann es sich unmöglich um einen Selbstmord gehandelt haben. Schließlich weiß Elena Bescheid.
    Mittels Rückblenden lernt man dann auch Rita kennen und welche Beziehung sie zu ihrer Mutter hatte sowie was vor bzw. nach dem vermeintlichen Freitod geschehen ist.


    Es fiel mir schwer für die beiden Hauptprotagonisten Sympathie zu entwickeln. Allerdings finde ich es auch verkürzt, wenn man sie nur danach beurteilen würde. Im Grunde sind es zwei schwierige Personen und dementsprechend gestaltet sich auch ihre Beziehung zueinander, und das nicht erst seit Elenas Erkrankung.
    Vordergründig habe ich für beide Charaktere Respekt empfunden: dafür wie Elena mit ihrer Krankheit umgeht, für die Hartnäckigkeit mit der sie ihren Plan verfolgt die Frau aufzusuchen und für Rita in Bezug darauf wie sie sich um ihre Mutter kümmert.


    Oben hab ich bereits erwähnt, dass mir das Cover sehr gut gefällt, das trifft ebenso auf den Titel zu, der in meinen Augen perfekt zu diesem Buch passt. Für mich knüpft sich daran auch die Frage, wie viel kann man wissen, wenn man in seinem eigenen Denken „gefangen“ ist.


    Am Ende möchte ich noch kurz zwei Punkte ansprechen, die mir nicht ganz so gefallen haben. Zum einen fand ich die eine oder andere Wiederholung müßig, z.B. wenn es darum geht, dass Elenas Zeit sich nicht nach Stunden, sondern nach der Einnahme ihrer Medikamente richtet. Zum anderen hätte ich mir gewünscht, dass näher beschrieben wird warum sich die Mutter-Tochter-Beziehung derart schwierig gestaltet wie sie ist.


    Unterm Strich ist es ein Buch, das mich sehr berührt hat, das mir die ein oder andere Träne in die Augen getrieben hat und welches ich nur weiter empfehlen kann.
    Dafür gibt’s 8 von 10 Punkten.