Gösta Berling - Selma Lagerlöf

  • @ magali


    Na ja, bei einem Roman, der in der wirklichen Welt spielt (also kein Fantasy- oder Science Fiction), selbst wenn die Handlung rein fiktiv ist, erwarte ich schon, daß die beschriebene Landschaft im Wesentlichen mit der Realität übereinstimmt. Ich meine nicht im Sinne von Reiseführer oder „Sachbuchgenauigkeit“, sondern so im Groben. Also nicht eine Tiefebene beschreiben, wenn in Realiter dort ein Hochgebirge thront (um es mal ganz überspitzt auszudrücken). Wenn die Autorin sich dann eine Landschaft ausgedacht hat, es den See also nicht gibt, das Ausgedachte aber im Prinzip geographisch in die Gegend paßt, habe ich damit kein Problem. :gruebel Etwas schwierig, das richtig auszudrücken.


    An Orte gereist, die in gelesenen Büchern vorkommen, bin ich bisher - bewußt - nur ein einziges Mal. Das war vor Jahren die Reichenau. Ich erinnere mich noch jetzt, Jahre später, des leisen Schauers, der mich überlief, als ich vor einer schlichten Steinplatte mit der Aufschrift „Berno / Abbas / 1048“ stand. Nachdem ich kurz vorher über eben diesen Berno gelesen hatte. (< Hier > die Biographie auf der Website des Erzbistums Freiburg, mit Bildern auch vom Münster Mittelzell, in der sich die erwähnte Grabplatte befindet und, etwas nach unten scrollen, dieselbe auch als Foto vertreten ist.)


    Den Begriff „Fantasy“ habe ich im Zusammenhang mit Gösta Berling übrigens im gleichen Sinne verwandt, wie Du das beschrieben hast.



    Nochmals direkt zum Buch, und zwar zur Majorin. (Ich spoilere lieber, weil etwas von kurz vor dem Ende vorkommt.)


    Über manche Denk- und Handlungsweisen von Gösta oder den Kavalieren habe ich mich (mehr als nur) gewundert, bisweilen waren sie wirklich umsympathisch. Nur die Sache mit der Majorin, die verstehe ich nicht so ganz. Vielleicht sehe ich es auch nur zu sehr aus dem Blickwinkel meiner Zeit, und da liegt das Problem?



    Das habe ich noch gefunden, Nachtrag zu der alten Verfilmung:
    < Hier > eine Seite (in deutscher Sprache) über die Verfilmung mit Greta Garbo.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • zu Deiner Frage zur Majorin:


    ja, zu modern gedacht.
    Nein, nicht dankbar, sondern gehorsam. Das ist ein Schlüsselwort des Romans.


    Es geht um zwei äußerst schwerwiegende Taten. Einerseits Bruch des Gebots Exodus 20,14, zum zweiten Bruch des Gebots Exodus 20,12 und das auch noch handgreiflich.
    Moralischer GAU.


    Ich finde es jedesmal atemberaubend, was für eine Bürde Lagerlöf ihrer Majorin aufpackt.



    Die Erwartungen, die in dem Fall zu erfüllen waren, werden am Beispiel Elisabeths durchexerziert.
    Lagerlöf ist gnadenlos, das ist wörtlich zu nehmen, ohne Gnade. Das ist auch logisch, denn die Gnade muß von anderer Stelle kommen und nur von dort.



    Ich sag's ja, der Roman ist gruselig. Kein Wunder, daß die Autorin bei der Frauenbewegung landete. ;-)



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • @ magali


    Danke für die Erklärung. :wave


    Zitat

    Original von magali
    Nein, nicht dankbar, sondern gehorsam.


    Ja, unter dem Gesichtspunkt ergibt das Ganze einen Sinn.



    Zitat

    Original von magali
    Lagerlöf ist gnadenlos, das ist wörtlich zu nehmen, ohne Gnade. Das ist auch logisch, denn die Gnade muß von anderer Stelle kommen und nur von dort.


