Klappentext:
.....herrlich subjektiv, stolz und wehrhaft, witzig und aggressiv, überzeugend in jeder Zeile. Tilla Durieux schrieb wie sie spielte, knapp und präzise.
Die Autorin ---->KLICK
Eigene Meinung:
Ein spezielles Lesevergnügen sind für mich halt immer wieder die Autobiografien der grossen alten Damen und Diven und auch der männlichen Grössen selbstverständlich (nur dünkt es mich, die waren etwas zurückhaltender in Sachen Autobiografien, da sind dann eher Biografien zu finden) des deutschspachigen Theaters und des Films.
Sie lassen längst vergangenen Zeiten wieder aufleben, jene Glanzzeiten des Theaters mit all den grosse Namen wie Max Reinhardt, Erwin Piscator, Boreslaw Barlog, Leopold Jessner, Bert Brecht und wie sie alle hiessen. Theaterschaffende, die mit enormer Risikobereitschaft und mit schier unerschöpflichem Ideenreichtum das Theater-Geschehen prägten, und die einst manchem Schriftsteller/Autoren/Damatiker, die heute aus der literarischen Welt nicht mehr wegzudenken wären, erste Chancen gaben.
Hin und wieder driften zwar solcherart Autobiografien ziemlich ab ins Egozentrische, man merkt dann, dass die Damen und Herren es gewohnt waren im Rampenlicht zu stehen. ….doch davon ist nun das Buch von Tilla Durieux ganz erfreulich weit entfernt.
Zwar war ich beim ersten genaueren Durchblättern des Buches erstmal etwas irritiert: es gibt ganz viel Fotomaterial in diesem Buch, jedoch zeigen die allermeisten Aufnahmen die Durieux in ihren Theaterrollen. Es gibt nur ganz vereinzelte Bilder aus ihrem Privatleben, und so dachte mir erstmal: Oh jeh! Da wird wohl auch sonst nicht viel Privates zu finden sein, das wird ganz gewiss wieder eine von jenen unsäglich-langweiligen bis ins kleinste Detail gehende Aneinanderreihung von diversesten Theateraufführungen und Erfolgen sein, wer da sonst noch alles mitgespielt hat, wer die Faben für die Bühnenbilder zusammen gemischt hat, wie viele Zuschauer dabei waren, wie lange der Applaus angehalten hat..….
Doch dem war überhaupt nicht so, gottseidank! Die grosse Durieux erwähnt nur gerade mal den einen oder anderen ihrer Erfolge so ganz nebenbei, und verliert glaubs nicht ein einziges Wort über all die vielen Preise, die sie im Laufe ihrer Karriere erhalten hat.
Sie erzählt selbstverständlich von ihrer Theater-Arbeit, aber das macht den kleineren Teil ihrer Erzähllungen aus. Viel mehr ist dieses Buch ein breitgefächertes Dokument der Zeitgeschichte, so wie sie die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts miterlebt hat. Die Jahrhundertwende, den 1. und den 2. Weltkrieg, und die Jahre dazwischen. Die Aufstände der Linken und der Arbeiterschaft, wie die Räterepublik zustande kam, zu deren Mitgliedern sie teilweise engere Kontakte pflegte. Vom Professor Sauerbruch, der den einen und anderen dieser "Aufständischen" nach Verletzungen bei Schiessereien etwas länger im Spital behielt, wenn’s draussen für sie noch zu brenzlig war.
Sie erzählt vom Börsenkrach, von der grossen Geldentwertung, bei der auch sie und ihr 3. Ehemann, der Multi-Millionär Ludwig Katzenellenbogen praktisch ihr ganzes Vermögen verloren haben. Dann auch von der Flucht aus Deutschland, weil Katzenellenbogen Jude war.
Durch den vorhergehenden, ihren 2. Ehemann, den berühmten und auch etwas berüchtigten Verleger und Galeristen Paul Cassier, lernte sie jede Menge spannender Leute kennen, vor allem waren das Maler und Literaten, und sie gibt über einige dieser Berühmtheiten mit ihrem ganz speziellen trockenen Humor köstliche Anekdoten zum Besten, so z.B. über Frank Wedekind:
„[……]Hatte ich nicht zu spielen, war ich mit Tilly Wedekind von acht Uhr abends an Zuhörer eines Wortduells, das zwischen Paul Cassierer und Wedekind ausgefochten wurde. Die Diskussion begann meist in freundschaftlicher, ruhiger Weise, aber je weiter der Abend vorrückte, je mehr Getränke konsumiert wurden, desto hitziger wurden die beiden. P. C. knurrte, zischte, fauchte; Wedekind brummte, fing mit der Oberlippe sein klapperndes Gebiss auf und spritzte Gift. […..]
Seine Frau Tilly war sehr hübsch, anmutig und schüchtern. Ein reizender Schatz, den Wedekind gern, jedoch nur für Stunden, zum Vamp gemacht hätte. Er belehrte sie oft vor anderen Leuten, indem er sich plötzlich, sein Gespräch abbrechend, an sie wandte: „Goethe, weißt du, Tilly, Goethe war ein Dichter, der in Weimar lebte und den Faust schrieb“ – und schnapp, wurde dabei das Gebiss aufgefangen.
Tilly, die keineswegs ungebildet war, quittierte dann mit einem schüchternen: „Ja, Frank.“ Wagte P. C. Tilly in den Mantel zu helfen, markierte Wedekind Eifersucht, stürzte hinzu, riss ihm den Mantel aus der Hand und sagte: „Nun, das ist doch, denke ich, meine Sache, Herr Cassierer.“ - Schnapp das Gebiss.“
Grosse Maler haben die Durieux in ihren Werken verewigt, so auch Auguste Renoir, der zu jenem Zeitpunkt bereits ein alter, kranker Mann war, dazu gibt es im Buch auch eine ganz beeindruckende Fotografie.