    Ja, die Erklärung paßt zum Buch. :gruebel Also wenn sich solches aus Exodus 20.12 ergibt bzw. folgt, dann, ähm ... dann, öhm ... Nein, da schreibe ich lieber nichts dazu. Das führt dann in eine völlig falsche Richtung. (Ex 20.14 habe ich im Rahmen des Buches bzw. der Situation der Majorin als nicht sooo schlimm empfunden, sondern eigentlich als - fast schon logische - Folge; ja, ja ich weiß, Sichtweise der heutigen Zeit.)



    Zitat

    Original von magali
    Ich sag's ja, der Roman ist gruselig. Kein Wunder, daß die Autorin bei der Frauenbewegung landete.


    Letzteres weiß ich, ersteres ist vielleicht Definitionssache, was man unter dem Wort „gruselig“ versteht.


    Eines steht fest: das ist ein Buch, das ich noch mehrfach lesen muß. Wie bei einem Film, der mir gefällt: das erste Mal ansehen, um die Handlung und das Ende kennenzulernen. Das zweite Mal zur Vertiefung und weil’s so schön war. Ab dem dritten Mal dann für die Feinheiten und für das Erkennen all dessen, was sich beim flüchtigen Betrachten nicht erschließt.



    Hinweis
    Ich habe im Eingangspost einige Links zu Schweden ergänzt; auf den Seiten finden sich auch Informationen übers Värmland. :wave

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von magali
    Bei der Biographie von Lagerlöf wünsche ich viel Vergnügen. Du wirst staunen.


    Ich kann es mir nicht verkneifen: ich habe iinzwischen mit dem Lesen der Biographie von Johan Werkmäster begonnen. Und beim ersten Durchblättern schon gestaunt.


    Das Buch (< hier > findet sich eine Coverabbildung) ist sehr schön gestaltet (Fadenheftung :-]) und zeigt auf Seite 10 etwa eine skizzierte Karte vom Värmland. Mit dem Fryken. Und Mårbacka. See und Lage des Guts (wohl das Vorbild für Ekeby?) habe ich mir auf Grund der Beschreibungen im Buch ziemlich genau so vorgestellt.


    Oder der Text zum Foto auf Seite 27 zu Selma Lagerlöfs Tante (mütterlicherseits), die Georgina Afzelius hieß. Da ist es zu Samzelius nicht mehr weit.


    Über die Reise von Selma Lagerlöf und Sophie Elkan nach Italien (auch darüber gibt es im Buch Text und Bild) habe ich einen Film, den ich mir nach der Lektüre ansehen werde.


    Ich bin jedenfalls auf noch so manchen Aha-Effekt vorbereitet.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Meine Meinung:


    Lange habe ich an diesem Roman gelesen, was jedoch nicht daran lag, dass er mir nicht gefallen hätte. Es gibt jedoch Geschichten, für die man Zeit braucht und die man nicht zwischen Tür und Angel für ein paar Minuten weiterlesen kann. "Gösta Berling" gehört zweifelsohne dazu. Denn wenn ich ihn zur Hand genommen und mir Zeit genommen habe, bin ich tief eingetaucht in Selma Lagerlöfs Welt mit all den Traditionen, Ängsten, Nöten und Freuden der schwedischen Landbevölkerung inmitten des 19. Jahrhunderts.
    Die Rahmenhandlung rund um den unseligen Titelhelden knüpft lose Bande um zahlreiche Geschichten, die in demselben Dorf und seiner Umgebung spielen. Sie erzählen vom Dorfleben mit seinen freudigen und tragischen Ereignissen, aber auch von Sagen und Mythen, die den Kindern hier seit Jahrhunderten von den Großmüttern und Großvätern erzählt werden. Und so fügt sich mit jedem Kapitel ein neues Stück des Gesamtbildes hinzu, das durch seine Intensität und Sprachgewalt überzeugt und durch die phantastischen Elemente, deren Interpretation Selma Lagerlöf dem Leser überlässt, aufgelockert wird. Wer kauzige Charaktere mag, findet diese hier zuhauf; wer wichtige Botschaften in und zwischen den Zeilen sucht, wird bei der Lektüre ebenfalls oft fündig und wer die Landschaft von Lagerlöfs Schweden vor Augen hat, der bekommt ganz sicher Fernweh.


    9 Punkte von mir.