„[…….] Wir stiegen wie immer im Hotel Mirabeau ab, und nachdem wir uns einen Tag ausgeruht hatten, lenkten wir unsere Schritte nach dem Boulevard Rochechouard, wo Auguste Renoir sein Atelier hatte, das er seit seiner Jugendzeit bewohnte.
[…..] Wir wurden von einer alten, nachlässig gekleideten Frau in ein ziemlich grosses Atelier geführt, das ausser wundervollen Bildern von des Meisters Hand nichts verriet, dass es von einem Malerfürsten bewohnt wurde. Verglichen mit Liebermanns Raum war alles, was sich darin befand, fast ärmlich zu nennen. […..]
Während unseres geflüsterten Gesprächs ging die Tür auf, und von einer Pflegerin geschoben kam ein Krankenstuhl ins Zimmer, in dem ein alter Mann sass, mit einem Käppchen auf dem geneigten Kopf. Der Kopf hob sich, und ein blaues, grosses, strahlendes Auge sah mich an, das andere blieb verschlossen. Die Hände lagen auf den Knien, sie waren verkrümmt. Die Linke nach dem Körper zu, die Rechte, als ob sie einen Pinsel hielte. Ich erschrak, diese Hände sollten….? Renoir begrüsste Paul Cassierer, den er seit langem kannte, sehr herzlich [……]
Die Pflegerin rollte einen Stuhl in die Nähe der Staffelei, er bedeutete mir, mich darauf zu setzen, dann schob ihm das junge Mädchen in die linke Hand die Palette, in die rechte den Pinsel und band ihn an der Hand fest. Da bemerkte ich, dass die Gicht auch die linke Hand nach seiner Arbeitsweise geformt hatte und die gekrümmten Finger genau die Palette umschlossen. […..]“
Auch ihren eigenen Macken und ihren "Lebens-Leistungen" steht sie hinterfragend und sehr selbstkritisch gegenüber….genauso kritisch wie sie den Leistungen ihrer Bühnenpartner gegenüberstand. Sie geizte auch dort nicht mit ihrer ehrllichen, offenen Meinung, Viele waren ihr dafür sehr dankbar, schätzten ihren immensen Erfahrungsschatz, andere wiederum „hassten“ sie dafür.
So klar und freimütig ihre Erzählungen auch sind, so gibt es doch das eine und andere Ereignis in ihrem Leben, das sie wohl liebend gerne verschwiegen hätte, sich aber wohl doch irgendwie gemüssig fühlte, sie aufzuschreiben, weil diese skandalösen Geschehnisse damals durch die gesamte Presse gingen und noch monate- ja jahrelang in aller Munde waren. Das war vor allen Dingen der Selbstmord einer guten Bekannten, die sich in einem Hotelzimmer vor ihren Augen erschossen hat.
Die Erklärungsversuche der ganzen Begleitumstände, wie es überhaupt zu dieser Situation gekommen ist, die erschienen mir nun doch allzu konstruiert/zurechtgebogen und auch völlig unlogisch…..
Aehnliches tat übrigens auch ihr 2. Ehemann, der Paul Cassierer. Nachdem sie die Scheidung eingereicht hatte, und die beiden sich deswegen bei einem Anwalt zusammenfanden, unterbrach Cassierer das Gespräch, verliess den Raum, und erschoss sich paar Minuten darauf in einem Nebenraum. Ueber dieses Ereignis habe ich doch schon in manch anderen Biografien lesen können.
Ihr Lebensbericht endet im Jahre 1952, das heisst, eigentlich hört er bereits mit dem Kriegsende auf, welches sie in der Nähe von Zagreb miterlebte. Die nächsten 7 Jahre finden gerade mal auf 4 Seiten Platz, und geben nur ganz vage Auskunft darüber, wie sie diese Jahre verbrachte.
Die Jahre 1952 bis zu ihrem Tod 1971 werden in einem Anhang von Joachim Werner Preuss nacherzählt.
Sie lebte also sehr zurückgezogen in diesem Zagreb, hat nur mit ein paar wenigen engsten Freunden wieder Kontakt aufgenommen.
Viele ihrer früheren Bekannten meinten gar, sie wäre schon längst tot, bis irgendwer sie dann in Zagreb aufgabelte. Es brauchte jede Menge Ueberredungskünste, um sie dazu zu bewegen, auf jene Bretter zurückzukehren, die "die Welt bedeuten".
Sie spielte in der Folge noch lange Jahre viele gute Rollen, bis ins hohe Alter von über 80 Jahren…. feierte noch einmal ganz grosse Erfolge im Theater, im Film, im Fernsehen, …..Vor allem muss sie im Film
DIE LETZTE BÜCKE an der Seite der beiden Hauptdarsteller Bernhard Wicki und der ganz jungen Maria Schell, unter der Regie von Helmut Käutner, eine ganz grossartige, beeindruckende Leistung abgeliefert haben.
Das Buch ist im Jahre 1971, nach ihrem Tod, herausgekommen.
Ich kann dieses Buch all jenen aufs Wärmste empfehlen, die sich nicht unbedingt über trockene historische Abhandlungen den Geschehnissen jener Zeit annähern möchten. Es sind Aufzeichnungen aus der Sicht einer Zeitzeugin, die von allen politischen, gesellschaftlichen und kultruellen Umbrüchen ihrer Zeit auf ganz einschneidende Weise persönlich betroffen war.